Tag 18: Fjordrollen

Ah, schön geschlafen. Ein ganz kleiner Zeltplatz hat was für sich. Hier standen auch gar keine großen weißen WoMos, sondern eher Autos mit Zelt und umgebaute Busse und sowas. Die typischen WoMo-Camper packen ja ihren Klappsitz aus, glotzen erst aufs Handy, dann auf den Grill, und wenn es draußen zu kühl ist, rotieren die Satellitenschüsseln, und sie glotzen in die Röhre. Bloß nicht weg vom WoMo, bloß nix erleben. Ja, ich übertreibe, aber wirklich nicht viel. Nicht alle sind so, aber man kann von der Fahrzeugausstattung fast schon ein bisschen auf die Erlebnisfreude schließen.

Na, hier war es anders, und sehr angenehm. Irgendwann mitten in der Nacht ist wer losgefahren, vermutlich zur Trolltunga. Überhaupt, in Røldal und auch hier: nahezu jeder war gerade oder will gleich morgen auf die Trolltunga. Google es, wenn es dir nix sagt. Das Bild kennst du garantiert. Angefangen hat das wohl erst vor einigen Jahren, und seither hat Norwegen Mühe, die Touriströme zu kontrollieren. Die Wanderung ist nicht ohne mit 13km hin, 1000hm dazu, und 13 km zurück, dazu noch stundenlang anstehen für das Foto. Das in Sandalen, Shorts, ner Fanta und nem Snickers bewaffnet… Da freut sich die Bergrettung.

Aber ich kann es auch verstehen, denn schön ist es da oben durchaus. Wir sind vor einigen Jahren 6 Tage durch die Hardangervidda gewandert und kamen aus der Wildnis von oben her zur Trolltunga, ohne zu wissen, wie überlaufen das ist, daher weiß ich, dass es da hübsch ist. Andere Geschichte. Ich rolle heute den Hardangerfjord entlang, und früh geht es los, denn ich will mich gern erholen. Um 10:45 geht die Fähre von Utne nach Kinsarvik, die will ich kriegen, und damit den Nachmittag pedalfrei haben. Es rollt auch gut heute früh, ausgesprochen gut.

Blauer Himmel? Ich mag nicht schon wieder Sonnencreme nehmen müssen!
Ein riesiges Land, oben Fjell, dann steil, unten an der schmalen Fjordküste ein Streifen landwirtschaftlich nutzbar. Da ist menschliches Leben.

Es zieht zu. Nein, das stimmt nicht. Eher bilden sich Wolken, wie Bänder auf einer Höhe entlang der Fjordwand. Als würde sich der Fjord elegant einen flauschigen, kuschelweichen, weißen Schal um die Schultern legen, und das Haupt noch von der Sonne wärmen lassen. Danke. Das gibt schöne Bilder, macht nicht so warm, und vermeidet Sonnenbrand.

Und dann die Sonnenstrahlen durch das Wolkenband! Yeah!
Vielmehr als Fjord gibt es heute nicht zu sehen, sorry.

Ich liege gut in der Zeit, aber die Wolkenstimmung lässt mich immer wieder bremsen und Bilder machen. He, was ist das da? Die Fähre von Kinsarvik nach Utne? Ob ich es vor ihr zum Anleger schaffe? Hmpf, so viel zu „ruhiger, gemütlicher Tag“. Mein sportlicher Ehrgeiz ist geweckt, und es geht schön flach – also jetzt echt richtig wirklich flach – dahin. Das bin ich gar nicht gewohnt, trete fast wie am Berg, und auf dem Tacho steht immer was zwischen 25 und 30 km/h. Wow.

Wer ist schneller? Gemütlicher hat es sicherlich der Kapitän.

Ich bin tatsächlich etwas schneller da, und darf zur Belohnung verschnaufen. Auch diese Fähre ist kostenlos für Fußgänger und Radler, sehr cool. Von den Autos werden die Nummernschilder gescannt, darüber wird abgerechnet. Im Salon gibt es Kaffee! Süßteilchen vielleicht auch? Nee? Ah verflixt.

Die Sicht ist phänomenal! Hab auf der App Norgeskart noch gespickt, wie tief der Fjord ist. Also da, wo ich gezeltet habe, waren es 380m, hier wo die Fähre gerade fährt und mehrere Fjordarme zusammenlaufen, sind es über 700m! Die Berge daneben sind teils über 1500m hoch. Ich sag ja, Fotos taugen nix, um das zu vermitteln, sind höchstens ein müder Abklatsch des Erlebten. Naja, muss genügen. Umgekehrt ist es ja auch gemein, wenn das Foto genial, die Realität dann ernüchternd ist. Dann lieber so.

Die Dame hat den Schal nun um die andere Schulter gelegt. Ich will hier wochenlang Zeitraffer machen!
Da sieht man, wer hier regelmäßig fährt. Die drücken sich nicht die Nase an der Scheibe platt.

Es ist 11:30, nur noch 30km vor mir, jetzt hab ich wirklich Zeit. Gemütlich und mit schön hoher Trittfrequenz, also minimalem Krafteinsatz, pedaliere ich weiter. Öfter sehe ich Obst zu kaufen, leider nie jemand dabei, den ich fragen könnte, ob ich einfach ne handvoll Früchte kaufen kann. Ein ganzes Körbchen kriege ich nicht zerstörungsfrei transportiert. Dann würde ich lieber gleich Marmelade kaufen.

Obst am Straßstand, Bezahlung auf Vertrauensbasis

Bald ist das Highlight von heute zu sehen, die Hardangerbrua. „Bru“ heißt „Brücke“, das „a“ am Ende ist der bestimmte Artikel. Brücken sind hier eindeutig weiblich, so wie Hytta. Klar. Hier heißt eh alles Hardanger-irgendwas, also auch die einzige Brücke im zweitgrößten Fjord Norwegens. Als wir 2010 hier waren, befand sie sich noch in Bau, wurde erst 2013 fertig gestellt. Wir sind noch mit der Fähre übers Wasser. Übers Meer. Irre, dass dies das Meer ist.

Noch fast 10km bis zur Brücke.

Autos fahren durch nen Tunnel, darin ein Kreisel zum Abzweigen, geradeaus oder über die Brücke. Mit dem Rad werde ich umgeleitet und darf auf ruhigem Wege mit Ausblick ran. Ich komme auf den Rastplatz, mampfe Lieblingsmüslikekse, und warte, bis die vielen Leute weg sind, bevor ich Bilder mache. Ja, das Bauwerk ist ne Attraktion. Immerhin überspannt die Brücke 1380m, die Fahrbahn ist 55m über dem Wasser, die Pfeiler sind 200m hoch!

Über der Brücke gibt es nen Rastplatz mit Ausguck.
Die Spur rechts ist für Fußgänger und Radfahrer. Absolut vorbildlich hier.
Drüben geht es für Autos direkt in nen 8km langen Tunnel, ich hingegen komme runter an die Straße entlang des Fjords.
So, genug Bilder von dem Ding.

Ich zeige so viele Bilder davon, weil dieses gigantische Bauwerk vielleicht etwas hilft, die Größe des Fjords zu vermitteln. Die Brücke wirkt klein in der Landschaft, fragil und nichtig. Irre.

Da der Verkehr durch den Tunnel verläuft, ist die Strecke am Fjord entlang sehr ruhig. Und so rolle ich gediegen den Rest bis nach Ulvik. In dem kleinen Örtchen steht ein gigantisches Hotel, von dessen Business Model ich mir keine Vorstellung machen kann. Was fahren Leute hierher ans Ende des Fjords, um in einem riesigen Hotel zu wohnen? Hier kann man ja auch nicht viel machen. Bleiben die Gäste dann ne ganze Woche? Was machen die den ganzen Tag lang? Merkwürdig.

Der Campingplatz ist dagegen super. Eine prima ausgestattete Küche lässt keine Wünsche offen, die Duschen sind ordentlich und kostenlos und schön heiß, die Hütten sehen gemütlich aus. Natürlich Zelte ich. Heute früh kam die Sonne zu spät über den Berg, so dass das Zelt patschnass ist. Geregnet hatte es nicht, aber hier gibt es jeden Morgen richtig viel Tau. Ich dusche und wasche Trikots, und danach ist das Zelt schon trocken. Hier ist es schön.

Zelt am Wasser, mal wieder der Premiumplatz 🙂

Heute muss ich mich regelrecht wehren, damit ich nicht gefüttert werde. Nein, abgemagert bin ich definitiv nicht! Aber als Radler bekomme ich hier von vielen Respekt und Ermutigung, sogar viele Motorradfahrer grüßen oder geben nen Daumen hoch. Ich kriege Übung, meine Story kurz zu fassen. Im Moment sag ich gern „Yeah, I chose my suffering. And it seems I tend to like it“. Ich kann aber auch einige Tipps und Infos geben, was sich zu sehen und erleben lohnt. Da schau ich natürlich vorher, woran die Leute interessiert sind, wie wandertauglich sie sind, wo sie etwa hin wollen. Macht Spaß, aber irgendwie ist dann doch der Tag wieder rum. Wieder kein Nickerchen.

Camping per Wasserflugzeug? Naja, bisher lagen fast alle Zeltplätze am Wasser.

Heute waren meine Muskeln das Limit, nicht das Knie. Danke vor allem an Manfred und Holger für die Tipps, was ich machen kann, aber auch Dank für jeden Zuspruch! Das hilft schon, wenn man alleine im Zelt sitzt und sich fragt, wie lange man wohl noch durchhält. Ich glaube, das geht jetzt ganz weg. So kann ich mich voll auf die kommenden Abenteuer freuen!