Tag 28: Regenabfahrt und ins Instadal

Der Wind schüttelt nachts das Zelt gut durch, und Yr hatte recht, es regnet. Einen Wecker stell ich nicht, morgen ist es nicht weit, früh wach werde ich ohnehin. Es regnet zwar nicht beständig, aber doch immer wieder. Hm. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich den Ausblick nochmal mot weniger Wolken erleben darf. Stattdessen gibt es nur Wolken. Auch ne schöne Abwechslung. Hatte ich nicht neulich noch über zu viel Sonne und zu wenig Sonne geklagt?

Da jetzt raus? Naja, soll ja bald nachlassen. Lieber noch weiter schlummern.

Irgendwann wird es weniger, und ich quäle mich aus dem Schlafsack. Der Wind fährt nur noch sporadisch über’s Fjell und schüttelt die Tropfen vom Stoffpalast. Draußen ist es eigentlich hübsch. Das Moos leuchtet wieder saftig grün, die Flechten… nein, sie flechten nicht. Sehen aber auch wieder fit aus. Es gibt Blaubeeren, und ich glaube Wachholderbeeren, die Sträucher aber nicht höher als ne Hand breit ist. Bei mir gibt es Müsli zum Frühstück.

Landkarten aus Moos.
Kann man den eigentlich so essen? Ich bin mir unsicher, das Handy im Zelt. Verflixt.

Dann geht es los, packen. Über Nacht hatte ich die lange Unterwäsche an, war aber doch zu warm. Jetzt bereite ich mich auf ne kalte, nasse Abfahrt vor, also kurze Radlhose und Trikot, darüber die Softshellhose und das warme Langarmtrikot, darüber Regenhose, Regenjacke, Schuhüberzieher, und sogar die warmen Handschuhe pack ich aus. Endlich kommt das Zeug ordentlich zum Einsatz. Und gerade ist alles verstaut, nur die Isomatte fehlt noch, da regnet es nochmal heftig. Also nee, das warte ich ab. Ich liege im Zelt, döse, warte, lausche bedächtig dem Trommeln und Zeltgeschüttel.

Als Limit setzt ich mir 12 Uhr, dann muss ich los, damit das Zelt nachmittags noch trocknen kann. Etwas früher schon wird es besser, und ich Räume zusammen, belade das Rad. Zeltabbau ist wieder abenteuerlich, diesmal Wind von der anderen Richtung. Merkwürdig. Jedenfalls hab ich alle Hände voll zu tun, damit nichts weg fliegt. So, geschafft. Fast schon am Schwitzen, aber gleich wird es kühl. Fast 1000hm Abfahrt, aber diesmal hochkonzentriert. Trotzdem immer wieder Fotostopps, denn die Stimmung ist irre schön.

Die Wolken verziehen sich etwas, lauern jetzt weiter unten im Tal auf mich.
Schimmert da Blau durch? Später soll es sonnig werden, in Stryn ist es das angeblich bereits.
Da haben sie mich. Unter der Wolkendecke windet sich das Tal bis zum See, der windet sich weiter bis zum Fjord. Noch 40km bis Stryn.

Leichter Nieselregen begleitet mich, trocknet aber genauso schnell wie er nässt. Am See angekommen ziehe ich die Regensachen aus, die lange Hose auch. Strampeln macht warm. Und am See entlang ist es schön, die Berge kantig, von deren Höhen die Gletscher neugierig die Nasen ins Tal strecken. Knapp 20km geht es an dem See entlang, der türkisblau leuchtet, wie fast alle Gewässer hier, die von den dahinschmelzenden Gletschern genährt werden. Und es ist zur Abwechslung tatsächlich so gut wie flach, dazu ein wenig Rückenwind, heute rolltnes gut. Ich spüre auch wieder Kraft in den Beinen, das Gejammer über schlappe Schenkel sollte ein Ende haben.

Bloß ein kleiner See. Nix besonderes, nein nein. Einfach weiter fahren, gibt nix zu sehen.

Stryn. Alles hier ist nach Stryn benannt: Berge, Seen, Straßen, Dörfer, Flüsse. Der Ort selbst scheint regionales Zentrum zu sein. Hier gibt es doch bestimmt auch… jawollja! Kaffee und Süßteilchen, dazu ein Stück Marzipantorte! Das ist Nahrung für Körper und Seele, perfekt. Die Zimtkringel mit Vanillepudding sind aber auch echt fein.

Ah, Zivilisation hat doch auch was.

In Loen ist der letzte Supermarkt vor dem Zeltplatz im Lodalen, wo ich zelten will. Direkt davor steht ein Reiseradler aus Frankreich. Er ist vor 2 Monaten aufgebrochen, von Frankreich über Belgien, Niederlande, Deutschland, Dänemark nach Schweden. Corentin ist jetzt alleine unterwegs, nach 7 Wochen konnte seine Frau nicht mehr und ist nach Hause. Sie hat erst vor kurzem überhaupt Fahrradfahren gelernt und ist jetzt gleich diese große Tour gefahren! Wow. Er ist dann kurzerhand von Schweden an die Westküste Norwegens geflogen und radelt hier alleine weiter.

Das heißt, er wartet gerade auf 2 andere Franzosen, die mit dem Tandem unterwegs sind. Tandem… warte, da war doch was… Ja genau, bei der Abfahrt nach Lom bin ich an nem Tandem vorbeigekommen. Die beiden hatten gerade Pause gemacht, und ich war in Fahrt, so dass außer wildem Winken nix zu machen war. Ich geh schnell Mampf kaufen, in der Zwischenzeit trudeln die beiden ein. Chloé und Guillaume sind schon seit einem Jahr unterwegs, waren schon in halb Europa, sogar in der Türkei, und jetzt hier! Auf dem Tandem hat man noch weniger Platz für Gepäck. Ich staune und lerne.

Ein Tandem mit zerlegbarem Rahmen, so klappt es auch mit Bahn und Flugzeug. Die selbstgenähten Satteltaschen sind wahre Platzwunder.

Zu gern würde ich mich weiter austauschen aber mein Zelt ist nass, die Sonne senkt sich, ich hab Hunger. Und die 3 wollen gemeinsam weiter, müssen sich beraten. Also verabschiede ich mich flink und düse ins Instadal. Also eigentlich heisst es Lodalen, aber über Instagram ist da was viral gegangen, und jetzt strömen die Leute hierher, so dass ein Einheimischer es Instadal genannt hat. Zugegeben, die Story hab ich geklaut von Matthias, den ich in Hjelmeland getroffen habe, und der vor ner Woche hier war.

Lodalen. Jepp, definitiv instagrammable.

Auf nem kleinen, pragmatischen Zeltplatz recht weit hinten im Tal packe ich das patschnass Stoffbündel aus und hoffe, dass die letzten Sonnenstrahlen… Nee, da ist sie schon hinter dem Berg verschwunden. Na gut, das dauert jetzt etwas. Ich breite alle feuchten Sachen aus und bin froh, dass ich noch nicht mehrere Tage im Regen radeln musste. Erst mich waschen, dann darf ich auch noch die Waschmaschine benutzen und kriege einige Sachen endlich richtig sauber. Handwäsche im Waschbecken kann eben auch nur so viel. Trocknen müssen die Sachen morgen, denn der Tau fängt schon bald an, sich überall niederzuschlagen.

Alles schief. Upsi. Bin wohl beschwippst von dem Panorama. Idyllisch und so.
Improvisierte Wäscheleine, immerhin überdacht, gegen 10 kommt die Sonne über den Berg. Das passt schon.

Es lohnt sich, jeden Tag nach dem Wetter zu schauen. Eigentlich hatte ich vor, hier nen Tag Pause einzulegen. Aber nur die nächsten zwei Tage kann ich noch fahren, dann soll es 3 Tage heftig regnen. Hüttenzeit! Ich plane also, wie ich das am besten einrichte, und muss wohl wann anders länger hier bleiben. Schade. Aber im heftigen Dauerregen fahren mache ich nur, wenn es gar nicht anders geht. Vielleicht stehe ich dafür mal sehr früh auf und schaue, wie das Lichtspiel am frühen Morgen ist. Nach dem Regen heute könnte das sehr hübsch werden. Dafür muss ich jetzt aber aufhören mit Schreiben, ist eh schon wieder Mitternacht.

Gråskjegget – Graubart.

Was, äh, 4 Wochen sind jetzt rum? Ah, keine Zeit für eine Zwischenbilanz. Die kommt demnächst, wenn es regnet und ich in der Hütte sitze mit viel Zeit. Im Moment sind die täglichen Ereignisse zu intensiv, die Eindrücke so frisch, da geht das gerade nicht. Aber merkwürdig, dass „nur noch 2 Wochen“ für mich jetzt klingt, als wäre es bald vorbei. Dabei habe ich anfangs nicht gewusst, ob ich überhaupt 2 Wochen schaffe. Und jetzt… Ja, will ich überhaupt aufhören? Hmm. Na, die nächsten zwei Tage jedenfalls noch nicht.

Draußen funkeln abertausend Sterne. Sogar davon gibt es hier mehr als daheim. Daheim… manchmal soll ich meine Adresse angeben, und da muss ich echt überlegen. „Das grüne Zelt beim blauen Fahrrad“ wäre vermutlich nicht akzeptabel. Schade auch.