Tag 29: Nordfjord, Utvikfjellet, Byrkjelo

Ich stell mir den Wecker früh, denn wenn hier morgens schöne Wolkenstimmung ist, will ich das nicht verpassen. Dämmert es um 5 schon? Offenbar nicht. Also gut, 6 Uhr? Oh, dämmrig, aber ein dichter Nebelteppich hängt dicht überm Zelt, ausgebreitet auf den ganzen See. Soweit ich das beurteilen kann. Also nochmal schlummern bis um 7, aber da hat sich nichts geändert, außer dass es ein wenig heller ist. Na gut, ich schlaf einfach weiter.

Um 8 krabbel ich dann doch raus, und… Hui! Scheinbar hat sich der Wolkenteppich halbiert, und zwar der Länge nach, hängt jetzt über unsren Köpfen, während das andere Ufer bereits in der Sonne liegt. Der Chef meinte gestern, dass die Sonne gegen 10 Uhr erst über den Berg kommt, also ist gemütlich Zeit zum Frühstücken. Es gibt Blaubeermüsli und Tee.

Mystisch. Nein, nicht idyllisch. Vielleicht ein bisschen, aber mystisch trifft es besser. Ich genieße es.

Unweit strömt ein Bach in den See, dort soll es Forellen geben. Ein Norweger hat gestern Abend schon sein Glück versucht, und meinte, wenn er genug fängt, gibt er mir gern eine ab, wenn ich möchte. Ja klar, gern will ich! Er fängt genau eine kleine Forelle, die genügt nicht mal ihm zum Abendessen. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich die jetzt hier zubereiten sollte, aber er würde sie sogar frittieren.

Naja, abends wird es nix, heute früh versucht er erneut sein Glück. Ich leiste etwas Gesellschaft. Roar, gesprochen eher wie „Ru-Ar“, gönnt sich gerade ein Jahr Auszeit. Ich schätze ihn auf Anfang 50. Ruhig, freundlich, offen, interessant, den Eindruck macht er auf mich. Er lässt mich auch ein paar Mal seine selbstgebastelten Fliegenköder werfen. Aber mein Anglerglück ist nicht so dick heute. Er fängt noch eine und meint, die frittieren wir gleich, denn das muss ich probiert haben, besteht er. Na, Wäsche und Zelt müssen eh noch trocknen, ich hab Zeit, also sehr gern.

Und wie wir so sitzen und uns unterhalten, blicke ich auf, verstumme, und renne los, um die Kamera zu holen. Endlich hat es die Sonne geschafft, den Nebel zu durchdringen, reißt das erste Loch hinein, durch das wir den Berg mit Gletscher gegenüber sehen, der uns um 1300m überragt. Den Gipfel des Rammefjellbreen mit seinen 1856m sehen wir nicht, dafür sind wir zu nah dran. Aber das hat was Unwirkliches. Wir sitzen da und schweigen. Und knipsen.

Keine Ahnung, ob das Bild hier was her macht. Es war unwirklich schön.

Okay, ausgestaunt, jetzt geht es an die Forellen. In Roars Teflonpfanne mit Öl und Salz von mir werden die 2 Kleinen am Stück gebraten und anschließend genüsslich bis auf die letzte Gräte verputzt. So viel Respekt muss sein, dass da kein Fitzelchen Fleisch übrig bleibt. Sehr lecker, und was Besonderes. Unser Gespräch ist auch spannend.

So ist Roar in Japan aufgewachsen als Sohn christlicher Missionare, wurde selbst Theologe, und hat die letzten 20 Jahre in K-irgendwas-tan geholfen, die Bibel aus dem Türkischen in die dortige Sprache zu übersetzen. Er hat wohl organisiert und die Übersetzung gegen das hebräische Original gelesen, um Übersetzungsfehler zu Minimieren. Wow. Das ist jetzt fertig, also ein Jahr Auszeit. Nach Japan würde er gern, das macht aber gerade dicht, also erkundet er das eigene Land. Und dann…

Alle stehen am Ufer und glotzen und gaffen. Und hier ist das auch erlaubt, ist ja kein Verkehrsunfall, sondern Norwegen vom Allerfeinsten.
Ein bisschen später. Ich glaube, da ist das eine oder andere gute Bild in der Kamera, das gedruckt werden dürfte. Ich will hier leben.

Irgendwann kann man nicht mehr staunen, und so widme ich mich dem kommenden Wetter. Von Nordwesten rollt Regen heran, ich muss nach Südosten flüchten, und zwar schnell. Morgen ist noch schön, danach nicht mehr so, und dann wird es für ne Weile bäh. Wenn ich es bis südlich des Sognefjords schaffe, kriege ich die Bergenbahn und kann damit bis jenseits der Hardangervidda flüchten. Da soll es stabil und trocken bleiben. Je früher und je weiter ich in die Richtung komme, desto weniger pitsch patsch blubb.

So schlage ich Roars Angebot aus, mit seinem kleinen E-Auto bis ans Ende des Fjords zu fahren, sondern mache mich schleunigst auf den Weg. Heute geht es nicht so weit. Die Gegend ist weniger touristisch, und so sind die Campingplätze weniger fahrradfreundlich verteilt. Bis Byrkjelo will ich kommen, also erstmal am Nordfjord entlang und dann noch flink übers Utvikfjellet.

Die Autos durch den großen Tunnel, die Radler auf der alten Straße in Ruhe außen rum.

Außer ner Gruppe Rennradler, die sich für den samstäglichen Ausritt bereit macht und fröhlich grüßt, treffe ich keine Fahrradfahrer. Die Strecke ist recht eben, der Fjord freundlich, breit, wenig spektakulär, und ich will gern noch die letzten Sachen trocken kriegen, also gebe ich Gas und mache nur die nötigsten Pausen. Schön ist es hier, doch doch, nur halt bei weitem nicht derart zauberschön wie am Lovatnet. Stimmt schon, das mit Instadal.

Der Nordfjord ganz ruhig und still, von den hohen Bergen in der Ferne komme ich her. Dass das Wasser hier auch anders kann, lässt die Schutzmauer vor den Booten vermuten.

Und wieder finde ich es schön, mit dem Rad genau die richtige Geschwindigkeit zu haben, um das Land sich verändern zu sehen. Es geht schnell genug, so dass was passiert, aber langsam genug, dass man alles in Ruhe anschauen und aufnehmen kann. Und man kommt doch recht weit, es gibt merkliche Veränderungen. Die hohen Berge rücken ab, der 2-3km breite Fjord macht weite Kurven, die Hänge werden weniger steil.

Ah, übers Utvikfjell muss ich ja noch rüber. 620m rauf, na, das müsste doch eigentlich… viel weniger anstrengend sein! Seufz. Nee, flacher ist Norwegen über Nacht nicht geworden. Mit konstanten 8% Steigung geht es rauf, wo mich ein Skigebiet erwartet. Sehr hübsch. Hmja. Zu sehen gibt es nicht viel, alles unspektakulär, und meine Gedanken sind überwiegend bei der Wetterflucht. Also zügig die Abfahrt und in den Campingplatz von Byrkjelo gerollt, der sich als echt super herausstellt.

Letzter Blick zurück zum Nordfjord. Wir sehen uns wieder. Hier muss ich noch mehr erkunden gehen, die nächsten Jahre.
Abfahrt. Oh wow. Ich bremse mehrmals für Bilder, trotz Hunger. Auf den Zacken in der Mitte kann man rauf laufen, Eggjenibba, und die Aussicht auf den Jostedalsbreen genießen. Merken.

Richtig klasse ist, dass direkt nebenan eine Bäckerei ist, die zudem viele lokale Produkte anbietet, die es so im Supermarkt nicht gibt. Erst duschen, dann eines der letzten Brote ergattern, und im Supermarkt nebenan das Dinner erstehen. Es gibt wieder Kichererbsen in Öl und Curry angebraten, dazu Erbsen und Tomatenpatsche. Ich liebe das inzwischen! Und die Salzmenge hab ich jetzt auch gut raus.

Für den Abwasch gehe ich in die Küche, wo gerade 3 junge Mädchen in den 2 Spülbecken Rekorde in Sachen Schaumerzeugung aufstellen. Na, ich stell meinen Topf mit Löffel hin und gehe raus, um mit Zuhause zu telefonieren. Irgendwie machen die Mädels aber viel Geräusch, so schau ich doch mal rein – sie haben meine Sachen gespült! Das ist süß, und ich schaffe es, mich auf norwegisch zu bedanken. Naja, richtig sauber isses nicht, aber es genügt.

Später kommen die 3 nochmal neugierig bei mir am Zelt vorbei, fragen, ob ich heute lange gefahren sei. Naja, so 4 Stunden – erstaunte Gesichter. Aber das schwierige sei das Fjell gewesen – große Augen und offene Münder. Aber ich sei ja schon 4 Wochen unterwegs, von Oslo über den Lysefjord – niedliches Kinnladengeklapper. Ja, was alles so geht. Vielleicht hab ich gerade Träume geweckt. Vielleicht auch Albträume. Wer weiß.

Die Saison geht zu Ende, meines ist das Einzige Zelt. Letzte Nacht war hier wohl die erste Frostnacht. Ob ich morgen Eis vom Zelt abschlagen muss?
Wer entdeckt’s? Ich musste herzhaft lachen! Lokale Produkte, so so.
Ein Bildhauer verkünstelt sich hier ich konnte dem auf die Schnelle nicht folgen, aber der Tisch gefällt mir gut!

Morgen muss ich früh raus, über 90km und knapp 1000hm stehen an. Trocken wird das Zelt nicht sein, egal. Abends ne Hütte, denn übermorgen will ich schnell weiter. Auf halbem Weg der morgigen Etappe liegt der einzige Supermarkt entlang der Strecke, der sonntags geöffnet hat. Diese Details sind wichtig, brauchen erstaunlich viel Planungszeit. Essen gehen sprengt hier schnell das geplante Budget, und in verschwitzten Klamotten ist das eh für niemanden angenehm. Selbstversorgung muss ich gut planen, will ich doch nicht unnötig viel Mampf die ganze Zeit mit mir herum schleppen, aber auch von mehr als Nudeln mit Tütentomatensauce leben. Ja, so ganz aufs Geratewohl in die Welt hinein radeln, das kann ich doch noch nicht. Planen macht ja auch Spaß. Und schlafen. Aufs Schlafen freu ich mich jetzt am meisten.