Nachts bin ich gelegentlich wach, es windet, ist kalt. Irgendwann schiebe ich den Kopf aus dem Zelt und schaue Sterne. So viele! Ich frage meine Beine, was sie vom Wandern halten, die Antwort ist eindeutig. Später nochmal: liebe Beine, wie sieht’s aus? – Nee! Na gut. Um 6 klingelt der Wecker, den ich mir ganz optimistisch gestellt hatte, denn es könnte ja sein, dass die Spaghetti inzwischen gut verwertet sind und in Bewegung umgesetzt werden können. Aber nein, es ist eisig – okay, 3°C – und alles ist nass. Ich warte auf die Sonne, die sich gegen 8 über den Berg schiebt. Und, liebe Beine? – Hm, neee.
Also erstmal Frühstück im Zelt, diesmal Müsli. Eine Packung reicht nur für 3 mal Frühstück. Danach melden meine 2-Kolben-Muskel-Motoren, dass ne Wanderung ja vielleicht doch… Also los! Ich bin genau heute hier, das Wetter ist genial, die Gelegenheit gibt es so schnell nicht wieder. Hopp jetzt, ich will bald los. Und so bin ich um 9:30 startklar für die erste Bergtour. Und zwar auf den Store Smørestabbtindan, was übersetzt etwa so viel heißt wie Großer Butterstabzahn.
Der Weg ist nicht ordentlich markiert, aber oft genug gegangen, dass ich ihn zunächst gut finde. Am Gletscherbach entlang geht es erst hinauf, dann hinüber, immer schön auf die Flanke des Berges zu. Erst 250hm geschafft, ein Viertel, und schon ne Stunde rum. Hmm. Naja, war ja auch Strecke dabei. Und Fotos. 3h rauf, 2h runter, so hatte ich kalkuliert. Mal sehen, ob das aufgeht. Allmählich kommt der Gletscher in Sicht, und dann bin ich am Gletschersee, auf dem kleine Eisbergchen, nur ein paar Meter groß, in der Sonne schwitzen. Kunstwerke. Gelegentlich fällt mal ein Brocken platschend ab. Ansonsten ein Ort für Meditation und Stille und einfach da sein.
Aber der Berg ruft, es geht weiter. Vom See fasziniert, folge ich nem kleinen Pfad am Ufer entlang, bis ich mich frage, wie ich wohl die Steilwand vor mir hochkommen soll. Ah, in der App UT, was so viel wie „draußen“ heißt, war der Weg doch verzeichnet. Oha, ich bin daneben. Ich quere den Hang zurück, steil, grasig, steinig. Das ist gefährlich. Fehler behebt man nicht durch husch husch, sondern mit Bedacht. So gehe ich langsam auf den eigentlichen Weg zu, der teilweise echt schwer erkennbar ist. Ich bin wohl etwas aus der Übung.
Nun geht es wieder, über einen Buckel auf 1700, eine felsige Senke, und dann hinan ans Geröllfeld. Die Vegetation bestand zuletzt nur noch aus Gras, Moos und Flechten, leider alles sehr trocken, da es kaum regnet. Dass diese Bäche viel Wasser führen, liegt auch am warmen Sommer, denn das ist Schmelzwasser. Die armen Gletscher, sollen ihr Wasser lieber als Eis behalten, ich würde auf den Bach verzichten wollen. Und plötzlich stehe ich an nem Flecken Altschnee, der leider so hart ist, dass an einen Schneeengel nicht zu denken ist. Schade.
Eigentlich bin ich ja zügig unterwegs, trotz halbschlapper Beine. Aber dass ich Norwegern im Bergwandern nix vormachen kann, hab ich schon mehrmals erfahren dürfen. So holt mich Aina ein, eine Krankenschwester aus Sogndal. Sie hat heute frei und genießt den Tag in den Bergen. Wir gehen zusammen weiter, was mir sehr recht ist, denn es wird kraxelig, Steinmännchen gibt es nur sehr selten, und sie ist deutlich geübter in der Wegfindung.
Ich schnaufe ganz schön, um mithalten zu können. Stellt sich raus, dass Aina Extremläufe absolviert. Ihr längster war nur, wie sie sagt, 42km und 3800hm, den sie in 8h geschafft hat. Mir fällt die Kinnlade zwischen die Steine. Aua.
Zusammen geht es gut voran. Es ist kraxelig, und ich bin froh um meine Klettererfahrung, wenn auch bescheiden, so hilft sie mir doch, das Gleichgewicht zu wahren und gute Griffe und Tritte zu finden. Alleine wäre es ein großes, so immerhin noch ein ordentliches Abenteuer. Und runter? Ach, das kommt später. Steil wird es, wir haben uns weit nach links gearbeitet, und stehen unvermittelt vor einer Kante. Die Aussicht… Ich will es heute nicht zu oft wiederholen, aber die Aussicht… Ach, ein Bild sagt mehr als ich zu formulieren im Stande bin.
Das letzte Stück ist flacher. Und dann sind wir oben. Das Grinsen ist mir ins Gesicht gemeißelt, das Gipfelglück riesig! 2208m hoch wäre in den Alpen ganz nett, aber hier überragt mich der höchste Berg nicht viel. Der Galdhøpiggen ist mit 2469m der höchste Berg Norwegens, und übrigens gut zu sehen. Wenig spektakulär ist er allerdings, und die Wanderung auch nur 2h lang. Sagt mir ein Norweger. Hmja. Egal, ein andermal. Jetzt hier, und wir macheb Brot- und Fotozeit, und genießen es, bei Sonnenschein im T-Shirt hier sitzen zu dürfen.
Mich kriegt man ja nur mit Gewalt von solchen Gipfeln runter. Aina hat aber später noch ne Verabredung zum Paragliding und muss los, und ich will lieber zu zweit das fiese Stück hinab. Zügig und gut geht es, diesmal wählen wir eine etwas bessere Variante. Als das Gröbste geschafft ist, bin ich ihr aber doch zu langsam. Sie gibt mir noch ein paar Tipps, was ich alles auf meiner Tour unbedingt erwandern muss, und düst davon. Regelrecht tänzelnd gleitet sie über die Felsen den Hang hinab. „Rock Dancing“ habe ich es spontan getauft, und es passt. Diese Leichtigkeit kenne ich, das mach ich auch sehr gern, nur sind heute die Beine zu schwer nach der gestrigen Etappe. Gemütlich verliere ich erneut den Weg und hab gerade keine Lust mehr. Ah, da war doch was… Pause! Und Essen!
Endlich, um 15:30 bin ich zurück am Zelt. Jetzt will ich runter vom Fjell, ins bequeme Tal. 6h hab ich insgesamt benötigt für die Tour, das hat also gepasst, Pausen mit einberechnet. Nun trinken, packen, essen, packen, trinken, packen, trinken. Puh. Um 16:30 endlich Abfahrt, und 2 Stunden später bin ich in Lom. Nach der Bergtour konnte mich nichts mehr beeindrucken, so bin ich einfach geradelt, um anzukommen.
Der überdigitalisierte Zeltplatz mit Check-In Automat hat mich glatt überfordert, aber letztlich steht mein tragbares Nest jetzt wieder, gemampft ist auch, und alle Akkus sind geladen. Morgen kann es weitergehen. Mal schauen, wie weit, aber auf jeden Fall weiter.