Tag 20: Halbzeitpause

Ich schlafe aus, um 8 Uhr macht mich der Verkehr endgültig wach. Es ist halt die E16, einer der Hauptverbindungswege quer durch, da fahren viele LKW, und die hört man dank der steilen Felswände elendig weit. Also, hey, wirklich viele sind es nicht, aber für hiesige Verhältnisse schon, und zum Weiterschlummerrn allemal. Immerhin fuhr nachts fast nichts. Nun gut, raus aus den Federn. Ein Zelt hat ja auch keine Toilette.

Weiter geht es mit der Fähre, eigentlich bis Flåm (das „å“ wird immer gesprochen wie unser „o“) und dann nach Aurlandsvangen, wo der Zeltplatz genauso wie hier an der E16 liegt. Dieser Lärm stresst mich ungemein, lässt mich keine Ruhe finden. Hmpf. Da hab ich wenig Lust drauf. Da meine Beine beim bloßen Anblick des Rades widerwillig aufbegehren, beschließe ich kurzerhand, 2 Pausentage einzulegen, einen davon bei nem Fährenzwischenstop in Undredal. Da führt die E16 im Tunnel und mit Abstand vorbei, dort sollte genau nichts los sein. Zumindest kein Straßenlärm. Einen kleinen Lebensmittelladen soll es auch geben. Wunderbar, das klingt nach nem Plan.

Leider sind die Angaben zu den Fährzeiten verschieden, ml heißt es 9, dann 10, dann 9:30 oder such 12 Uhr. Eigentlich will ich hier schnell weg. Ob ich 9:30 schaffe, wenn ich aufs Frühstück verzichte? Die Hotline verrät mir, als das Büro endlich besetzt ist, dass die eine Fährgesellschaft dieses Jahr gar nicht fährt, nur die andere. Da solle ich schauen. Die sagt 12:00. Also doch erstmal Frühstück. Immerhin taugt das Brot aus Vossevangen was, und Multesyltetøy macht glücklich. Gemütlich packe ich zusammen und bin um 11 am Kai.

11 Uhr und die Sonne ist noch nicht unten. Die Felskante, die man von unten aus sehen kann, ist 800-1000m über mir, die Berge dahinter 1500-1700m hoch. Kein guter Platz für Solaranlagen.

Am Fährkai stehen nur Schilder nach Kaupanger. Also was jetzt, Flåm oder Kaupanger? Autofahrer wissen auch nichts Genaues. Nebenan ne Tourifalle mit allem Gedöns, das ein Norge-Ersti im Landschaftsrausch unbedingt kaufen muss, um es daheim in ner Schublade verschwinden oder Staub fangen zu lassen. Die Angestellten dort verweisen mich auf die Crew der Fähre. So unorganisiert kenne ich das gar nicht!

Käsehobel, Plastiktrolle, Wikingerbootteelichthalter… Wer denkt sich so nen Quatsch eigentlich aus? Wobei Käsehobel echt praktisch sind!

Die Lösung ist einfach: es fahren um 12 Uhr gleich zwei Fähren, eine Autofähre nach Kaupanger, und eine Tourikreuzfahrtfähre nach Flåm, wo ja keine Straße hinführt. Die Straße führt durch zwei elend lange Tunnels, die für Radler verboten sind, mir bleibt nur die Fähre. Letztere nimmt mich auch samt Radl mit, man wisse aber nicht, ob man in Undredal anlegen könne, weil Wind. Hmja. Mal sehen.

Alle drängen, als ob man stehen gelassen werden könnte. Mein Rad hält die Meute auf Abstand.
Da steht es, einsam als Gepäckstück verwahrt.
Es gibt Kaffee, den gönne ich mir. Der Wind bläst ihn mir aber beim Trinken aus dem Becher ins Gesicht. Gut, dass dies kein Tretboot ist bei dem Gegenwind.

Sieh da, nur 5km am Fjord entlang wäre noch ein sehr ruhiger Zeltplatz gewesen. Schade, daß hätte mir sicher besser gepasst, aber bis dort hätte ich es gestern nicht mehr geschafft. So trotzig war ich dann auch nicht.

Dass da Leute einfach wohnen und jeden Tag dort leben… unverschämt!

Achtung, jetzt kommen einige Bilder vom Fjord. Wer davon schon genug hat, einfach weit runter scrollen. Es ist krass. Der Lysefjord war schon schön, ist lang, fast schnurgerade und wird hinten immer steiler und höher. Hier ist es hingegen verwinkelt, nach jeder Kurve ist es wieder spannend. Die Felswände sind noch höher, über 1000m hoch. Das Lichtspiel ist fantastisch! Hier würde ich gern zu jedem Wetter entlang, früh, nachts, zur blauen Stunde, zum Fjordglühen… Und so verfalle ich fast schon ins Knipsen, wechsle ständig die Objektive, renne vom Bug zum Heck und wieder zurück.

Hinter uns die Autofähre, am Heck die Fotos für Insta
🙂
Das ist alles nur ein kleiner Seitenarm hier! Ganz da vorn zweigt ein anderer ab. Gigantisch.
Die Autofähre weiter hinten, und vorhin sind wir an dem fernen Berg vorbei. Die Ausmaße hier sind krass.
Könnte ein Tiellfoto sein. Was ist das für ein Nebel?

Merkwürdig für die Wetterlage ist, dass ein Nebel im Fjord hängt, ganz licht und vage. Er hebt die Sonnenstrahlen schön hervor, aber erklären kann ich es mir nicht. Und warum riecht es so, als würde dieser Kahn hier mit Holz befeuert werden? Wirkte gar nicht wie ein Dampfschiff.

Oha.

Die überall ausgerufene Waldbrandgefahr ist real. Ich vermute, dass einige Paddler hier gelagert und die Glut nicht vollständig gelöscht haben. Der Wind hat sie neu entfacht und den Berg hinauf getragen. Später erklärt mir eine Einheimische, dass auch herabstürzende Steine Funken schlagen können, welche dies auszulösen vermögen. Aber für mich sieht es aus wie ein prädestinierter Ort für ein Nachtlager. Am Nachmittag versucht sich ein Heli im Löschen, zwar nicht ohne Wirkung, aber es qualmt bis in den Abend hinein.

Der Wind steht günstig, ich darf in Undredal von Bord gehen. Das geht über die wegen Flut steil angelegte Planke nur mit Unterstützung der Crew, die mich auf die Schnelle noch nach meiner Reise ausfragt. Ich verabschiede mich mit „Bis morgen!“, dann will ich ja weiter nach Flåm. Jetzt aber erstmal hier ankommen. Und hier ist es auch wirklich nydelig und hyggelig, ein wahrlich friedvolles Fleckchen voll Ruhe. Selbige finde ich auch sehr bald, und spätestens als eine frisch gebackene Waffel mit hausgemachtem Karamellkäse samt ner Tasse Kaffee vor mir stehen, bin ich ganz im Hier und Jetzt.

Undredal. Zauberschön.
Ein hübscher, sehr kleiner Zeltplatz, hier ist keine Hektik. Die findet den Weg gar nicht hierher.
Ganz hinten der Qualm vom Feuer. Und gaaaanz hinten geht der Fjord noch weiter.
Vel bekomme!

Lesen, Duschen, Fotos vom ornithologischen Reinigungsdienst (Spatzen) machen. Oh, hier kann man wandern? Hmm, heute ganz bestimmt nicht. Das Knie ist gut, die Oberschenkel aber sind verkatert und benötigen ihre Auszeit. Ich bleibe 2 Tage. So. Als die Fähre von Flåm zurückkommt, sitze ich noch immer im Café. Die Crew sieht mich, ich winke fröhlich, sie lachen, ich rufe „Bis übermorgen!“, sie lachen noch mehr.

Ich kaufe Möhrchen, Tiefkühlerbsen, Tomatenmatsche und eine Flasche Öl. Das Currygewürz fungiert echt als Emulgator. Der Topf war wieder fast voll. Bin froh, dass ich so viel essen kann. Zu wenig Kalorien bedeuten nämlich, dass man keine Lust hat, sich zu bewegen. Dann kann man auch gar nichts dagegen machen, man will einfach nicht. Und man kann nicht was anderes wollen, als was man gerade will. Und dann bewegt man sich nicht, hat keine Lust drauf, will liegen bleiben, oder gleich heim. Das haben wir 2012 auf den Lofoten gelernt, als wir mit Rucksack und Zelt dort 3 Wochen unterwegs waren und jeder 3 kg abgenommen haben. Das sind 1000kcal am Tag zu wenig, der halbe Grundumsatz! Und da hatten wir oft keine Lust, jenen kleinen Hügel rauf zu gehen, um die Aussicht zu genießen, oder dort noch um die Kurve zu schauen, um die Gegend zu erkunden. Abnehmen will ich hier ganz sicher nicht, neinnein.

Später komme ich mit einer Familie aus Lüneburg ins Gespräch, die mit nem modernen Bulli unterwegs sind. Sie selbst sind alle 4 fahrradbegeistert, waren schon öfter in Norwegen (aber als Flachlandtiroler noch nicht mit dem Rad), und Bulli-erfahren. Obwohl alle schon längst ausgewachsen kommen sie prima zu viert darin unter, ohne Zelt nebendran. Der Sohn, der neben der Schule im Fahrradladen schraubt, schaut sich die abgerissenen Schrauben meine Seitenständers an und meint, ohne Spezialwerkzeug gehe da nix. Dann checkt er das Rad kurz durch, weil es ihm Spaß macht, und er so eines in der Art auch gern hätte, um damit zu reisen. Danach bekomme ich, weil ich echtes Interesse am Bulli-Dasein geäußert habe, eine ausführliche Tour durch viele durchdachte Details und tolle Einfälle, die von viel Erfahrung und Überlegung Zeugen. Ich versuche mir vieles zu merken und begreife, wie herrlich primitiv ein Zelt doch ist. Trotzdem, wenn Camper, dann sowas.

Wir quatschen uns regelrecht fest! Herrlich. Also so ein Bulli hat echt was. Und die 4 sind klasse. Danke euch für den herrlichen Austausch! Morgen beim Frühstück geht es vermutlich weiter. Aber ihr seid auch schuld daran, dass ich heute keine Retrospektive zur Halbzeit schreiben kann, ist nämlich schon wieder spät. Halbzeit ist aber auch erst morgen, und da wird vermutlich wirklich weniger passieren. Ich bleibe hier, laufe vielleicht ein wenig herum, schaue mir die eher weniger spektakuläre Stabkirche an, und werde Zeit haben zum resümieren. Inzwischen ruft ein Kauz in die Nacht, der Wind rauscht in den Bäumen. Einzig enttäuscht bin ich davon, dass ich immer noch so lange brauche, um zu erkennen, wenn ich ne Auszeit brauche. Aber diese Erkenntnis ist ja auch schon ein guter Anfang. Jetzt lass ich mich in den Schlaf Huu-Huuu-en.