Tag 6: eine kleine Stabkirche zwischendurch

Erholungstag. Wenn das hier an etwas scheitert, dann vermutlich an ner Kniesehne, die sich ein bisschen überanstrengt zeigt. Hmja, hab ja Zeit. Erstmal bleib ich liegen, denn zum einen will ich nur runter nach Dalen rollen, zum anderen tröpfelt es just da, als ich mich überwinden will, den warmen Schlafsack zu verlassen. Wirklich kalt sind die Nächte mit 10 – 15°C nicht, aber wenn man mal aufsteht, bleibt man in Bewegung – und da hab ich grad keine Lust drauf. Tobende Elstern hin oder her.

So ist es 8 Uhr, bis ich endgültig wach bin, scheinbar noch immer der Erste, der sich auf dem kleinen Platz regt. Oder die anderen krauchen in ihren Wohnwägen herum, ohne dass man was mitbekommt. Finde es irgendwie schön, mit dem Zelt unmittelbar draußen zu sein, statt in so ner Box zu sitzen. Aber zugegeben, ausprobiert hab ich es noch nicht. Mein Frühstück ist wieder Tee und Müsli: unten im Topf ein knapper Liter Tee, den ich mit der kleinen Tasse abschöpfe, so dass ich immer heißen Tee zu trinken habe. Und oben drauf weicht und wärmt das mit reichlich Kakaopulver angerührte Müsli vor sich hin. Das steht schön hoch, da kann ich direkt draus löffeln.

Schlonziger Mampf mit Seeblick. Die kleine Tasse steht daneben. Verfloxt, schon passen Bild und Text nicht zusammen.

Das „Runter“ gestaltet sich überraschend steil aufwärts. Aber es ist ruhig, halbwegs hübsch hier, und so hechle ich mich voran, inklusive Pause nach 250hm – das muss ich mir jetzt angewöhnen. Und dann rollt es doch sehr nett, und ganz unversehens kommt die Stabkirche von Eidsborg um die Kurve. Wegen dieser habe ich die Route so gewählt, denn diese wundersamen Gebäude sind immer nen Besuch wert. Diese steht seit über 800 Jahren, also etwa so lange wie die Strahlenburg in Schriesheim. Nur jene ist aus Stein, diese aus Holz. Klar, da kam kein Ritter und hat sie bekämpft. Im Gegenteil wurde die Kirche viel gepflegt und umgebaut, bis sie auf einen älteren Stand restauriert wurde, aber immer noch als Kirche von der Gemeinde genutzt wird.

Niedlich, uralt, und immer noch genutzt, die Stabkirche von Eidsborg
Drinnen wurde alles lustig bemalt, teils übertäfelt, umgestaltet, erst spät befenstert… Lange Geschichte
Rechts ist einer der 4 Stäbe dieser kleinen Kirche, also senkrecht in der Erde steckende Baumstämme, welche das Gebäude tragen.
Die Holzschindeln wurden original mit Holznägeln befestigt.
Der verkohlte Look kommt von der Pflege: alle 3 – 6 Jahre wird die Kirche mit Teer eingepinselt. Deshalb duftet es auch so herrlich harzig!

Im angeschlossenen Telemarkmuseum gibt es, wär hätte es vermutet, Waffeln mit Kaffee! Und warum das was Besonderes hier ist, muss ich euch einfach zeigen. Man bekommt eine kleine Auswahl an Rømme und Marmeladen, mit denen man sich die Waffel dick belädt und dann mit der Kuchengabel zum Kaffee isst. Das gibt es nur hier. Ah, und das Museum war auch echt sehenswert

Vaffler med rømme og syltetøy
Die Bunad ist die traditionelle Tracht der Norweger. Jeder hat eine, und mindestens am 17. Mai, dem Nationalfeiertag, wird sie ausgeführt.
Grasdächer gibt es nicht nur im Museum. Für mich gehören sie schon zum normalen Landschaftsbild, aber ich schaue, dass ich ein paar Hübsche ablichten werde.

Wie ich gerade wieder aufs Rad steigen will, quatscht mich ein Norweger an, der mit seinen 67 Jahren schon über 40 mal an dem Radrennen Trondheim – Oslo mitgemacht hat (sein Rekord: 14 Stunden für 580km) und in Norwegen jede Straße kennt. Wirklich jede. Er fragt mich nach meiner Route aus und gibt mir für jeden Abschnitt Tipps! Wow. Läuft. Und dann läuft es endlich wirklich bergab, hinunter nach Dalen.

Endlich mal so steil runter. Naja, morgen früh geht es ebenso wieder rauf. Ist mir heute aber total egal.
Dalen. Links der Zeltplatz, rechts ganz hinten die richtigen Berge.
Kein Fjord, nur ein See, der Bandak. Aber ganz sicher auch von nem Gletscher ausgehobelt. Ist das Ende des Telemark-Kanals.

Der Zeltplatz ist super! Der Besitzer schreibt auf der Website, dass er seine Reiseerfahrung einsetzt und einen wirklich schönen Platz gestaltet. Mit den besten Methoden eines Researchers und Designers gelingt es ihm, einen der besten Plätze zu gestalten, die ich kenne. Als Beispiel die Dusche: viele Kleiderhaken, Spritzschutz für die Sachen, kein Münzautomat, und nicht direkt neben den Toiletten, dazu sauber und hell. Er ist mit den Duschköpfen noch nicht ganz zufrieden und will sie austauschen. Hier komm ich wieder her – auch, weil es einiges zu unternehmen gilt, wie z.B. nördlich des Sees 3 Stunden lang entlang der oberen Kante nach Lårdal wandern und mit der Fähre zurück fahren. Hütten gibt es auch auf fast allen Zeltplätzen zu mieten, kosten so ab 40 Euro. Ausstattung und Zustand variieren stark, da weiß man vorher nie genau, was man bekommt. Ist aber eine schöne Alternative zum Zelten, wenn man ohne WoMo reist. Hotels sind völlig überteuert und eigentlich nur für Geschätsreisende, bei denen die Firma zahlt. Aber ich bleib im kleinen grünen Stoffpalast und habe hier sogar ne Steckdose auf der Zeltwiese!

6 Haken für Klamotten, dazu die Bank! Blanker Luxus. Das Holzdingens war nur in meiner Dusche auf dem Boden, keine Ahnung.
Konnte leider keinen Blick rein werfen
Der See diesmal ein bissl weiter weg, dafür drum herum Wasser. Der Platz liegt auf ner Insel. Bin später noch etwas von der Lampe abgerückt.

Im Supermarkt mache ich fette Beute, vor allem aber Voltaren für die Sehne. Wünscht mir Glück. Zur Not gibt es ne Pause demnächst. Aber noch geht es gut, ohne dass es zu arg wird. Auch ganz besonders: frische Paprika, die ich in reichlich Olivenöl anbrate, dann die Kichererbsen ein bisschen mitschmurgeln lasse, und mit Tomatenpulpe ablösche. Dazu Pesto rein und genau richtig viel Salz dazu. Fast hätte ich sogar ne Zwiebel gekauft… Vielleicht morgen.

Morgen Brot (und was für eines!) zum Frühstück, Osaft jetzt gleich, den Apfelsaft für unterwegs. Und Nøkkelost ist Kümmelkäse, den kenn ich auch nur von hier. Mjam.

Einmal noch zum Wasser latschen, und den Ausblick von ganz vorne unten genießen. Das beendet den Tag für mich dann auch. Irgendwie war ich heute teils echt verwirrt, keine Ahnung warum. Ob das die Nachwirkung des gestrigen schönen Tages war? Oder die Zusicherung mehrerer Norweger, dass ich die Tour packen werde und ich mir allmählich wirklich vorstellen kann, es durchzuhalten?

Hey, eins sei gesagt: so hübsch das alles hier ist, ist es auch echt anstrengend. Ich mach das nicht einfach mal eben so, das ist alles hart an der Grenze. Nicht nur das Radeln, sondern… alles. Die Umstellung ist heftig: vorher 6h zoomen am Tag, ewig vor dem Rechner hocken, und die ganze Zeit über so total abstrakte Sachen wie Unternehmenssoftware diskutieren, sinnieren, schwadronieren und lästern, das Ganze durchgetaktet von einem sich erbarmungslos wie von selbst füllenden Terminkalender. Und jetzt? Ständig die Wahl haben, ständig selbst Entscheidungen treffen was ich tun will, alles mit mir selbst ausmachen, nur in Abstimmung mit Körper und Wetter, dazu den ganzen Tag in Bewegung. Ich gewöhne mich allmählich, denke ich. Hoffe ich. „Ja klar, wirst du schon! Gib dir Zeit.“ sagst Du jetzt vermutlich. Noch hoffe ich drauf. Bald werde ich hoffentlich auch dran glauben können 🙂

Für die Zahlenliebhaber: 700 Meter erhebt sich die Wand links über den See. Für alle anderen: einfach zauberschön.