Tag 32: Pause im Nebel

Früh geht es wieder raus, denn ich will nicht den Schlafrhythmus stören, und mit der Vermieterin Marita Tistel gleich morgens ins Dorf runter fahren, um den Einkauf zu erledigen. Etwas planlos stöbere ich als nahezu einziger Kunde durch den großen Supermarkt und weiß, frisch vollgefrühstückt, gar nicht, worauf ich heute Abend Lust haben könnte. Nunja, es findet sich Tiefkühlgemüse und Kartoffelpüree, kurz Pü, aus der Tüte. Das ist das doofe, wenn man alleine unterwegs ist: die meisten Portionen sind zu groß, und ich will vermeiden, unnötig Wasser in Form von nicht-trockenen Lebensmitteln herum zu tragen.

Ein paar Kaminanzünder und ein leerer Karton werden mir später helfen, den Ofen zu heizen. Wirklich kalt ist es nicht, Wärme tut aber gerade gut. Und wie ich durch die erste Straße schlendere, bewaffnet mit Kamera und dem Teleobjektiv im Gepäck, wird mir klar, dass ich einfach nur die Beine hochlegen will. Um 9 fährt der Bus vom Kommunehuset wieder rauf, den nehme ich. Ein Foto vom Ufer des Fjords gibt es noch, dafür ist Zeit.

Eigentlich ist Vik i Sogn ein knuffiger Ort. Mehrere Cafés, eine Pizzeria, ein großes Gemeindehaus, viel Aktivität und sogar eine weltbekannte Softwarebude, Highsoft, gibt es hier. Die Bevölkerung beträgt seit vielen Jahren rund zwoeinhalb tausend, wobei sie derzeit etwas überaltert, verrät mir Marita. Sie selbst ist Bäuerin, Apothekerin und Hüttenvermieterin, hat also 3 Jobs. Und Mutter. Gestern haben 2 Kühe gekalbt. Ob sie geschlafen habe? Ja, ach, dafür sei im Winter Zeit.

Ihr gefällt es hier immer noch sehr, und sie geht auch gern und oft raus zum Wandern und Natur genießen. Das höre ich von vielen Norwegern, die in solch schönen aber eben auch etwas abgelegenen Gegenden wohnen. Ich habe die Frage öfter gestellt, ob sie von hier seien, und sie es hier immer noch schön finden, oder nicht doch mit der Zeit abstumpfen oder gern woanders hin wollten. Alle haben sofort, ohne Zögern, ohne aufgesetzte Freundlichkeit oder „muss man jetzt ja so sagen“-Getue gesagt, dass sie gerne hier sind. Aina ist nach der Schule von Sogndal an die Südküste, ist aber wieder zurück und nennt nun Jøtunheimen ihren Backyard, ihren Park hinterm Haus. Und das stolz und breit grinsend.

Für die Sicht oberhalb von 50 Metern gilt der Premium-Tarif, der ist nicht inklusive. Buchen Sie noch heute…

Ich buche die Busfahrt, und die bringt mich zügig nach oben. 3 Euro für 350hm sind ein fairer Deal, finde ich. Unten liegt schwer die Wolkendecke knapp über dem Wasser, oben, also nicht oben sondern eher nicht-ganz-so-weit-unten, wechselt es. Mal in der Wolke, mal zwischen den Wolken. Spannende Fotos könnten das werden, aber ach, dabei kann man kaum die Füße hochlegen. Keine Fototour heute.

Ja, es gibt auch faule, füllige, lahme Norweger. Nicht alle sind Sportskanonen. Als wir 2010 das erste Mal hier waren, haben wir irgendwann angefangen, nach beleibten Leuten Ausschau zu halten, und sehr wenige gesehen, die nicht offensichtlich Touristen waren. Seither habe ich oft erzählt, dass die Leute hier alle sooo sportlich seien. Das hat sich stark geändert. Darauf hab ich auch einige einheimische Bekanntschaften angesprochen, und die meinten, es sei eine Mischung aus Faulheit, Luxus, Smartphones und Ernährung. Statistiken über die Jahre wären da echt interessant, zusammen mit ein paar Studien, wie sich das Alltagsleben hier verändert hat.

Jetzt wurde auch der Basis-Tarif nochmal gestutzt. Auch gut, dann gibt es überhaupt keine Versuchung, den Pausentag durch unnötiges Herumlaufen zu stören.

In 9 Tagen sehe ich Anja wieder. Juhuu, endlich! Sie kommt mit dem Auto her, wir treffen uns, und verbringen hier noch ein paar Wochen zu zweit. Ohne Fahrradfahren. Obwohl, vielleicht dreh ich zum Spaß mal ne Runde, mal sehen. Aber erst einmal bucht sie die Fähre, und ich suche und buche eine Unterkunft. Jetzt, da ich viel gesehen habe, und weiß, dass es tausend schöne Plätze hier gibt, kann ich mich gar nicht entscheiden. Da geht der halbe Tag dahin.

Aber jetzt ist das auch fixiert und ich habe zum ersten Mal auf dieser Reise einen festen Zeitrahmen. Die Variable in der Gleichung ist nun hauptsächlich das Wetter, und so überlege ich Routenoptionen, knoble mit Strecken und Höhenmetern, jongliere mit Zeltplätzen. Es gibt schon noch einige Strecken, die ich gern fahren würde. Und da ich zurück in das Gebiet komme, in dem ich die ersten Tage gefahren bin, staune ich nicht schlecht darüber, was ich mir inzwischen alles zutraue. Yeah, das wird cool!

Das Blümchen hat dem Premium-Tarif gebucht. Ich gucke verstohlen aus zweiter Reihe mit.

Ich prüfe nochmal das Fahrrad, und tatsächlich ist nichts zu tun. Die Bremsbeläge reichen für nochmal so viel. Der Luftdruck hält locker 10 Tage ohne 1 Bar abzusinken, aber den sollte ich morgen mal wieder prüfen. Ich fahre die Schwalbe Mondial, ausgewiesene Reiseradreifen, mit 4,5 bar. Die fahren auch noch mit 3 bar, dann halt mit viel mehr Rollwiderstand, aber komfortabler, und noch lange nicht grenzwertig.

Dank kga und Julian, die mir geholfen haben, die Speichenspannung vor der Tour zu prüfen, hat auch kein Rad nen Schlag oder Achter, kein bisschen. Dabei müssen die Laufräder einiges ab können, denn der Rahmen ist ungefedert und schwer bepackt. Noch sollte ich die Reise nicht vor dem Ende loben, aber mit so wenig technischen Problemen, also genau null Probleme am Fahrrad, hatte ich nicht zu hoffen gewagt. So, das ist geschrieben, mal sehen, was morgen passiert. Naja, 3 mal am Tag fährt auf der Strecke ein Bus.

Wirklich gefährlich war tatsächlich die kurze Probefahrt eben, bei der ich die Bremsen geprüft habe. Das letzte Mal, als ich das Rad unbeladen gefahren bin, war in Undredal, also vor gut 2 Wochen. Jetzt legt es mich fast hin, ich habe Mühe, den Lenker zu halten und geradeaus zu fahren! Hilfäääh! Schnell zurück, ohne Gepäck kann ich das nicht mehr. Morgen werde ich ja eh sehen, ob die Bremsen in Ordnung sind.

Erinnert an Schwarz-Weiß-Fernsehen. Vielleicht ist das der Grün-Grau-Tarif?

Der Ofen heizt schön. Das ist ein alter Jøtul 600, den ich aber noch lange nicht beherrsche und somit ständig am regulieren bin. Mach ich zu lange nix, verpufft das Holz regelrecht, oder die Flamme geht aus. Wie ich den korrekt belade, und ob das Holz überhaupt taugt, das weiß ich alles nicht. Macht aber Spaß, damit den Tag zu verbringen. Und es wird besser mit der Zeit. Entweder hat das alte Gusseisen Mitleid mit mir, oder ich lerne tatsächlich dazu. Jedenfalls ist es schön warm, Tee und Erdnüsse und Schokolade und Himbeersaft schmecken prächtig.

Die Beine, ja, ich will nicht meckern, neinnein, kein Gejammer. Es ist aber spannend zu fühlen, wie die Kraft zurückkehrt. Die alte-Männer-Geräusche lassen allmählich nach und ich bin zuversichtlich, dass ich wieder einige Tage strampeln kann. Ich freu mich auch drauf. Mit Wolken, Nebel, Nieselregen wird es dann wohl die authentisch norwegische Erfahrung, die mir ja fieser Weise bisher vorenthalten blieb.

Ein bisschen schade ist es ja schon, dass das Ende dieser Reise, und damit auch dieses Blogs, absehbar ist. Zumindest die erste Staffel ist bald fertig. Wann die zweite Staffel erscheint? Hm, da kann ich leider gerade gar keine Aussage zu machen. Aber die nächsten Folgen sind ungekürzt, und wer weiß, vielleicht kommt ja noch ein großes Finale. Vielleicht auch nicht. Ist ja alles Impro-Theater hier. Das ist auch ein ziemlich improvisierter Schluss für heute. Ist schon wieder spät, und auch wenn meine Uhr bestimmt schon wieder glaubt, ich schlafe schon längst, müssen jetzt die Augen zu. Ein letzter Blick auf Yr genügt mir als Cliff Hanger vollends.

Wir sind doch noch heiße Freunde geworden.