Tag 2: auf zu Selma

Viel hat es geregnet. Aber pünktlich zum Morgen hört es auf. Draußen ist alles nass, also koche ich Tee im Zelt, und der Teller dient als Deckel, in dem ich gleich ein Müsli mit der Abwärme aufwärme. Kalt ist es nicht wirklich. Meinen liebevoll auf den Namen „Bratröhre“ getauften Schlafsack musste ich längs ganz aufmachen, damit ich nicht durchgegart aufwache. Aber wer ist jetzt Selma?

Also um 6:30 losgelegt, und mit allem drum und dran und Frühstücken und Tee trinken und wieder neu packen und Zelt trocken wischen und alles versorgen ist es doch 8:30 bis ich aufs Rad steige. Diesmal gleich in kurzen Sachen, denn es geht bergan, und ich hab ja von gestern gelernt.

Sieht die ganze Zeit so aus. Eigentlich nix besonderes. Aber echt hübsch.
Man bemerke die ganzen Häuschen am See. Nicht viele, aber doch immer wieder Häuser in der Landschaft.
Heute geize ich nicht so sehr mit Pausen.

Und dann endlich Aussicht auf die Telemark. Was auf der Karte wie ein ganz nettes Vorgeplänkel vor den Fjorden und Gebirgen und Hochebenen aussieht, ist mehr als nur ganz nett. Viel mehr sogar. Unzählige riesige Seen an mitunter 1000m höheren Bergen sowie viel Wald machen Lust, die Telemark zu erkunden. Ich durchfahre sie von Ost nach West, und endlich bin ich auf einer der winzigen, einsamen Straßen, die 25km lang am Follsjå vorbei nach Notodden führt. Bilder gibt es davon keine, ich hatte das Grinsen im Gesicht und hab es einfach genossen. Ah, doch, die Aussicht gibt’s.

Der Follsjå und die, hier noch mäßig hohe, sich allmählich entfaltende Telemark.

Endlich in Notodden. Es ist Sonntag 11 Uhr, und alles hat zu. Alles. Nach 40km steht es mir nach Mampf, aber es gibt nix. Dabei ist jetzt doch Zeit für Süßteilchen und Kaffee! Ein Glück ist die Stabkirche von Heddal nicht weit, und dort gibt es ein Café. Wenn die heute nicht geöffnet haben, sind sie selbst schuld. Also nix wie hin. Die Stabkirche hatten wir vor einigen Jahren besucht, damals auch ausgiebig besichtigt. Andere Kirchen schau ich höchstens mal kurz müde an, aber Stabkirchen haben ein ganz besonderes Flair. Da muss man gar nicht christlich oder sonstwie religiös sein, um sich davon faszinieren zulassen. Die Stäbe sind Baumstämme, die senkrecht in der Erde stecken und das Gebäude tragen – und das seit 800 Jahren! Führungen lohnen auch immer.

Rechts der Glockenturm. Die Kirche selbst kann keine Glocke tragen.
So groß sind die übrigens gar nicht. Sehen auf Bildern immer viel größer aus als sie sind.
Ich mag das mit Friedhof direkt außen rum.
Und dann das Beste: Waffeln mit Rømme und Erdbeermarmelade. Übrigens eignet sich ein Fahrrad prima als Wäscheständer.

Diesmal kein Kaffee, denn der hat mir gestern den Puls hochgehen lassen, der soll ja schön brav unten bleiben, damit ich nicht in den Leistungssportmodus falle. Nun stehe ich vor der Wahl, ein viel befahrenes Tal zu erdulden, oder ne einsame Straße über nen Berg zu hecheln. Was ne Frage, der Berg natürlich. Lektion 1 für heute: 300 hm mit 10% sind nicht gut, selbst mit Pausen. Aua. An dieser Stelle ein Hoch auf norwegische Autofahrer, die mit viel Abstand und Geduld selbst im Schritttempo geduldigst bis um die Kurve warten, um garantiert sicher überholen zu können. Das gibt es daheim selten, hier ist es die Regel. Und das macht das Radeln hier entspannt und ungefährlich. Und wo ist jetzt Selma?

Luft ist raus. Konzentration für Bilder machen ist weg. Oh, das hat weh getan. 5 oder 7 Prozent Steigung sind prima, aber 10 sind mit der Beladung heftig. Werde ich meiden.

Idyllisch geht es gemächlich bergab. Wobei das nicht heißt, dass es nicht auch immer wieder kurz und heftig bergauf geht. Mit dem Rennrad ginge es raus aus dem Sattel und im Wiegetritt den kurzen Sprint bergan, aber das darf ich mir nicht gönnen, damit ich morgen auch wieder radeln kann. Kostet also nicht nur Kraft, sondern auch noch Geduld und Nerven. Aber die Landschaft entschädigt! Sorry, keine Bilder von hier, denn entweder wollte ich bergab nicht bremsen, hab bergauf geschnauft, oder beim halbwegs ebenen Rollen lassen mich erholt. Nächstes Mal mehr Pausen, und damit mehr Bilder.

Die breiten Täler scheinen die Kornkammer Norwegens zu sein. Endlos ziehen sich Felder dahin, gesäumt von steilen Hängen voll Fels und hartnäckigen Bäumen. Es ist auch viel los, so dass ich schaue, zügig von der viel befahrenen Straße runter zu kommen. Und da ist er endlich, der Seljordvatnet. Der See ist über 20km lang und 150m tief, und damit, obwohl eher einer der kleineren großen Seen hier, groß genug, um einer entfernten Verwandten von Nessi Platz zu bieten. Und die heißt, ihr habt es erraten, Selma. Sie hat es sogar in die Wikipedia geschafft, und im Ort Seljord steht extra ein Beobachtungsturm zum Ausschau halten.

Der See Seljordvatnet, Heimstatt von Selma
Oh mein Gott, es kommt genau auf mich zu!
Gleich nach dem Zücken der Kamera zücke ich meine letzte Hoffnung: Schokolade. Und siehe da, damit gewinnt man immer Freunde. Von wegen Ungeheuer.

Mein Zelt ist schnell wieder aufgestellt, geduscht ist auch gleich, die Radlklamotten mit Wasser im Becken gewaschen. Und wie es ans Kochen geht, zieht doch noch unvorhergesagter Regen auf. Oder doch nicht. Oder doch? So unentschieden das Wetter, entscheide ich mich schnellstens für Kochen im Zelt. Diese besondere Form der Romantik möchte ich euch nicht vorenthalten. Benzinkocher im Zelt erfordert etwas Erfahrung, aber geht. Eine Tasse Linsen, zwei Tassen Wasser, Salz, und kochen lassen. Dann Salz, reichlich Olivenöl, Currygewürz, Tomatenmark, Tofuwürstchen reingeschnippelt und Salz. Fertig. Warum ist das jetzt versalzen, verflixt? Das war wohl Lektion 2: nach viel Schwitzen trotz der unbändigen Lust auf Salziges lieber dem Nachsalzen ne Chance lassen.

Lektion 3: Fahrräder sind die besseren Wäscheständer
Auf ner Halbinsel gelegen ist der Telnessanden echt idyllisch. Ich mag das Wort nicht, aber hier passt es unglaublich oft.
Alles bereit? Los geht’s. Ein Bein schläft immer ein dabei, das gehört so.
Nicht wirklich instagrammable, dafür reichlich Eiweiß und Kalorien. Und Salz.
Hmm, die Wolke da hinten könnte auch Selma sein, oder?