Tag 31: Zurück über den Sognefjord

Gut geschlafen hab ich, oh ja. So ein Bett hat was für sich, zur Abwechslung. Nur seltsam ruhig ist es in einem Haus, wenn man so lange keine akustische Isolation hatte. Irgendwas mieft. Ich fürchte, ich muss doch mal gründlich alles prüfen, denn müffelnd will ich nicht in Supermärkte und Cafés einfallen. Am Pausentag dann, der ja auch immer Waschtag ist.

Gut gefrühstückt fällt mir ein, dass ich ja etwas Tee in die Flaschen füllen kann. Das gibt vielleicht nen extra Schub den Tag über. Ich hab ja Flaschen aus Edelstahl, denn ich mag den Plastikgeschmack einfach nicht, den jedes Wasser nach ner Weile in den üblichen Trinkflaschen annimmt. Da hab ich schon bestes Quellwasser, das mag ich auch so genießen, eben mit etwas Tee oder Blaubeersirup. Nur den Nuckelaufsatz hätte ich daheim lassen können. Beim Rennradfahren will man ja keine Sekunde verlieren oder den Tritt unterbrechen, nur um den Durst zu löschen, aber ich trinke eigentlich immer nur im Stillstand, damit tut es dann auch ein einfacher Schraubverschluss.

So, genug geplant und vorbereitet, jetzt packen und Hütte putzen. Das Rad schiebe ich den kurzen, aber steilen Pfad hinauf, trage die Taschen hinterher und belade dann zwischen Blaubeeren das Schlachtross. Um 9 Uhr geht es los, und zwar gleich achterbahnartig bergauf.

Einerseits wüsste ich gerne, wie viel die Karre derzeit wiegt, andererseits bin ich froh, es nicht erfahren zu können.
Blick zurück. Das ist Nieselregen da hinten. Im Norwegischen heißt das „Yr“. Die Regeln der effizienten Sprachevolution lassen vermuten, dass es Yr hier öfter gibt als in Süddeutschland.
Die Birken haben es echt nicht leicht hier oben. Die Formen reichen von lustig über gruselig bis bemitleidenswert.

So richtig flink kletterte ich die Steigung heute nicht rauf. Vermutlich ist ein Pausentag wirklich dringend nötig. Dafür ist außer leichtem Yr das Wetter brav, die Landschaft hübsch, und in kurzen Sachen geht es bei 8°C mit überschaubar viel Schwitzen ran. Oben wie immer schnell warm anziehen, denn ohne Steigung wird es schnell kühl. Und dann endlich, nach der langen Auffahrt auf das Gaularfjellet, kommt die steile Abfahrt.

Aber erst der Ausblick. Genau an der Kante hat sich ein Architekt verausgabt und im Dreieckstil eine merkwürdige Kombination aus Toilette, Infopunkt, Ausblick und Tribüne geschaffen. Ob es hier Veranstaltungen gibt? Konzerte gar? Ich wüsste spontan nicht, welche Art Musik zu dem Traum aus Stahlbeton inmitten urzeitlichen Fjells passen würde. Vermutlich bin ich einfach Banause, und Architekturfans wären begeistert, das mag ich nicht ausschließen.

Dreieckstraum inklusive Solarpanels. Wo ich stehe gibt es folgenden Ausblick…
Das hat was von Kalligraphie.

Die Geräusche während der Abfahrt wechseln. Leises Rollen geht in das Summen der Reifen über, wird abgelöst vom Rauschen des Windes, übertönt nur vom vollkehligen Jubelschrei „Woohooo!“ oder wahlweise auch „Yippiiieh!“, gegen Ende auch noch weniger klar artikuliert. Aber erst setzt vorsichtig das kontrollierte Schleifgeräusch der Bremsen ein, das Sturmtoben nimmt ab, die Reifen rollen laut, die Bremse jetzt auf Höchstleistung. Dann in die Spitzkehre, die Reifen geben jetzt alles, das gröbere Seitenprofil brummt um die Kurve, Bremse schnell lösen und schon rauscht der Wind wieder um die Ohren. Wuuusch.

Natürlich braucht es volle Konzentration, denn unversehens tauchen Bodenwellen auf, gilt es doch mal ein Schlagloch zu umkurven, was mit dem trägen Bock kein Leichtes, mit meiner bisweiligen Übung aber gut machbar ist. Bremspunkte wollen gut gewählt sein, denn die meiste Bremsleistung überlasse ich dem Fahrtwind – je schneller ich rolle, desto länger halten die Bremsbeläge. Gut für die Umwelt und so. Und trotzdem will ich die Landschaft sehen, das Rollen genießen, die hart erstrampelte Belohnung. Intensiv ist das.

10 Minuten und 650hm später erblicke ich den Sognefjord. Fotostopps zwischendurch waren diesmal nicht drin, mangels Lust zum Anhalten.
Die Fjordabstinenz war nicht lange, und doch bin ich wieder verzaubert.

Wann mach ich heute eigentlich Pausen? Hmm, jetzt nicht, jetzt ist mir kühl. Oben auf dem Fjell hatte ich gleich lange Sachen angezogen, für die Abfahrt die Regenjacke drüber. Die ist winddicht und hat mich vor dem Erfrieren gerettet. Die dicken Handschuhe hab ich leider tief in einer der hinteren Taschen vergraben, so sind auch die Fingerchen etwas ausgekühlt. Erstmal warm strampeln. Bis zur Fähre sind es ja nur 15km am Fjord entlang.

Von da hinten kam ich.
Kunst am Fähranleger. Ah ja.

Die Fähre ist bald da, kostet mal wieder nichts für Radler, da Teil des Straßennetzes. Es gibt wieder einen Salon, also Sitzplätze im Warmen, und auch Kaffee. Zumindest theoretisch. Erst wird die Maschine gereinigt, dann will sie kein Handy per kontaktloser Bezahlung. Letztlich fische ich die Kreditkarte aus dem Geldbeutel und stecke sie ein – und schon gibt es heißen, schwarzen Kaffee. Das tut gerade gut. Der Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass ich die Wetterflucht nicht zu früh angetreten bin. Im Süden hängen die Wolken hingegen höher, wirken heller.

Die App Norgeskart ist übrigens auch super. Die hat nicht nur das staatliche Kartenmaterial mit irrer Auflösung samt Offline-Fähigkeit, sondern auch die Seekarten, unter anderem. So kann ich immer schauen, wie tief der Fjord hier gerade ist, und schlucke heftig, als ich sehe, dass es unter mir gerade über 1000m tief hinab geht. Das ist Tiefsee mitten im Landesinneren, 80km von der eigentlichen Küste entfernt. Genauer, das ist schon die Grenze zum Bathypelagial. Ich brauche ne Weile, bis ich merke, dass mir der Mund offen steht.

Ich bin immer noch fasziniert davon, dass Fähren fester Teil der Straßen sind.
Blick nach Norden, wo ich herkomme. Puh.
So viel Technik im Einsatz, um Natur zu genießen. Naja, mit dem Ruderboot hätte ich nen Tag extra einplanen müssen.

So, noch 15km, 400hm, eine Stabkirche und Einkaufen trennen mich von der nächsten Hütte. Ich mag die ersten Meter rauf zum Vikafjell heite schon machen, dann wird die Etappe nicht so hart. Oh, und ein Zaun trennt mich von prall gefüllten Apfelkisten. Oha, ich hab Hunger, außer nem kleinen Stückchen Marzipan unterwegs noch nichts gegessen. Aber gleich bin ich am Supermarkt, da geht bestimmt was. Nur 10km bis dahin…

Reiche Ernte.
Der 2,8km lange Tunnel ist für Radfahrer gesperrt, dafür die alte Straße am Ufer entlang prima in Schuss. Und ruhig. Es ist verblüffend ruhig hier, sobald der Verkehr außer Hörweite ist.

Der Sognefjord, und ich weiß, ich wiederhole mich, aber trotzdem, diese Erfahrung muss ich mitteilen. Also, der Sognefjord ist gewaltig. Ich habe versucht, das mit Fotos einzufangen, oder mit Videos. Es gelingt nicht. Ich habe überlegt, wie ich das beschreiben kann. Ich kann nicht. Nicht angemessen, erscheint mir. Es folgt ein Versuch.

Den Lysefjord kann man einfach überblicken, der ist 40km lang, also steigt man auf den Preikestolen und schaut drauf. Passt. Den Hardangerfjord bin ich von Odda bis Ulvik entlang gefahren, dafür hab ich eineinhalb Tage gebraucht. Krass, aber erfahrbar im eigentlichen Sinne des Wortes. Ander der Sognefjord, den ich nun schon mehrere Tage begleitet, aber dennoch nur gestreift habe. Ich habe, in Vik angekommen, ein Bild gemacht, das sieht so aus, als würde man den Sognefjord entlang schauen. Aber das ist quer rüber! Okay, in nen kleinen Seitenarm rein, aber trotzdem. Völlig irre.

Blick quer (!) über den Sognefjord. Standpunkt auf Google Streetview

Ich sammel mich und gehe shoppen: Kekse, Saft, Dinner, Ertestuing, Erdnussbutter. Backwaren… nee, die sehen nach nix aus hier. Da gibt es bestimmt was Besseres im Ort. Nachdem ich die reiche Beute verstaut habe, frage ich eine Frau, die aussieht, als würde sie antworten. Tatsächlich hat sie eine Empfehlung, wir unterhalten uns noch kurz und ich bringe sie zum Träumen, wie sie möglichst bald, wenn die letzten Kinder aus dem Haus sind, auch mal länger frei machen und unterwegs sein können. Mir knurrt der Magen.

Dafür ist der empfohlene Käsekuchen so lecker, dass das erste Stück verdampft, bevor die Kamera gezückt ist. Den Himbeersaft, für den Vik berühmt ist, gönne ich mir später. Jetzt bin ich startklar für die Stabkirche, die sich mir in den Weg geschlichen hat. Tatsächlich hab ich sie zufällig auf Google Maps gesehen, als ich die Details für heute ausbaldowert habe. Die Bilder sehen hübsch aus, ich hab noch Zeit, da wenig Pausen gemacht, also los.

Nom. Nomnomnomnomnom.
Ein Erdbeerfeld! Allerdings bestens gesichert hinter 2 Meter hohem Elektrozaun. Ob sonst die Elche alles aufessen würden?

Von der Stabkirche Hopperstad hatte ich noch nie gehört, dabei ist sie besonders. Denn um 1870 wurde sie von einem perfektionistischen Architekten restauriert, und zwar weitgehend in den ursprünglichen Zustand zurück versetzt. Bei den meisten Stabkirchen werden die Umbauten, die über die Jahrhunderte vorgenommen wurden, als Teil der Geschichte genommen. Hier wurde jedoch weitestgehend alles zurückgebaut, so dass man einen guten Eindruck davon bekommt, wie sie vor 900 Jahren wohl war.

Ich bin gerade der einzige Besucher und bekomme quasi eine Privatführung, kann viele Fragen stellen und Vergleiche zu den bereits besuchten Stabkirchen ziehen. Das ist sehr spannend. Anschließend habe ich ausgiebig Zeit zum Fotografieren. Draußen herrscht eh gerade wieder Yr, so dass ich mir Zeit lasse. Endlich wieder richtig Spaß mit der Kamera. Hier muss man mal zu zweit her, einer mit Taschenlampe, der andere mit Stativ und Kamera.

Stabkirche Hopperstad. Richtig schön passend die finstere Blutbuche.
Einer der Drachenköpfe, der etwas vor Witterung geschützter steht, ist tatsächlich 900 Jahre alt. Aus Holz!
Blick vom Boden senkrecht hoch. Sorry für die Schlieren, zu spät gesehen.
Der Teer zieht Zapfen vom Dach. Der Regen perlt prächtig vom geteerten Holz ab.
Hier wird gerade geteert. Jede Schicht ist wirklich dünn, ganz tropffrei geht es aber nicht.

So, schon 16:30, Zeit für die letzten 300hm, die sich ganz schön ziehen. Garmin aka Piepsi zeigt mir schon den ganzen Anstieg an, von dem ich heute aber nur ⅓ bewältige. Das genügt mir auch vollauf. Endlich biege ich ein zum Tistel Camping. Die haben wegen der Pandemie auf ihre 2 großen Hütten reduziert, und genau eine ist frei. Heute früh hatte ich angerufen und reserviert, sicher ist sicher. Wieder runter rollen zum großen Zeltplatz hätte ich nicht gewollt. Ah, und schön ist das Häuschen.

Regen macht die Berge schön.
Nein, das ist nicht meine Unterkunft, aber ich mag die alten Scheunen und Schuppen. Auch hier der Nagerschutz schön ausgearbeitet. Andere haben eine Schieferplatte auf den Grundpfosten liegen.
Zufrieden. Hinten unten der womöglich erstmal letzte Blick auf nen Fjord.
Dusche, Sachen waschen, wohlfühlen.

Ich checke das Wetter, und es scheint, als wären die beiden nächsten Tage nur etwas nieselig. Also kann ich hier einen Tag Pause machen. Juhuuu! Das fühlt sich sofort gut und richtig an. Und kaum setzt sich das gute Gefühl tief in die Bauchgegend, empfinde ich gleich die Vorfreude, gut erholt und kräftig über das Vikafjell fahren zu können. Denn ganz ehrlich, wenn man nicht wie gewohnt vom Fleck kommt, ist der Spaß irgendwann auch begrenzt.

Mein Lieblingsrezept: Kichererbsen in Öl, Curry, Salz anbraten bis sie irre kichern, dann den Rest dazu. Wenn gut heiß, dann fertig.

Morgen bleibt mein Reiserad an der Hauswand stehen. Ich muss nochmal einkaufen gehen, also 350hm runter, aber das geht mit Bus, per Anhalter oder zu Fuß. Vielleicht erkunde ich den Ort ein wenig, das dürfte aber schnell gehen. Und dann lege ich die Füße hoch, mach Feuer im Holzofen und regeneriere vor mich hin.

Ich habe jetzt einen Monat lang niemanden getroffen, der mich kennt. Von den Reaktionen derer, denen ich begegne, glaube ich darauf schließen zu dürfen, dass dieses Selbstexperiment am gelingen ist. Ziel war ja, den Kopf frei zu kriegen, im Hier und Jetzt sein, aber tätig, ungebunden aber zielgerichtet. Das tut gut, das kriege ich gespiegelt von all den Zufallsbegegnungen. Ich bin gespannt darauf, wie mich diejenigen wahrnehmen werden, die mich schon gut kennen. Bis dahin werden aber noch ein paar Wochen vergehen. Aber jetzt ist es doch spät geworden, morgen kommen mir bestimmt noch einige Gedanken dazu. Heute irgendwie nicht mehr.