Tag 22: Flink mal übers Aurlandsfjell

Früh brauche ich heute nicht aufstehen, bin aber schon um 7 wach. Irgendwie verliere ich heute ständig meine Flip-flops. Oha, da löst sich ja die Sohle ab, bei beiden gleichzeitig, und die Riemen werden locker. Also nach dem Frühstück endlich mal nen Kabelbinder verwenden. 3 Wochen ohne Reparatur waren ja auch schon Luxus.

Genau zwischen den Zehen, jetzt halten sie noch 3 Wochen. Hoffe ich.

Meine Fähre nach Flåm kommt erst um 13:20, und anders komme ich nicht weg. Verfloxt, dabei bin ich jetzt fit, bereit zum Pedalieren und Fjelle überqueren. Ich schlage die Zeit tot, aber mir ist echt langweilig. Irgendwann packt es mich, und ich packe. Und jetzt?

Mit Schwimmkörpern am Rahmen könnte ich vielleicht…. Hmmm…

Wenn ich die frisch aufgebaute Energie nicht gleich verbraten will, bliebt nur herum sitzen und warten. Im Café gibt es auch Touritand, mitunter von der ganz üblen Sorte, das muss ich zeigen.

Barocke Troll-Engelchen? Und eine Art… Krug? Hmja, schnell wegschauen, das kann nicht gesund sein, so lange da drauf zu starren.

Ein anderer Gast bekommt frisch gebackenen Apfelkuchen mit Vanilleeis. Mein Müsli ist viel zu lange her, sowas brauche ich jetzt auch. Und gerade genieße ich die gute Kost, kommt die Fähre um die Ecke. Die brauch noch ein bisschen, und abfahrbereit bin ich ja schon lange. Die Fähre fährt übrigens elektrisch und fast komplett geräuschlos. Nur das Wasser ist zu hören. Das hat echt was. Kein Knattern, Brummen, Qualmen. Immer mehr Fähren in Norwegen fahren mit Strom, das ist klasse. Jetzt endlich los nach Flåm.

Die Crew ist noch die selbe und begrüßt mich herzlich. Verstecken kann ich mich echt nicht.
Das beschauliche Aurlandsvangen, da werde ich gleich durchradeln, und dann links den Berg hoch und dahinter weiter.
Flåm ist Touridorf. Ohweh.
Eine der berühmtem Flåmsbana, die Bahn, die nach Myrdal führt, wo man Anschluss an die Bergenbahn hat, die Oslo und Bergen verbindet. Bahnstrecken sind in dieser Landschaft selten.

Ich rolle los, den Fjord zurück nach Aurlandsvangen. Dort geht der Berg los. Und was für einer. Der Garmin, den ich inzwischen auf den Namen „Piepsi“ getauft habe, verrät, dass es jetzt über 16km mit 7% Steigung auf knapp 1300m rauf geht. Auweia. Mal sehen, wie weit ich komme. Die Straße wird schnell schmal, und noch bevor ich aus dem Ort raus bin, werde ich auf die Prüfung gestellt: Lieber jetzt ne Hütte nehmen, oder die nächsten 10km mit 8% bergan? Schnell weiter, bevor genug Sauerstoff ins Hirn vordringt und zweifelhafte Denk- und Entscheidungsprozesse in Gang bringt.

Eine gute Übung für das Sognefjell, das die nächsten Tage ansteht.
Aufsteigen oder Absteige? Vielleicht gilt die Steigung ja nur für Autos, das Schild sagt nix über Fahrräder.

Die Straße ist schmal, aber arg viel befahren. Es ist Samstag und bestes Wetter, auf 600hm wurde ein Parkplatz mit Aussichtssteg errichtet, da pilgern alle hin. Bald kommen jene, die mich gerade erst überholt haben, wieder entgegen. Wenn das so schnell geht, dann kann es so toll nicht sein, und dann ist danach hoffentlich Ruhe. Unter dem Aurlandsfjell führt ein knapp 25km langer Tunnel hindurch, darum sollte hier oben eigentlich wenig los sein.

Kurz vor der Aussichtsplattform hab ich am Straßenrand dieses Motiv. Yay. Ich bin hier auf 550hm.

Der reinste Trubel da. Gerade wie ich ankomme, kommt ein Rennradler daher. Er quatschemt mich an, wir gesellen uns zueinander. Scheinbar gibt es hier weit weniger Rennradler als in Deutschland. Wir knipsen uns gegenseitig, und er mag gern mit mir zusammen fahren. Meine Warnung, dass ich sehr gemütlich unterwegs sei, beantwortet er damit, dass das völlig okay sei. Also gut, dann mal los. Mal sehen, wie weit ich durchhalte.

Lang zieht sich der Aufstieg hin. Garmin hat leider recht, da gibt es nix zu rütteln.

Eirik, so heißt mein Kumpane, ist geduldig und will auch nach mehrmaligem Angebot nicht alleine davon rasen. Können könnte er locker, ist viel fitter als ich und minimal bepackt. Er ist mit dem Zug von Oslo nach Haugastøl, dann den Rallarvegen nach Flåm, und jetzt übers Aurlandsfjell. In Lærdal nimmt er ein Hotel, und morgen fährt er die 300km bis Oslo. Wow! Irre. Und wie wir erzählen, vergehen Zeit und Höhenmeter, und auf einmal sind wir oben. Huch! So hoch war ich dieses Jahr noch nie.

Der verrückte Eirik. Abgefahren, was er fährt. Danke fürs geduldige Begleiten!

Und da war jetzt der Unterschied zwischen Sport und Reisen. Diese Auffahrt war Sport. Meine Beine sind leer und freuen sich auf die Abfahrt. Mein Puls war bei 160 und damit deutlich über dem, was für ne Reise gut ist. Ich hab auch sicher nicht so viel von der Landschaft genossen. Aber es war trotzdem total super! Denn diese Form von Sport mach ich gerne, und das hier machen zu können, ist einfach irre. Beim nächsten Urlaub mit Auto hier kommt das Rennrad mit.

Das Fjell ist fjellig, hie und da liegt noch Restschnee vom letzten Winter, es geht ein wenig auf und ab. Die 300hm, die wir hier höher sind als ich bisher war, merkt man an der Landschaft deutlich. Es wäre länglich, das beschreiben zu wollen, leider. Auch hier ist viel los, überall stehen Camper, aber kaum Weißware. Eirik erzählt, dass bis vor Corona hauptsächlich ausländische Urlauber mit WoMos unterwegs waren, aber die letzten zwei Jahre sind auch viele Norweger im eigenen Land am Reisen. Und da gerade Wochenende ist, sind hier viele Einheimische und stellen sich ins Gelände.

Fjell. Hier könnte ich ewig fahren.

Das dehnt das Jedermannsrecht ganz schön. Streng genommen ist es nämlich nur Unmotorisierten erlaubt, sich überall für eine Nacht niederzulassen. Fragt mich nicht, wozu E-Bikes zählen! Erstmal muss Norwegen mit den vielen WoMos klar kommen. Norwegen macht auch Werbung mit dem Jedermannsrecht, das findet Eirik auch nicht gut. Aber er kann verstehen, dass die Leute es nutzen. Es ist schon echt fantastisch, und die meisten gehen verantwortungsvoll damit um.

Endlich der letzte Buckel geschafft, jetzt 17km Abfahrt. Das im Hintergrund ist Jøtunheimen.

Beim Anstieg war in der Ferne der Gletscher Hardangerjøkulen zu sehen, jetzt blicke ich auf den Jostedalsbreen, den größten Gletscher weit und breit. Und Jøtunheimen ist zu sehen, da werde ich in 2 Tagen sehr nah dran vorbei kommen, wenn ich übers Sognefjell fahren werde. Oh wow. Noch größer, weiter, höher? Geht das überhaupt?

Eine Abfahrt die ist lustig, eine Abfahrt die ist schön…

Der Wind bläst kalt aus Norden. In der Sonne ist es schön, im Schatten regelrecht eisig. Dies lässt mich schnell entscheiden, dass ich übers Fjell und hinab nach Lærdal fahre, anstatt doch noch wild zu Zelten. Hmja. Irgendwie schade, aber ich freu mich auch auf ne Dusche. Die Abfahrt ist frisch, trotz langer Klamotten. Hui, früh am Morgen ohne warm gefahren zu sein wäre das hart geworden. Irre schnell verändert sich die Landschaft. Und nur wenige Fotostopps, Wasserfälle und Vegetationsstufen später sind wir unten, sehe ich den Fjord. Wieder der Sognefjord, aber ein anderer Arm – der Lærdalsfjord.

Die Sonne steht schon tief, als wir um 19:30 in Lærdal einrollen.

Eirik geht ins Hotel, ich auf den Zeltplatz direkt dahinter. Kurz überlege ich, ob nein Hotelzimmer nicht doch auch mal nice wäre., aber 150 Euro für ne Nacht schrecken mich ab. Und dann müßte ich noch essen gehen… Nee. Der Campingplatz ist leider riesig, aber ganz nett. Er liegt an der E5, ähnlich wie der in Gudvangen an der E16. Sind immerhin ja auch nur 40km Tunnel dazwischen.

Ich gehe einkaufen und checke den Busfahrplan. Oha, erst um 15:25 fährt ein Bus, und ohne komm ich nicht weiter. Ein langer Tunnel verbietet mir die Durchfahrt. Danach Fähre, und wieder ein reiner Autotunnel. Als Alternative dazu gibt es nur den Bus. Hmja. Dann kann ich morgen wenigstens ausschlafen und mich erholen. Und vielleicht fahre ich gleich bis nach Sogndal mit dem Bus, um nicht auf der E5 fahren zu müssen. Ach, das schau ich mir morgen nach dem Frühstück an.

Diesmal sind es zu viele Nudeln. Ich bin noch zu erschöpft, als dass ich so viel essen könnte, wie ich müsste. Naja, dann halt zum Frühstück.

War das jetzt cool heute, oder daneben? Radreisen war das jedenfalls nicht. Eine Nacht oben im Fjell wäre bestimmt auch schön gewesen, da würden sich jetzt keine Leute kurz vor Mitternacht laut lachend unterhalten. Aber es hat Spaß gemacht, alleine schon zu sehen, dass ich an einem Nachmittag fahren kann, was vor 3 Wochen am ganzen Tag nicht möglich gewesen wäre. Und Eirik und ich sind jetzt auf Strava verbandelt. Ich freu mich schon drauf, seine zukünftigen verrückten Touren als Inspiration zu nehmen. Das mit dem Bike Packing muss ich jedenfalls noch lernen.