Puh, gut geschlafen. Warm war es in der Hütte, musste mich fast gar nicht zudecken. Der seidene Hüttenschlafsack hat fast genügt. Gab ja auch keine Bettdecke hier, und überhaupt ist die Hytta äußerst spartanisch ausgestattet. Aber gut, heute war es besser als Zelten. Schließlich steht mir heute was Besonderes bevor.
Um 6 bin ich bereits so wach, dass ich aufstehen könnte. Aber bringt nix, ich muss noch Nudeln shoppen, und der Supermarkt macht erst um 9 auf. Um 7 aufstehen, gemütlich frühstücken, packen… d
as Übliche. Das ist inzwischen schon derart Routine, dass es überhaupt nicht mehr anstrengend ist. Um 9 schnell Nudeln und Tomatenmark gejagt, dann geht es bergan.
Es rollt gemütlich los, recht flach vergehen die ersten 5km gemächlich. Aber ich weiß ja was kommt: die Strecke, vor der ich den meisten Respekt habe. Und heute geht es wirklich mal ums Radfahren, zumindest überwiegend. Denn ich habe mir freiwillig ausgesucht, den ganzen Tag bergauf zu fahren, und behaupte dann noch dreist, das mache mir Spaß. Kann das wahr sein?
Berge fahren ist ne ganz eigene Sache. Da spielt der Kopf ne große Rolle, und die Krafteinteilung. Man muss sich also kennen, mit den Kräften haushalten, und mit Erschöpfung gut umgehen können. Und man ist erst oben, wenn man oben ist. Abkürzen geht nicht. Das hat seinen Reiz, von den körpereigenen Endorphinen, die dabei gleich literweise ausgeschüttet werden, ganz zu schweigen. Man darf es auch als Quälerei bezeichnen. Nicht um sonst gibt es auf https://www.quaeldich.de/ alles zu „Hauptsache bergauf mit dem Rennrad“.
Ich bin gerade um ne Spitzkehre, da tönt es, als würde jemand Steine Klopfen. Ohweh, lauern hier Trolle? Oder ist das der norwegische Fjellspecht, der den Fels zerlegt? Nein, da kommt einer auf Rollski den Berg rauf, und zwar doppelt so schnell wie ich! Wow. Die Beinchen dürr, die Schultern kräftig, stakst er mit Stöcken den Berg rauf, als wären die Wikinger hinter ihm her. Ich will am liebsten absteigen und heim laufen! Ich Anfänger.
Ich hatte Petro und Heidi nochmal geschrieben, und sie empfahlen mir sogleich die Burger im Hotel in Turtagrø, das liegt auf gut 900hm, also ⅔ der Höhe. Klingt verlockend. Da würde ich auch Tor Ove erwarten, dass er mich dort einholt. Ich muss zwar ne gute halbe Stunde auf den Burger warten, aber das gönne ich mir: die erste warme Mahlzeit, die nicht aus dem Campingtopf kommt! Und lecker ist er auch.
Da trudelt auch Tor Ove ein. „Ove“ spricht sich übrigens genauso wie „Uwe“, ist die skandinavische Form. Er macht mit mir Pause, ist wie irre den Berg rauf. Hätte ich nicht wild gewinkt und gerufen, wäre er im Kletterflow glatt vorbei gefahren. Gemeinsam geht es weiter. Aber, aua, die Beine, und die ganze Zeit 8-10% Steigung. Zum Branich (da wo ich wohne) sind es nur 1,6km mit zarten 7-8%. Pah, da werde ich in Zukunft hochfliegen! Aber hier geht es mit 5-6km/h voran. Mehr geht nicht. Das Gepäck wiegt mein halbes Körpergewicht, so wirkt die Steigung wie 12-15%.
Gemeinsam schrauben wir uns rauf. Tor Ove teilt die Leidenschaft. Er sagt ganz klar, dass die Abfahrt nur der zweitgrößte Spaß ist. Bergauf ist ihm am liebsten. Er fährt sogar ne Heldenkurbel, also vorne 2-fach mit 39/52 Zähnen. Und hinten sehe ich auch nur kleine Ritzel, keine Rettungsringe und Pizzableche. Boah. Seine Frau wartet oben schon mit dem Mittagessen auf ihn. Na, muss noch etwas warten.
Es wird zäh, ich kämpfe. Die Oberschenkel sind leer, Vorder- und Rückseite. Jetzt muss der Kopf herhalten. Gut, dass Tor Ove da ist, aber auch alleine würde ich durchhalten, das weiß ich, kenne ich längst. Trotzdem halte ich jetzt das Wort „Strapazen“ für durchaus angemessen. Ich bin kein großer Radler, verglichen mit Eirik, der gestern tatsächlich die 285km zurück nach Oslo geradelt ist, 11:30h in Bewegung, 6000kcal verbraten. Oder Tor Ove, der hier locker flockig über die Berge gleitet. Oder mit vielen anderen. Ich bin einfach froh über das, was ich schaffe. Und ich schaffe das. Und dann bin ich endlich oben, auf Norwegens höchstem Pass!
Wow. Geschafft. Am Anfang der Reise wäre das nicht möglich gewesen! Trotz halb müder Beine heute früh ging es. Zwar mit Fluchen und Grollen und Kämpfen, aber ich hab es geschafft. Yeah! Der Rest der Reise ist Kür.
Die Landschaft ist einmalig. Wir fahren auf Höhe von Gletschern, Blick auf Jøtunheimen, welches herrlich schroffe Gipfel zeigt, durchsetzt mit viel Weiß. Das Wetter ist traumhaft. Als wir 2010 hier mit dem Auto entlang gefahren sind, hat es geregnet, und wir haben nur geglaubt, dass es hier hübsch sein muss. Aber wir hatten keine Ahnung! Oh wow. Ob ich gleich hier Zelten sollte?
Aber irgendwie zieht es mich zur Krossbu. Das ist eine Hütte des DNT, Den Norsk Turistforeningen, vergleichbar mit dem Alpenverein. Von den 500 Hütten sind die wenigsten bewirtschaftet, die meisten bevorratet. Diese hier ist bewirtschaftet und man kann daneben Zelten und für ein kleines Entgelt von 100 NOK, also rund 10 €, Dusche und Bad mitbenutzen. Ja, wieder nicht wild zelten, aber so gut wie. Also fast. Sozusagen beinahe.
Tatsächlich könnte ich morgen hier wandern gehen. Der Weg auf den Smørdtabbtindan ist 6,5km einfach, aber mit 1000hm. Werde morgen früh meine Beine fragen, was die von der Idee halten. Wäre schon ne Gelegenheit, die so schnell nicht wieder kommt, vor allem mit dem guten Wetter. Ich spaziere spaßeshalber mal etwas bergan, aber bereits nach ein paar Minuten merke ich, dass zumindest die Spaghetti in die Beine eingelagert werden müssen. Ich schlaf mal drüber. Zur Not langsam, und zur allergrößten Not bleibe ich noch ne Nacht hier. War ja erst die halbe Packung Nudeln, und in der Hütte gibt es auch immer Mampf.