Tag 32: Pause im Nebel

Früh geht es wieder raus, denn ich will nicht den Schlafrhythmus stören, und mit der Vermieterin Marita Tistel gleich morgens ins Dorf runter fahren, um den Einkauf zu erledigen. Etwas planlos stöbere ich als nahezu einziger Kunde durch den großen Supermarkt und weiß, frisch vollgefrühstückt, gar nicht, worauf ich heute Abend Lust haben könnte. Nunja, es findet sich Tiefkühlgemüse und Kartoffelpüree, kurz Pü, aus der Tüte. Das ist das doofe, wenn man alleine unterwegs ist: die meisten Portionen sind zu groß, und ich will vermeiden, unnötig Wasser in Form von nicht-trockenen Lebensmitteln herum zu tragen.

Ein paar Kaminanzünder und ein leerer Karton werden mir später helfen, den Ofen zu heizen. Wirklich kalt ist es nicht, Wärme tut aber gerade gut. Und wie ich durch die erste Straße schlendere, bewaffnet mit Kamera und dem Teleobjektiv im Gepäck, wird mir klar, dass ich einfach nur die Beine hochlegen will. Um 9 fährt der Bus vom Kommunehuset wieder rauf, den nehme ich. Ein Foto vom Ufer des Fjords gibt es noch, dafür ist Zeit.

Eigentlich ist Vik i Sogn ein knuffiger Ort. Mehrere Cafés, eine Pizzeria, ein großes Gemeindehaus, viel Aktivität und sogar eine weltbekannte Softwarebude, Highsoft, gibt es hier. Die Bevölkerung beträgt seit vielen Jahren rund zwoeinhalb tausend, wobei sie derzeit etwas überaltert, verrät mir Marita. Sie selbst ist Bäuerin, Apothekerin und Hüttenvermieterin, hat also 3 Jobs. Und Mutter. Gestern haben 2 Kühe gekalbt. Ob sie geschlafen habe? Ja, ach, dafür sei im Winter Zeit.

Ihr gefällt es hier immer noch sehr, und sie geht auch gern und oft raus zum Wandern und Natur genießen. Das höre ich von vielen Norwegern, die in solch schönen aber eben auch etwas abgelegenen Gegenden wohnen. Ich habe die Frage öfter gestellt, ob sie von hier seien, und sie es hier immer noch schön finden, oder nicht doch mit der Zeit abstumpfen oder gern woanders hin wollten. Alle haben sofort, ohne Zögern, ohne aufgesetzte Freundlichkeit oder „muss man jetzt ja so sagen“-Getue gesagt, dass sie gerne hier sind. Aina ist nach der Schule von Sogndal an die Südküste, ist aber wieder zurück und nennt nun Jøtunheimen ihren Backyard, ihren Park hinterm Haus. Und das stolz und breit grinsend.

Für die Sicht oberhalb von 50 Metern gilt der Premium-Tarif, der ist nicht inklusive. Buchen Sie noch heute…

Ich buche die Busfahrt, und die bringt mich zügig nach oben. 3 Euro für 350hm sind ein fairer Deal, finde ich. Unten liegt schwer die Wolkendecke knapp über dem Wasser, oben, also nicht oben sondern eher nicht-ganz-so-weit-unten, wechselt es. Mal in der Wolke, mal zwischen den Wolken. Spannende Fotos könnten das werden, aber ach, dabei kann man kaum die Füße hochlegen. Keine Fototour heute.

Ja, es gibt auch faule, füllige, lahme Norweger. Nicht alle sind Sportskanonen. Als wir 2010 das erste Mal hier waren, haben wir irgendwann angefangen, nach beleibten Leuten Ausschau zu halten, und sehr wenige gesehen, die nicht offensichtlich Touristen waren. Seither habe ich oft erzählt, dass die Leute hier alle sooo sportlich seien. Das hat sich stark geändert. Darauf hab ich auch einige einheimische Bekanntschaften angesprochen, und die meinten, es sei eine Mischung aus Faulheit, Luxus, Smartphones und Ernährung. Statistiken über die Jahre wären da echt interessant, zusammen mit ein paar Studien, wie sich das Alltagsleben hier verändert hat.

Jetzt wurde auch der Basis-Tarif nochmal gestutzt. Auch gut, dann gibt es überhaupt keine Versuchung, den Pausentag durch unnötiges Herumlaufen zu stören.

In 9 Tagen sehe ich Anja wieder. Juhuu, endlich! Sie kommt mit dem Auto her, wir treffen uns, und verbringen hier noch ein paar Wochen zu zweit. Ohne Fahrradfahren. Obwohl, vielleicht dreh ich zum Spaß mal ne Runde, mal sehen. Aber erst einmal bucht sie die Fähre, und ich suche und buche eine Unterkunft. Jetzt, da ich viel gesehen habe, und weiß, dass es tausend schöne Plätze hier gibt, kann ich mich gar nicht entscheiden. Da geht der halbe Tag dahin.

Aber jetzt ist das auch fixiert und ich habe zum ersten Mal auf dieser Reise einen festen Zeitrahmen. Die Variable in der Gleichung ist nun hauptsächlich das Wetter, und so überlege ich Routenoptionen, knoble mit Strecken und Höhenmetern, jongliere mit Zeltplätzen. Es gibt schon noch einige Strecken, die ich gern fahren würde. Und da ich zurück in das Gebiet komme, in dem ich die ersten Tage gefahren bin, staune ich nicht schlecht darüber, was ich mir inzwischen alles zutraue. Yeah, das wird cool!

Das Blümchen hat dem Premium-Tarif gebucht. Ich gucke verstohlen aus zweiter Reihe mit.

Ich prüfe nochmal das Fahrrad, und tatsächlich ist nichts zu tun. Die Bremsbeläge reichen für nochmal so viel. Der Luftdruck hält locker 10 Tage ohne 1 Bar abzusinken, aber den sollte ich morgen mal wieder prüfen. Ich fahre die Schwalbe Mondial, ausgewiesene Reiseradreifen, mit 4,5 bar. Die fahren auch noch mit 3 bar, dann halt mit viel mehr Rollwiderstand, aber komfortabler, und noch lange nicht grenzwertig.

Dank kga und Julian, die mir geholfen haben, die Speichenspannung vor der Tour zu prüfen, hat auch kein Rad nen Schlag oder Achter, kein bisschen. Dabei müssen die Laufräder einiges ab können, denn der Rahmen ist ungefedert und schwer bepackt. Noch sollte ich die Reise nicht vor dem Ende loben, aber mit so wenig technischen Problemen, also genau null Probleme am Fahrrad, hatte ich nicht zu hoffen gewagt. So, das ist geschrieben, mal sehen, was morgen passiert. Naja, 3 mal am Tag fährt auf der Strecke ein Bus.

Wirklich gefährlich war tatsächlich die kurze Probefahrt eben, bei der ich die Bremsen geprüft habe. Das letzte Mal, als ich das Rad unbeladen gefahren bin, war in Undredal, also vor gut 2 Wochen. Jetzt legt es mich fast hin, ich habe Mühe, den Lenker zu halten und geradeaus zu fahren! Hilfäääh! Schnell zurück, ohne Gepäck kann ich das nicht mehr. Morgen werde ich ja eh sehen, ob die Bremsen in Ordnung sind.

Erinnert an Schwarz-Weiß-Fernsehen. Vielleicht ist das der Grün-Grau-Tarif?

Der Ofen heizt schön. Das ist ein alter Jøtul 600, den ich aber noch lange nicht beherrsche und somit ständig am regulieren bin. Mach ich zu lange nix, verpufft das Holz regelrecht, oder die Flamme geht aus. Wie ich den korrekt belade, und ob das Holz überhaupt taugt, das weiß ich alles nicht. Macht aber Spaß, damit den Tag zu verbringen. Und es wird besser mit der Zeit. Entweder hat das alte Gusseisen Mitleid mit mir, oder ich lerne tatsächlich dazu. Jedenfalls ist es schön warm, Tee und Erdnüsse und Schokolade und Himbeersaft schmecken prächtig.

Die Beine, ja, ich will nicht meckern, neinnein, kein Gejammer. Es ist aber spannend zu fühlen, wie die Kraft zurückkehrt. Die alte-Männer-Geräusche lassen allmählich nach und ich bin zuversichtlich, dass ich wieder einige Tage strampeln kann. Ich freu mich auch drauf. Mit Wolken, Nebel, Nieselregen wird es dann wohl die authentisch norwegische Erfahrung, die mir ja fieser Weise bisher vorenthalten blieb.

Ein bisschen schade ist es ja schon, dass das Ende dieser Reise, und damit auch dieses Blogs, absehbar ist. Zumindest die erste Staffel ist bald fertig. Wann die zweite Staffel erscheint? Hm, da kann ich leider gerade gar keine Aussage zu machen. Aber die nächsten Folgen sind ungekürzt, und wer weiß, vielleicht kommt ja noch ein großes Finale. Vielleicht auch nicht. Ist ja alles Impro-Theater hier. Das ist auch ein ziemlich improvisierter Schluss für heute. Ist schon wieder spät, und auch wenn meine Uhr bestimmt schon wieder glaubt, ich schlafe schon längst, müssen jetzt die Augen zu. Ein letzter Blick auf Yr genügt mir als Cliff Hanger vollends.

Wir sind doch noch heiße Freunde geworden.

Tag 31: Zurück über den Sognefjord

Gut geschlafen hab ich, oh ja. So ein Bett hat was für sich, zur Abwechslung. Nur seltsam ruhig ist es in einem Haus, wenn man so lange keine akustische Isolation hatte. Irgendwas mieft. Ich fürchte, ich muss doch mal gründlich alles prüfen, denn müffelnd will ich nicht in Supermärkte und Cafés einfallen. Am Pausentag dann, der ja auch immer Waschtag ist.

Gut gefrühstückt fällt mir ein, dass ich ja etwas Tee in die Flaschen füllen kann. Das gibt vielleicht nen extra Schub den Tag über. Ich hab ja Flaschen aus Edelstahl, denn ich mag den Plastikgeschmack einfach nicht, den jedes Wasser nach ner Weile in den üblichen Trinkflaschen annimmt. Da hab ich schon bestes Quellwasser, das mag ich auch so genießen, eben mit etwas Tee oder Blaubeersirup. Nur den Nuckelaufsatz hätte ich daheim lassen können. Beim Rennradfahren will man ja keine Sekunde verlieren oder den Tritt unterbrechen, nur um den Durst zu löschen, aber ich trinke eigentlich immer nur im Stillstand, damit tut es dann auch ein einfacher Schraubverschluss.

So, genug geplant und vorbereitet, jetzt packen und Hütte putzen. Das Rad schiebe ich den kurzen, aber steilen Pfad hinauf, trage die Taschen hinterher und belade dann zwischen Blaubeeren das Schlachtross. Um 9 Uhr geht es los, und zwar gleich achterbahnartig bergauf.

Einerseits wüsste ich gerne, wie viel die Karre derzeit wiegt, andererseits bin ich froh, es nicht erfahren zu können.
Blick zurück. Das ist Nieselregen da hinten. Im Norwegischen heißt das „Yr“. Die Regeln der effizienten Sprachevolution lassen vermuten, dass es Yr hier öfter gibt als in Süddeutschland.
Die Birken haben es echt nicht leicht hier oben. Die Formen reichen von lustig über gruselig bis bemitleidenswert.

So richtig flink kletterte ich die Steigung heute nicht rauf. Vermutlich ist ein Pausentag wirklich dringend nötig. Dafür ist außer leichtem Yr das Wetter brav, die Landschaft hübsch, und in kurzen Sachen geht es bei 8°C mit überschaubar viel Schwitzen ran. Oben wie immer schnell warm anziehen, denn ohne Steigung wird es schnell kühl. Und dann endlich, nach der langen Auffahrt auf das Gaularfjellet, kommt die steile Abfahrt.

Aber erst der Ausblick. Genau an der Kante hat sich ein Architekt verausgabt und im Dreieckstil eine merkwürdige Kombination aus Toilette, Infopunkt, Ausblick und Tribüne geschaffen. Ob es hier Veranstaltungen gibt? Konzerte gar? Ich wüsste spontan nicht, welche Art Musik zu dem Traum aus Stahlbeton inmitten urzeitlichen Fjells passen würde. Vermutlich bin ich einfach Banause, und Architekturfans wären begeistert, das mag ich nicht ausschließen.

Dreieckstraum inklusive Solarpanels. Wo ich stehe gibt es folgenden Ausblick…
Das hat was von Kalligraphie.

Die Geräusche während der Abfahrt wechseln. Leises Rollen geht in das Summen der Reifen über, wird abgelöst vom Rauschen des Windes, übertönt nur vom vollkehligen Jubelschrei „Woohooo!“ oder wahlweise auch „Yippiiieh!“, gegen Ende auch noch weniger klar artikuliert. Aber erst setzt vorsichtig das kontrollierte Schleifgeräusch der Bremsen ein, das Sturmtoben nimmt ab, die Reifen rollen laut, die Bremse jetzt auf Höchstleistung. Dann in die Spitzkehre, die Reifen geben jetzt alles, das gröbere Seitenprofil brummt um die Kurve, Bremse schnell lösen und schon rauscht der Wind wieder um die Ohren. Wuuusch.

Natürlich braucht es volle Konzentration, denn unversehens tauchen Bodenwellen auf, gilt es doch mal ein Schlagloch zu umkurven, was mit dem trägen Bock kein Leichtes, mit meiner bisweiligen Übung aber gut machbar ist. Bremspunkte wollen gut gewählt sein, denn die meiste Bremsleistung überlasse ich dem Fahrtwind – je schneller ich rolle, desto länger halten die Bremsbeläge. Gut für die Umwelt und so. Und trotzdem will ich die Landschaft sehen, das Rollen genießen, die hart erstrampelte Belohnung. Intensiv ist das.

10 Minuten und 650hm später erblicke ich den Sognefjord. Fotostopps zwischendurch waren diesmal nicht drin, mangels Lust zum Anhalten.
Die Fjordabstinenz war nicht lange, und doch bin ich wieder verzaubert.

Wann mach ich heute eigentlich Pausen? Hmm, jetzt nicht, jetzt ist mir kühl. Oben auf dem Fjell hatte ich gleich lange Sachen angezogen, für die Abfahrt die Regenjacke drüber. Die ist winddicht und hat mich vor dem Erfrieren gerettet. Die dicken Handschuhe hab ich leider tief in einer der hinteren Taschen vergraben, so sind auch die Fingerchen etwas ausgekühlt. Erstmal warm strampeln. Bis zur Fähre sind es ja nur 15km am Fjord entlang.

Von da hinten kam ich.
Kunst am Fähranleger. Ah ja.

Die Fähre ist bald da, kostet mal wieder nichts für Radler, da Teil des Straßennetzes. Es gibt wieder einen Salon, also Sitzplätze im Warmen, und auch Kaffee. Zumindest theoretisch. Erst wird die Maschine gereinigt, dann will sie kein Handy per kontaktloser Bezahlung. Letztlich fische ich die Kreditkarte aus dem Geldbeutel und stecke sie ein – und schon gibt es heißen, schwarzen Kaffee. Das tut gerade gut. Der Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass ich die Wetterflucht nicht zu früh angetreten bin. Im Süden hängen die Wolken hingegen höher, wirken heller.

Die App Norgeskart ist übrigens auch super. Die hat nicht nur das staatliche Kartenmaterial mit irrer Auflösung samt Offline-Fähigkeit, sondern auch die Seekarten, unter anderem. So kann ich immer schauen, wie tief der Fjord hier gerade ist, und schlucke heftig, als ich sehe, dass es unter mir gerade über 1000m tief hinab geht. Das ist Tiefsee mitten im Landesinneren, 80km von der eigentlichen Küste entfernt. Genauer, das ist schon die Grenze zum Bathypelagial. Ich brauche ne Weile, bis ich merke, dass mir der Mund offen steht.

Ich bin immer noch fasziniert davon, dass Fähren fester Teil der Straßen sind.
Blick nach Norden, wo ich herkomme. Puh.
So viel Technik im Einsatz, um Natur zu genießen. Naja, mit dem Ruderboot hätte ich nen Tag extra einplanen müssen.

So, noch 15km, 400hm, eine Stabkirche und Einkaufen trennen mich von der nächsten Hütte. Ich mag die ersten Meter rauf zum Vikafjell heite schon machen, dann wird die Etappe nicht so hart. Oh, und ein Zaun trennt mich von prall gefüllten Apfelkisten. Oha, ich hab Hunger, außer nem kleinen Stückchen Marzipan unterwegs noch nichts gegessen. Aber gleich bin ich am Supermarkt, da geht bestimmt was. Nur 10km bis dahin…

Reiche Ernte.
Der 2,8km lange Tunnel ist für Radfahrer gesperrt, dafür die alte Straße am Ufer entlang prima in Schuss. Und ruhig. Es ist verblüffend ruhig hier, sobald der Verkehr außer Hörweite ist.

Der Sognefjord, und ich weiß, ich wiederhole mich, aber trotzdem, diese Erfahrung muss ich mitteilen. Also, der Sognefjord ist gewaltig. Ich habe versucht, das mit Fotos einzufangen, oder mit Videos. Es gelingt nicht. Ich habe überlegt, wie ich das beschreiben kann. Ich kann nicht. Nicht angemessen, erscheint mir. Es folgt ein Versuch.

Den Lysefjord kann man einfach überblicken, der ist 40km lang, also steigt man auf den Preikestolen und schaut drauf. Passt. Den Hardangerfjord bin ich von Odda bis Ulvik entlang gefahren, dafür hab ich eineinhalb Tage gebraucht. Krass, aber erfahrbar im eigentlichen Sinne des Wortes. Ander der Sognefjord, den ich nun schon mehrere Tage begleitet, aber dennoch nur gestreift habe. Ich habe, in Vik angekommen, ein Bild gemacht, das sieht so aus, als würde man den Sognefjord entlang schauen. Aber das ist quer rüber! Okay, in nen kleinen Seitenarm rein, aber trotzdem. Völlig irre.

Blick quer (!) über den Sognefjord. Standpunkt auf Google Streetview

Ich sammel mich und gehe shoppen: Kekse, Saft, Dinner, Ertestuing, Erdnussbutter. Backwaren… nee, die sehen nach nix aus hier. Da gibt es bestimmt was Besseres im Ort. Nachdem ich die reiche Beute verstaut habe, frage ich eine Frau, die aussieht, als würde sie antworten. Tatsächlich hat sie eine Empfehlung, wir unterhalten uns noch kurz und ich bringe sie zum Träumen, wie sie möglichst bald, wenn die letzten Kinder aus dem Haus sind, auch mal länger frei machen und unterwegs sein können. Mir knurrt der Magen.

Dafür ist der empfohlene Käsekuchen so lecker, dass das erste Stück verdampft, bevor die Kamera gezückt ist. Den Himbeersaft, für den Vik berühmt ist, gönne ich mir später. Jetzt bin ich startklar für die Stabkirche, die sich mir in den Weg geschlichen hat. Tatsächlich hab ich sie zufällig auf Google Maps gesehen, als ich die Details für heute ausbaldowert habe. Die Bilder sehen hübsch aus, ich hab noch Zeit, da wenig Pausen gemacht, also los.

Nom. Nomnomnomnomnom.
Ein Erdbeerfeld! Allerdings bestens gesichert hinter 2 Meter hohem Elektrozaun. Ob sonst die Elche alles aufessen würden?

Von der Stabkirche Hopperstad hatte ich noch nie gehört, dabei ist sie besonders. Denn um 1870 wurde sie von einem perfektionistischen Architekten restauriert, und zwar weitgehend in den ursprünglichen Zustand zurück versetzt. Bei den meisten Stabkirchen werden die Umbauten, die über die Jahrhunderte vorgenommen wurden, als Teil der Geschichte genommen. Hier wurde jedoch weitestgehend alles zurückgebaut, so dass man einen guten Eindruck davon bekommt, wie sie vor 900 Jahren wohl war.

Ich bin gerade der einzige Besucher und bekomme quasi eine Privatführung, kann viele Fragen stellen und Vergleiche zu den bereits besuchten Stabkirchen ziehen. Das ist sehr spannend. Anschließend habe ich ausgiebig Zeit zum Fotografieren. Draußen herrscht eh gerade wieder Yr, so dass ich mir Zeit lasse. Endlich wieder richtig Spaß mit der Kamera. Hier muss man mal zu zweit her, einer mit Taschenlampe, der andere mit Stativ und Kamera.

Stabkirche Hopperstad. Richtig schön passend die finstere Blutbuche.
Einer der Drachenköpfe, der etwas vor Witterung geschützter steht, ist tatsächlich 900 Jahre alt. Aus Holz!
Blick vom Boden senkrecht hoch. Sorry für die Schlieren, zu spät gesehen.
Der Teer zieht Zapfen vom Dach. Der Regen perlt prächtig vom geteerten Holz ab.
Hier wird gerade geteert. Jede Schicht ist wirklich dünn, ganz tropffrei geht es aber nicht.

So, schon 16:30, Zeit für die letzten 300hm, die sich ganz schön ziehen. Garmin aka Piepsi zeigt mir schon den ganzen Anstieg an, von dem ich heute aber nur ⅓ bewältige. Das genügt mir auch vollauf. Endlich biege ich ein zum Tistel Camping. Die haben wegen der Pandemie auf ihre 2 großen Hütten reduziert, und genau eine ist frei. Heute früh hatte ich angerufen und reserviert, sicher ist sicher. Wieder runter rollen zum großen Zeltplatz hätte ich nicht gewollt. Ah, und schön ist das Häuschen.

Regen macht die Berge schön.
Nein, das ist nicht meine Unterkunft, aber ich mag die alten Scheunen und Schuppen. Auch hier der Nagerschutz schön ausgearbeitet. Andere haben eine Schieferplatte auf den Grundpfosten liegen.
Zufrieden. Hinten unten der womöglich erstmal letzte Blick auf nen Fjord.
Dusche, Sachen waschen, wohlfühlen.

Ich checke das Wetter, und es scheint, als wären die beiden nächsten Tage nur etwas nieselig. Also kann ich hier einen Tag Pause machen. Juhuuu! Das fühlt sich sofort gut und richtig an. Und kaum setzt sich das gute Gefühl tief in die Bauchgegend, empfinde ich gleich die Vorfreude, gut erholt und kräftig über das Vikafjell fahren zu können. Denn ganz ehrlich, wenn man nicht wie gewohnt vom Fleck kommt, ist der Spaß irgendwann auch begrenzt.

Mein Lieblingsrezept: Kichererbsen in Öl, Curry, Salz anbraten bis sie irre kichern, dann den Rest dazu. Wenn gut heiß, dann fertig.

Morgen bleibt mein Reiserad an der Hauswand stehen. Ich muss nochmal einkaufen gehen, also 350hm runter, aber das geht mit Bus, per Anhalter oder zu Fuß. Vielleicht erkunde ich den Ort ein wenig, das dürfte aber schnell gehen. Und dann lege ich die Füße hoch, mach Feuer im Holzofen und regeneriere vor mich hin.

Ich habe jetzt einen Monat lang niemanden getroffen, der mich kennt. Von den Reaktionen derer, denen ich begegne, glaube ich darauf schließen zu dürfen, dass dieses Selbstexperiment am gelingen ist. Ziel war ja, den Kopf frei zu kriegen, im Hier und Jetzt sein, aber tätig, ungebunden aber zielgerichtet. Das tut gut, das kriege ich gespiegelt von all den Zufallsbegegnungen. Ich bin gespannt darauf, wie mich diejenigen wahrnehmen werden, die mich schon gut kennen. Bis dahin werden aber noch ein paar Wochen vergehen. Aber jetzt ist es doch spät geworden, morgen kommen mir bestimmt noch einige Gedanken dazu. Heute irgendwie nicht mehr.

Tag 30: Jeden Tag ein Fjell

Um 6 klingelt der Wecker. Wer hat den denn bitte gestellt? Wenn es da keinen guten Grund für gibt… Achso, ja, der nahende Regen, das nasse Ungemach. Ich stehe auf. Dank neuer Kopfkissenkonstruktion hab ich besser geschlafen. Bisher hab ich Hose, Pulli, langes Trikot zusammengelegt und unter das Kopfende der Isomatte. Hmm, war immer bissl doof. Früher hatte ich auch schon einfach die Wasserflasche unter die Isomatte gelegt, aber die rutscht doch immer wieder weg. Jetzt hab ich die kurzen Radltrikotsachen und das lange Oberteil in die Hülle der Isomatte gestopft und das Ganze als Kopfkissen verwendet. So werden die Sachen, die ich morgens in der Kühle anziehen will, über Nacht nicht feucht, und es ist bequemer. Ha. 4 Wochen, und es wird weiter optimiert.

Abends hatte ich schon alles für das Frühstück in den Beutel des Schlafsacks gepackt, den ich jetzt zur Küche schleife, um auf dem Herd Tee zu kochen und im Warmen ein paar Scheiben Walnussbrot (das aus Lom) mit Erdnussbutter und Himbeermarmelade (das 4. Glas Syltetøy inzwischen) zu genießen. Naja, eigentlich bin ich gar nicht richtig hungrig, aber ich weiß genau, dass ich sonst in einer Stunde schnell ohne Zucker im Blut und damit ohne Druck auf dem Pedal bin. Essen als Funktion. Hm.

Als ich fertig bin, schläft hier alles noch. Um 8 geht es los. Das Zelt wiegt heute etwa doppelt so viel, denn es ist klatschnass. Auweia. Hoffentlich krieg ich das noch trocken, bevor der Regen los geht. Jetzt geh erstmal ich los und rolle am frühen Sonntagmorgen fast ohne Verkehr und Wind gen Süden.

Mein Schlachtross. Nur mit Mühe kann ich es heben, ne Treppe rauf tragen ist ausgeschlossen. Aber es rollt schön. Ich hab halt etwas Luxus dabei 🙂
10°C, keine Sonne, kein Wind. Perfekt.

Am Jølstravatnet, einem 20km langen See, nehme ich doch das Nordufer, obwohl Tor Ove mir das Südufer empfohlen hatte, da dort die ruhigere und schönere Straße sei. Ruhig ist es aber eh, und ich will heute Höhenmeter sparen. Ältere Straßen haben davon gewöhnlich mehr. Zudem sieht die Südseite schöner aus, und das sieht man im Großen nur von der Nordseite. So wie wenn Du die Wahl hast, in einem neuen, hässlichen Gebäude mit Blick auf das hübsche, alte Gebäude zu wohnen, oder umgekehrt. Jedenfalls sichte ich nicht nur diese schönen Sonnenstrahlen im Seitental, sondern auch noch nen Seeadler. Alles richtig gemacht.

Wolken, Berge, Sonne, See… Ich sollte mal nen knackig kurzen Begriff für diese Kombi erfinden.
Geht schon mit flach, wenn sie wirklich wollen. Die Talwände sind aber auch verzeihend unsteil. Nicht flach, aber nicht steil – unsteil halt. Oder wie heißt das?
Kunst am Ende des Sees. Der Realismus ist umwerfend.

Zeit für die erste Pause, denn 45km sind schon geschafft, es ist 10 Uhr, Zeit für das 2. Frühstück. Gestern beim Bäcker gab es nicht nur Backwaren, sondern auch Fastfood. Und von der Pizza waren noch Stücke über, die sie kurz vor Ladenschluss günstig verscherbelt haben. Meine Informatikervergangenheit schlug voll durch, und ich nahm gleich 2 mit. Kalte Pizza vom Vortag auf großen Hunger, das weckt Erinnerungen!

P. G. A. = på grunn av = auf Grund von. Hält nicht mehr lang, muss weg. Gibt es auch im Supermarkt gelegentlich.

Gerade bin ich am Mampfen, rollt ein Rennradler… Nein, ein sehr leicht bepackter Reiseradler ein! Wow, so kann das gehen? Justin hat gerade seinen Bachelor fertig und nimmt sich etwas Zeit, bevor er sich ins Arbeitsleben stürzt. Recht so. 2 Wochen ist er mit dem bisschen Gepäck bereits unterwegs, da sind sogar Schlafsack und Zelt dabei, aber kein Kocher, 2. Paar Schuhe, Essen für 3 Tage, und ganz sicher keine 400g Marzipan, mein Emergency Fuel, oder sonstiger Luxus wie Buch, Sprachführer oder DSLR Kamera. Aber da kann ich was von lernen. Wir fahren ein Stück zusammen, was gut geht, bis der erste kleine Hügel kommt. Da merke ich den Unterschied. Aua. Naja, für’s Training kann das Rad nicht schwer genug sein.

Bike Packing nennt sich die Disziplin, und das Rad fällt in die Kategorie Gravel Bike. Nice.

Er düst viel auf großen Straßen dahin, ich bevorzuge ja die kleinen, abgelegenen. Und so trennen sich unsre Wege schnell wieder, als ich in Richtung meines heutigen Fjells abbiege, dem Rørvikfjellet. Ja, auf dem Schild steht ein anderes, aber das kommt erst morgen, ist auch das Höhere. Da Justin nicht weit von mir daheim wohnt, treffen wir uns vielleicht mal auf ne Tour im Odenwald. Er ist auch ne Bergziege, das passt also.

In Dragsvik werde ich den Sognefjord queren, und dann geht es übers nächste Fjell nach Voss. Das sieht gerade echt noch ganz schön weit weg aus. Puh.

Kaum bin ich von der schnöden, vielbefahrenen E39 runter, ist Ruhe, und ich kann direkt mit dem Genießen anfangen. Ja, die kleinen Straßen sind’s. Und weil es bergauf geht, finde ich neue Ausreden für kurze Pausen, nämlich Grünzeug fotografieren. Ist bisher viel zu kurz gekommen, will ich gern noch ein wenig nachholen. Nach ein wenig Regen sieht es auch schon viel grüner aus.

Ein Wald aus Moosen am Wald. Niedlich!
Okay, hier benötige ich Botanikerunterstützung. Vor allem: essbar? Und wenn ja, wie oft?
Schön ist auch der düstere Wald voll Moos. Kuschelig. Da will man Troll sein.

Puh, ja, in der Ebene fahren verwöhnt ganz schön. Es geht in Wellen bergan, gelegentlich etwas runter, aber mehr rauf. Und dann noch mehr rauf. Ich hatte erst überlegt, ob ich bis Dragsvik durchziehen könnte, allerdings erscheint es mir gerade eher unwahrscheinlich, dass ich morgen dann überhaupt weit fahren könnte. Ich hab mir auch schon ne schöne Hütte für heute ausgesucht, die steuer ich erstmal an und schau dann weiter. Ab da wären es noch 45km und 400hm bis Dragsvik, also ne halbe Tagesetappe. Mal sehen.

Da fällt mir ein weiterer Pausenzeitvertreib ein, nämlich Bächlein ablichten. Wasser fließt hier in vielen Formen vom Berg, ne kleine Auswahl will ich kurz zeigen. Übrigens alles bedenkenlos trinkbar, wenn nicht gerade Schafe herumlungern.

Typ 1: zahmes Bächlein zwischen Moorbirken und Blaubeeren. Idyllisch.
Typ 2: der Moosfall vor Granit. Puristisch.
Typ 3: Felsentreppe gerahmt von Moos und Farn mit Andeutung von da-geht-noch-mehr. Rauschend.

Immer schön viel Pausen machen, und schwupps, schon ist man oben. Die Aussicht ist mal wieder fein, und das zweite Pizzastück wird regelrecht eingeatmet. Ein Rennradler kommt daher, wir unterhalten uns. Er fährt seit 20 Jahren, im Winter mit dem Mountainbike und Spikereifen. Ich beneide ihn maßlos. Hier hat es so wenig Rennradler, dass man sich gern ein wenig unterhält. Das ist schön. Der Odenwald ist ja derzeit derart vollgestopft, da höre ja sogar ich auf zu grüßen. Er fährt in die andere Richtung, also genieße ich die Abfahrt alleine. Heute ist es nicht ein großer Buckel, sondern mehrere kleine. Jetzt erwarten mich nur noch 250hm, dann hab ich es geschafft. Oder ich ziehe durch… Mal sehen.

Oben auf dem Rørvikfjellet, in der Ferne immer noch der Jostedalsbreen.
Alte Brückenreste in Viksdalen. „Vik“ heißt übrigens „Bucht“, drum gibt es hier viele Namen mit Vik-dies und Vik-das.

Auf den letzten Metern werde ich doch langsam. Heute ziehe ich nichts mehr durch. Sehnsüchtig erwarte ich Hov Hyttegrend, dessen Rezension viel versprochen haben. Aber nicht zu viel. Es ist irre knuffig hier! Verstreut im lichten Kiefernwald stehen kleine Hütten mit Gras und Bäumchen auf den Dächern. Einfach eine aussuchen, Schlüssel steckt, Rezeption ist erst abends besetzt. Zumindest jetzt in der Nebensaison läuft das so.

Der Vertrauensvorschuss, den ich hier oft erfahren darf, ist gewaltig, und führt mich zu einem wie selbstverständlich verantwortungsvollem Umgang – eben nicht wegen Regeln und Kosten und Verboten, sondern wegen Vertrauen, das mir entgegen gebracht wird, und dass ich ganz natürlich nicht enttäuschen, sondern eher bekräftigen will.

So kann ne Rezeption gestaltet sein, liebe Hotelfachleute.
Meine Hytta. Das Zelt steht in den Blaubeeren zum Trocknen. Geht auch ohne Sonne ganz fix.
Zwischenmahlzeit. Statt sie einzeln zu essen, mag ich es, mir gleich ne halbe Hand voll in den Mund zu werfen und Instant-Marmelade zu machen.

In Hörweite ist ein kleiner Wasserfall. Überhaupt sind entlang der Straße etliche davon, so dass ein Wanderweg eingerichtet wurde. Gegen die Wasserkraftindustrie hat man sich erfolgreich gewehrt und das alte Turbinenhäuschen wurde nicht modernisiert. So bleibt der natürliche Wasserlauf mit voller Menge erhalten. Die Steine lassen ahnen, was hier fließen kann.

Der Likholefossen mit stylischer Fußgängerbrücke drüber, die mich aber in den Fotos stört. Links das alte Maschinenhäuschen.
Hmm, ist da noch was zu machen?
Mit der Kamera hab ich schöne Langzeitbelichtungen gemacht, mit dem ollen Handy geht das nicht. Grrrr.
Ja ja, 3 Bilder vom selben Wasserfall… Aber ehrlich, die Sonnenstrahlen rocken einfach. Idyllisch, mal wieder.

Abends gibt es endlich mal wieder Ertestuing, Erbseneintopf. Die Hütte hat Dusche und Küche, ist zweckmäßig aber vollständig eingerichtet. Perfekt. Hier wäre ich gern 3 Tage geblieben, um den Regen auszusetzen, aber der Regen dauert länger. So muss ich morgen schon früh weiter ziehen. Schade. Aber hierher komm ich nochmal, das ist sicher.

Tag 29: Nordfjord, Utvikfjellet, Byrkjelo

Ich stell mir den Wecker früh, denn wenn hier morgens schöne Wolkenstimmung ist, will ich das nicht verpassen. Dämmert es um 5 schon? Offenbar nicht. Also gut, 6 Uhr? Oh, dämmrig, aber ein dichter Nebelteppich hängt dicht überm Zelt, ausgebreitet auf den ganzen See. Soweit ich das beurteilen kann. Also nochmal schlummern bis um 7, aber da hat sich nichts geändert, außer dass es ein wenig heller ist. Na gut, ich schlaf einfach weiter.

Um 8 krabbel ich dann doch raus, und… Hui! Scheinbar hat sich der Wolkenteppich halbiert, und zwar der Länge nach, hängt jetzt über unsren Köpfen, während das andere Ufer bereits in der Sonne liegt. Der Chef meinte gestern, dass die Sonne gegen 10 Uhr erst über den Berg kommt, also ist gemütlich Zeit zum Frühstücken. Es gibt Blaubeermüsli und Tee.

Mystisch. Nein, nicht idyllisch. Vielleicht ein bisschen, aber mystisch trifft es besser. Ich genieße es.

Unweit strömt ein Bach in den See, dort soll es Forellen geben. Ein Norweger hat gestern Abend schon sein Glück versucht, und meinte, wenn er genug fängt, gibt er mir gern eine ab, wenn ich möchte. Ja klar, gern will ich! Er fängt genau eine kleine Forelle, die genügt nicht mal ihm zum Abendessen. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich die jetzt hier zubereiten sollte, aber er würde sie sogar frittieren.

Naja, abends wird es nix, heute früh versucht er erneut sein Glück. Ich leiste etwas Gesellschaft. Roar, gesprochen eher wie „Ru-Ar“, gönnt sich gerade ein Jahr Auszeit. Ich schätze ihn auf Anfang 50. Ruhig, freundlich, offen, interessant, den Eindruck macht er auf mich. Er lässt mich auch ein paar Mal seine selbstgebastelten Fliegenköder werfen. Aber mein Anglerglück ist nicht so dick heute. Er fängt noch eine und meint, die frittieren wir gleich, denn das muss ich probiert haben, besteht er. Na, Wäsche und Zelt müssen eh noch trocknen, ich hab Zeit, also sehr gern.

Und wie wir so sitzen und uns unterhalten, blicke ich auf, verstumme, und renne los, um die Kamera zu holen. Endlich hat es die Sonne geschafft, den Nebel zu durchdringen, reißt das erste Loch hinein, durch das wir den Berg mit Gletscher gegenüber sehen, der uns um 1300m überragt. Den Gipfel des Rammefjellbreen mit seinen 1856m sehen wir nicht, dafür sind wir zu nah dran. Aber das hat was Unwirkliches. Wir sitzen da und schweigen. Und knipsen.

Keine Ahnung, ob das Bild hier was her macht. Es war unwirklich schön.

Okay, ausgestaunt, jetzt geht es an die Forellen. In Roars Teflonpfanne mit Öl und Salz von mir werden die 2 Kleinen am Stück gebraten und anschließend genüsslich bis auf die letzte Gräte verputzt. So viel Respekt muss sein, dass da kein Fitzelchen Fleisch übrig bleibt. Sehr lecker, und was Besonderes. Unser Gespräch ist auch spannend.

So ist Roar in Japan aufgewachsen als Sohn christlicher Missionare, wurde selbst Theologe, und hat die letzten 20 Jahre in K-irgendwas-tan geholfen, die Bibel aus dem Türkischen in die dortige Sprache zu übersetzen. Er hat wohl organisiert und die Übersetzung gegen das hebräische Original gelesen, um Übersetzungsfehler zu Minimieren. Wow. Das ist jetzt fertig, also ein Jahr Auszeit. Nach Japan würde er gern, das macht aber gerade dicht, also erkundet er das eigene Land. Und dann…

Alle stehen am Ufer und glotzen und gaffen. Und hier ist das auch erlaubt, ist ja kein Verkehrsunfall, sondern Norwegen vom Allerfeinsten.
Ein bisschen später. Ich glaube, da ist das eine oder andere gute Bild in der Kamera, das gedruckt werden dürfte. Ich will hier leben.

Irgendwann kann man nicht mehr staunen, und so widme ich mich dem kommenden Wetter. Von Nordwesten rollt Regen heran, ich muss nach Südosten flüchten, und zwar schnell. Morgen ist noch schön, danach nicht mehr so, und dann wird es für ne Weile bäh. Wenn ich es bis südlich des Sognefjords schaffe, kriege ich die Bergenbahn und kann damit bis jenseits der Hardangervidda flüchten. Da soll es stabil und trocken bleiben. Je früher und je weiter ich in die Richtung komme, desto weniger pitsch patsch blubb.

So schlage ich Roars Angebot aus, mit seinem kleinen E-Auto bis ans Ende des Fjords zu fahren, sondern mache mich schleunigst auf den Weg. Heute geht es nicht so weit. Die Gegend ist weniger touristisch, und so sind die Campingplätze weniger fahrradfreundlich verteilt. Bis Byrkjelo will ich kommen, also erstmal am Nordfjord entlang und dann noch flink übers Utvikfjellet.

Die Autos durch den großen Tunnel, die Radler auf der alten Straße in Ruhe außen rum.

Außer ner Gruppe Rennradler, die sich für den samstäglichen Ausritt bereit macht und fröhlich grüßt, treffe ich keine Fahrradfahrer. Die Strecke ist recht eben, der Fjord freundlich, breit, wenig spektakulär, und ich will gern noch die letzten Sachen trocken kriegen, also gebe ich Gas und mache nur die nötigsten Pausen. Schön ist es hier, doch doch, nur halt bei weitem nicht derart zauberschön wie am Lovatnet. Stimmt schon, das mit Instadal.

Der Nordfjord ganz ruhig und still, von den hohen Bergen in der Ferne komme ich her. Dass das Wasser hier auch anders kann, lässt die Schutzmauer vor den Booten vermuten.

Und wieder finde ich es schön, mit dem Rad genau die richtige Geschwindigkeit zu haben, um das Land sich verändern zu sehen. Es geht schnell genug, so dass was passiert, aber langsam genug, dass man alles in Ruhe anschauen und aufnehmen kann. Und man kommt doch recht weit, es gibt merkliche Veränderungen. Die hohen Berge rücken ab, der 2-3km breite Fjord macht weite Kurven, die Hänge werden weniger steil.

Ah, übers Utvikfjell muss ich ja noch rüber. 620m rauf, na, das müsste doch eigentlich… viel weniger anstrengend sein! Seufz. Nee, flacher ist Norwegen über Nacht nicht geworden. Mit konstanten 8% Steigung geht es rauf, wo mich ein Skigebiet erwartet. Sehr hübsch. Hmja. Zu sehen gibt es nicht viel, alles unspektakulär, und meine Gedanken sind überwiegend bei der Wetterflucht. Also zügig die Abfahrt und in den Campingplatz von Byrkjelo gerollt, der sich als echt super herausstellt.

Letzter Blick zurück zum Nordfjord. Wir sehen uns wieder. Hier muss ich noch mehr erkunden gehen, die nächsten Jahre.
Abfahrt. Oh wow. Ich bremse mehrmals für Bilder, trotz Hunger. Auf den Zacken in der Mitte kann man rauf laufen, Eggjenibba, und die Aussicht auf den Jostedalsbreen genießen. Merken.

Richtig klasse ist, dass direkt nebenan eine Bäckerei ist, die zudem viele lokale Produkte anbietet, die es so im Supermarkt nicht gibt. Erst duschen, dann eines der letzten Brote ergattern, und im Supermarkt nebenan das Dinner erstehen. Es gibt wieder Kichererbsen in Öl und Curry angebraten, dazu Erbsen und Tomatenpatsche. Ich liebe das inzwischen! Und die Salzmenge hab ich jetzt auch gut raus.

Für den Abwasch gehe ich in die Küche, wo gerade 3 junge Mädchen in den 2 Spülbecken Rekorde in Sachen Schaumerzeugung aufstellen. Na, ich stell meinen Topf mit Löffel hin und gehe raus, um mit Zuhause zu telefonieren. Irgendwie machen die Mädels aber viel Geräusch, so schau ich doch mal rein – sie haben meine Sachen gespült! Das ist süß, und ich schaffe es, mich auf norwegisch zu bedanken. Naja, richtig sauber isses nicht, aber es genügt.

Später kommen die 3 nochmal neugierig bei mir am Zelt vorbei, fragen, ob ich heute lange gefahren sei. Naja, so 4 Stunden – erstaunte Gesichter. Aber das schwierige sei das Fjell gewesen – große Augen und offene Münder. Aber ich sei ja schon 4 Wochen unterwegs, von Oslo über den Lysefjord – niedliches Kinnladengeklapper. Ja, was alles so geht. Vielleicht hab ich gerade Träume geweckt. Vielleicht auch Albträume. Wer weiß.

Die Saison geht zu Ende, meines ist das Einzige Zelt. Letzte Nacht war hier wohl die erste Frostnacht. Ob ich morgen Eis vom Zelt abschlagen muss?
Wer entdeckt’s? Ich musste herzhaft lachen! Lokale Produkte, so so.
Ein Bildhauer verkünstelt sich hier ich konnte dem auf die Schnelle nicht folgen, aber der Tisch gefällt mir gut!

Morgen muss ich früh raus, über 90km und knapp 1000hm stehen an. Trocken wird das Zelt nicht sein, egal. Abends ne Hütte, denn übermorgen will ich schnell weiter. Auf halbem Weg der morgigen Etappe liegt der einzige Supermarkt entlang der Strecke, der sonntags geöffnet hat. Diese Details sind wichtig, brauchen erstaunlich viel Planungszeit. Essen gehen sprengt hier schnell das geplante Budget, und in verschwitzten Klamotten ist das eh für niemanden angenehm. Selbstversorgung muss ich gut planen, will ich doch nicht unnötig viel Mampf die ganze Zeit mit mir herum schleppen, aber auch von mehr als Nudeln mit Tütentomatensauce leben. Ja, so ganz aufs Geratewohl in die Welt hinein radeln, das kann ich doch noch nicht. Planen macht ja auch Spaß. Und schlafen. Aufs Schlafen freu ich mich jetzt am meisten.

Tag 28: Regenabfahrt und ins Instadal

Der Wind schüttelt nachts das Zelt gut durch, und Yr hatte recht, es regnet. Einen Wecker stell ich nicht, morgen ist es nicht weit, früh wach werde ich ohnehin. Es regnet zwar nicht beständig, aber doch immer wieder. Hm. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich den Ausblick nochmal mot weniger Wolken erleben darf. Stattdessen gibt es nur Wolken. Auch ne schöne Abwechslung. Hatte ich nicht neulich noch über zu viel Sonne und zu wenig Sonne geklagt?

Da jetzt raus? Naja, soll ja bald nachlassen. Lieber noch weiter schlummern.

Irgendwann wird es weniger, und ich quäle mich aus dem Schlafsack. Der Wind fährt nur noch sporadisch über’s Fjell und schüttelt die Tropfen vom Stoffpalast. Draußen ist es eigentlich hübsch. Das Moos leuchtet wieder saftig grün, die Flechten… nein, sie flechten nicht. Sehen aber auch wieder fit aus. Es gibt Blaubeeren, und ich glaube Wachholderbeeren, die Sträucher aber nicht höher als ne Hand breit ist. Bei mir gibt es Müsli zum Frühstück.

Landkarten aus Moos.
Kann man den eigentlich so essen? Ich bin mir unsicher, das Handy im Zelt. Verflixt.

Dann geht es los, packen. Über Nacht hatte ich die lange Unterwäsche an, war aber doch zu warm. Jetzt bereite ich mich auf ne kalte, nasse Abfahrt vor, also kurze Radlhose und Trikot, darüber die Softshellhose und das warme Langarmtrikot, darüber Regenhose, Regenjacke, Schuhüberzieher, und sogar die warmen Handschuhe pack ich aus. Endlich kommt das Zeug ordentlich zum Einsatz. Und gerade ist alles verstaut, nur die Isomatte fehlt noch, da regnet es nochmal heftig. Also nee, das warte ich ab. Ich liege im Zelt, döse, warte, lausche bedächtig dem Trommeln und Zeltgeschüttel.

Als Limit setzt ich mir 12 Uhr, dann muss ich los, damit das Zelt nachmittags noch trocknen kann. Etwas früher schon wird es besser, und ich Räume zusammen, belade das Rad. Zeltabbau ist wieder abenteuerlich, diesmal Wind von der anderen Richtung. Merkwürdig. Jedenfalls hab ich alle Hände voll zu tun, damit nichts weg fliegt. So, geschafft. Fast schon am Schwitzen, aber gleich wird es kühl. Fast 1000hm Abfahrt, aber diesmal hochkonzentriert. Trotzdem immer wieder Fotostopps, denn die Stimmung ist irre schön.

Die Wolken verziehen sich etwas, lauern jetzt weiter unten im Tal auf mich.
Schimmert da Blau durch? Später soll es sonnig werden, in Stryn ist es das angeblich bereits.
Da haben sie mich. Unter der Wolkendecke windet sich das Tal bis zum See, der windet sich weiter bis zum Fjord. Noch 40km bis Stryn.

Leichter Nieselregen begleitet mich, trocknet aber genauso schnell wie er nässt. Am See angekommen ziehe ich die Regensachen aus, die lange Hose auch. Strampeln macht warm. Und am See entlang ist es schön, die Berge kantig, von deren Höhen die Gletscher neugierig die Nasen ins Tal strecken. Knapp 20km geht es an dem See entlang, der türkisblau leuchtet, wie fast alle Gewässer hier, die von den dahinschmelzenden Gletschern genährt werden. Und es ist zur Abwechslung tatsächlich so gut wie flach, dazu ein wenig Rückenwind, heute rolltnes gut. Ich spüre auch wieder Kraft in den Beinen, das Gejammer über schlappe Schenkel sollte ein Ende haben.

Bloß ein kleiner See. Nix besonderes, nein nein. Einfach weiter fahren, gibt nix zu sehen.

Stryn. Alles hier ist nach Stryn benannt: Berge, Seen, Straßen, Dörfer, Flüsse. Der Ort selbst scheint regionales Zentrum zu sein. Hier gibt es doch bestimmt auch… jawollja! Kaffee und Süßteilchen, dazu ein Stück Marzipantorte! Das ist Nahrung für Körper und Seele, perfekt. Die Zimtkringel mit Vanillepudding sind aber auch echt fein.

Ah, Zivilisation hat doch auch was.

In Loen ist der letzte Supermarkt vor dem Zeltplatz im Lodalen, wo ich zelten will. Direkt davor steht ein Reiseradler aus Frankreich. Er ist vor 2 Monaten aufgebrochen, von Frankreich über Belgien, Niederlande, Deutschland, Dänemark nach Schweden. Corentin ist jetzt alleine unterwegs, nach 7 Wochen konnte seine Frau nicht mehr und ist nach Hause. Sie hat erst vor kurzem überhaupt Fahrradfahren gelernt und ist jetzt gleich diese große Tour gefahren! Wow. Er ist dann kurzerhand von Schweden an die Westküste Norwegens geflogen und radelt hier alleine weiter.

Das heißt, er wartet gerade auf 2 andere Franzosen, die mit dem Tandem unterwegs sind. Tandem… warte, da war doch was… Ja genau, bei der Abfahrt nach Lom bin ich an nem Tandem vorbeigekommen. Die beiden hatten gerade Pause gemacht, und ich war in Fahrt, so dass außer wildem Winken nix zu machen war. Ich geh schnell Mampf kaufen, in der Zwischenzeit trudeln die beiden ein. Chloé und Guillaume sind schon seit einem Jahr unterwegs, waren schon in halb Europa, sogar in der Türkei, und jetzt hier! Auf dem Tandem hat man noch weniger Platz für Gepäck. Ich staune und lerne.

Ein Tandem mit zerlegbarem Rahmen, so klappt es auch mit Bahn und Flugzeug. Die selbstgenähten Satteltaschen sind wahre Platzwunder.

Zu gern würde ich mich weiter austauschen aber mein Zelt ist nass, die Sonne senkt sich, ich hab Hunger. Und die 3 wollen gemeinsam weiter, müssen sich beraten. Also verabschiede ich mich flink und düse ins Instadal. Also eigentlich heisst es Lodalen, aber über Instagram ist da was viral gegangen, und jetzt strömen die Leute hierher, so dass ein Einheimischer es Instadal genannt hat. Zugegeben, die Story hab ich geklaut von Matthias, den ich in Hjelmeland getroffen habe, und der vor ner Woche hier war.

Lodalen. Jepp, definitiv instagrammable.

Auf nem kleinen, pragmatischen Zeltplatz recht weit hinten im Tal packe ich das patschnass Stoffbündel aus und hoffe, dass die letzten Sonnenstrahlen… Nee, da ist sie schon hinter dem Berg verschwunden. Na gut, das dauert jetzt etwas. Ich breite alle feuchten Sachen aus und bin froh, dass ich noch nicht mehrere Tage im Regen radeln musste. Erst mich waschen, dann darf ich auch noch die Waschmaschine benutzen und kriege einige Sachen endlich richtig sauber. Handwäsche im Waschbecken kann eben auch nur so viel. Trocknen müssen die Sachen morgen, denn der Tau fängt schon bald an, sich überall niederzuschlagen.

Alles schief. Upsi. Bin wohl beschwippst von dem Panorama. Idyllisch und so.
Improvisierte Wäscheleine, immerhin überdacht, gegen 10 kommt die Sonne über den Berg. Das passt schon.

Es lohnt sich, jeden Tag nach dem Wetter zu schauen. Eigentlich hatte ich vor, hier nen Tag Pause einzulegen. Aber nur die nächsten zwei Tage kann ich noch fahren, dann soll es 3 Tage heftig regnen. Hüttenzeit! Ich plane also, wie ich das am besten einrichte, und muss wohl wann anders länger hier bleiben. Schade. Aber im heftigen Dauerregen fahren mache ich nur, wenn es gar nicht anders geht. Vielleicht stehe ich dafür mal sehr früh auf und schaue, wie das Lichtspiel am frühen Morgen ist. Nach dem Regen heute könnte das sehr hübsch werden. Dafür muss ich jetzt aber aufhören mit Schreiben, ist eh schon wieder Mitternacht.

Gråskjegget – Graubart.

Was, äh, 4 Wochen sind jetzt rum? Ah, keine Zeit für eine Zwischenbilanz. Die kommt demnächst, wenn es regnet und ich in der Hütte sitze mit viel Zeit. Im Moment sind die täglichen Ereignisse zu intensiv, die Eindrücke so frisch, da geht das gerade nicht. Aber merkwürdig, dass „nur noch 2 Wochen“ für mich jetzt klingt, als wäre es bald vorbei. Dabei habe ich anfangs nicht gewusst, ob ich überhaupt 2 Wochen schaffe. Und jetzt… Ja, will ich überhaupt aufhören? Hmm. Na, die nächsten zwei Tage jedenfalls noch nicht.

Draußen funkeln abertausend Sterne. Sogar davon gibt es hier mehr als daheim. Daheim… manchmal soll ich meine Adresse angeben, und da muss ich echt überlegen. „Das grüne Zelt beim blauen Fahrrad“ wäre vermutlich nicht akzeptabel. Schade auch.

Tag 27: Gamle Strynefjellsvegen

Zwischen Lom und Stryn

Heute gibt es wenig Bilder, denn ich zelte etwas abseits, oben im Fjell, ganz wild und frei. Ich kann zwar Daten gut empfangen, aber der Upload dauert ewig und saugt den Akku aus, da das Handy auf voller Leistung funken muss. Nun aber zur Sache.

Gegen Gegenwind kann man also was tun, nämlich planen. Dank der vorzüglichen norwegischen Wetter-App Yr weiß ich, dass der Wind morgens noch mäßig, ab Mittag deutlich stärker wird. Um kurz nach 6 klingelt der Wecker, was nix macht, denn ich bin eh schon seit 6 wach. Und um kurz vor 8 verlasse ich den riesigen Zeltplatz, bei dem jemand mand versucht, jegliche Begrünung mit Kiefern zu realisieren. Sogar ne Hecke. Also los, gemütlich, aber mit hoher Trittfrequenz, um mit kleiner Kraft zügig zu sein. Die Etappe soll ja noch die strapazierten Treter schonen.

Der Dønfossen hat mich die ganze Nacht berauscht.
Leichte Bewölkung, schön, daß gibt spannender Fotos. Und weniger Sonnencremeverbrauch.

Ich fahre zwischen Breheimen und Reinheimen, zwei großen Gebirgsgebieten. Die Berge sind ganz anders als in Jøtunheimen. Nein, eigentlich sticht Jøtunheimen heraus mit den schroffen Zinken und Zähnen. Das hier ist typischer, die riesigen, rundgeschliffenen Berge, die hier das Tal um 1500m überragen. Eigentlich wie die Scottish Highlands, nur in groß. Gut, es fehlen Whisky-Distillerien und Dudelsäcke, stimmt. Norwegen ist dafür deutlich weitläufiger und einfach riesiger, und hat Gletscher, selbst wenn man mal weg von den Fjorden ist.

So groß und weit, und ich mach ein Knipsi-Bild mit dem ollen Handy. Heieiei.
Tolles Detail: gelb hinterlegte Schilder bedeuten immer Baustellen oder ähnliches, so dass man sofort weiß, jetzt kommt was, und aufmerksamer wird. Sonst sind Verkehrsschilder weiß hinterlegt, wie bei uns.

Der Wind hält sich in Grenzen, der Verkehr auch. Allmählich Gewinne ich an Höhe, fiese Steigungen gibt’s heute aber nicht. So bummeln meine Gedanken ungestört herum, während ich einfach vor mich hintrete.

Ah, das nächste Bild zeigt vielleicht etwas die Weite hier. Schau mal auf ner Karte, wo das etwa ist: etwa 50km westlich von Lom, 10km östlich von Grotli. Und dann schau mal, wo die nächsten Straßen sind. Und dazwischen ist einfach nur gigantisch tolle Landschaft. Irre. Mit dem Auto hab ich das so nie richtig wahrgenommen, denn was sind da schon 50km, das sitzt man eben ab und hört schöne Musik dabei. Und zu Fuß tappst man nur auf nem kleinen Fleckchen herum. Deshalb Fahrrad. Allmählich erschließt sich mir die tatsächliche Weite hier. Ich bin verliebt!

Ich will da immer einfach nur reinwandern.

Endlich geht es zum nächsten Höhepunkt der Reise, der alten Bergstraße nach Stryn, eben dem Gamle Strynefjellsvegen. Beim Stöbern auf der Karte nach kleinen Passstraßen bin ich darüber gestolpert, hab Bilder gegoogelt, und dann beschlossen, dass dieser Weg in der Tour nicht fehlen darf. Auf 900hm hab ich mich inzwischen auf der E15 hoch gearbeitet, da biege ich links ab. Kurz darauf ist die Straße unbefestigt, was aber nicht tragisch ist, nur etwas überraschend.

Kurz bin ich aus dem Wind, der schon etwas aufgefrischt hat, aber bald geht es bergauf mit Gegenwind. Okay, das dauert länger heute. Dafür fährt hier bestimmt niemand. Heh, doch jemand. Noch einer? Oha. Scheinbar ist die Strecke bekannt für ihre Schönheit, denn hier wird viel angehalten, ausgestiegen, fotografiert, eingestiegen, weitergefahren. Mit der schweren Beladung muss ich mich konzentrieren, manchmal schiebt es das Vorderrad unerwartet zur Seite. Aber alles geht gut, so eine schwere Karre fällt ja nicht schnell um.

Blick auf den Raudeggi, das Wasser im See türkis vom Gletscher.
Die Begrenzungspfosten sind stilvoll und sicher auch effektiv. Der Bart zerzaust und bald so grau wie der Granit. Tarnfarbe.

Gut 2 Stunden brauche ich für die 20km, so sehr pfeift es. Aber das macht das Erlebnis irgendwie eindrücklicher. Wenn Gletscherluft heilsam ist, dann bin ich jetzt definitiv komplett gesundet. Dieses raue Land vermisse ich daheim, da gehe ich vor die Tür und hab das Gefühl, ich bin noch drin, als wäre das Wetter kaputt. Hier ist der Unterschied zwischen drin und draußen irgendwie größer.

So freue ich mich auch auf mein Zelt. Solange ich in Bewegung bleibe, geht es, aber sobald ich anhalte, kühlt es mich ratz fatz aus. Heute will ich wild zelten, mit toller Aussicht. Die ganze Zeit schon halte ich Ausschau nach geeigneten Plätzchen und Wasser, das nicht vom Gletscher kommt (da sind zuviele Mineralien drin, das macht Durchfall). Es gibt einige, aber nicht mit toller Aussicht. Heute bin ich wählerisch.

Und gerade geht die Abfahrt los, muss ich scharf bremsen. Diese Perspektive hab ich online gesehen, und wollte sie selbst schöner ablichten. Just hier ist sogar ein feiner Platz, da hat offenbar schon mal jemand gezeltet, und Wasser gibt es auch, sogar ne Bank. Perfekt. Bis ich Fotos gemacht habe und mich entschieden habe, bin ich gut durchgefeoren und am Zittern. Die Daunenjacke rettet mich, so kann ich weitermachen, sonst hätte ich jetzt Schwierigkeiten. Unterkühlt war ich schon 2 mal draußen in der Wildnis, das ist kein Spaß. Bei dem Wind geht das in ein paar Minuten, wenn man verschwitzt Sachen an hat.

Okay, der Platz ist nicht so windgeschützt wie gehofft, und so muss ich eine Zeltleine zunächst an einem großen Stein festbinden, damit mir das gute Hilleberg nicht einfach davon fliegt. Echt jetzt. Mit etwas Mühe kriege ich das Zelt verankert, auf jeden Hering kommt noch ein dicker Stein, damit es sie nicht aus dem losen Untergrund herauswackelt. Nun kann der Wind rütteln, da passiert nix mehr.

Schnell werfe ich alles ins Zelt und mich dazu. In der vielbesungenen Bratröhre lasse ich mich dezent anrösten und vermisse ein Fenster. Schade, denn draußen scheint die Sonne Lichtspiele abzuhalten. Aber die Wolken hängen eh etwas tief, ich hätte gern noch ein Bild mit Gipfeln. Jetzt hab ich ja Zeit und kann warten.

Gaaaanz unten sieht man den See Oppstrynsvatnet, der liegt auf 29m. Ich liege auf 970m. Wow.

Gelegentlich schaue ich raus, mit dem Teleobjektiv bewaffnet. Sonne und Wolken lassen immer wieder Lichtstrahlen durch das Tal wandern und bescheinen mit großen Spots die Hänge. Nächstes Mal bringe ich ne ordentliche Ausrüstung für Zeitraffer mit. So stehe ich da und staune, gut eingepolstert in lange Unterwäsche, winddichte Sachen und der Daunenjacke, bis ich mich wieder aufwärmen muss.

Für die Nacht ist etwas Regen gemeldet, morgen gegen Mittag wieder Sonne. Mal sehen, was sich morgen noch ergibt. Einige Fotos sind auf jeden Fall toll geworden, ich freu mich drauf, sie daheim in groß zu sehen und zu entscheiden, welches gedruckt an die Wand kommt. Und ich freu mich wieder auf ne frühe Nacht und viel Schlaf.

Tag 26: So weit die Beine tragen.

Um die Pointe vorweg zu nehmen: sehr weit war es nicht. Überhaupt, dass ich es aus dem Zelt heraus geschafft habe, gleicht einem Wunder. Die halbe Treppenstufe, die vor dem Küchenhäuschen ist, schaffe ich nur mit festhalten herab. Lektion: Bergwandern und Fahrradfahren beansprucht verschiedene Muskeln. Bergauf gehen ist ähnlich wie treten, aber bergab ist definitiv anders. Wer dann noch versucht, im schwierigen, steilen Gelände mit norwegischen Extremläufern Schritt zu halten, brockt sich sein Übel ein. Und das darf ich heute auslöffeln. Nun gut, schauen wir mal, wie weit die Beine mich heute tragen. Aber wie gesagt, andere Muskeln, also geht Radeln noch. So einigermaßen zumindest.

Zunächst schlage ich mich mit Computern herum. Davon hab ich ja 3 dabei: Garmin Uhr, Garmin Fahrrad Navi, Handy. Die Uhr hab ich zur Pulskontrolle dabei, denn eigentlich will ich meinen Puls unter 140 halten, also keinen dollen Sport machen. Das passiert mir zu leicht, dass ich zu schnell bin, und nach ein paar Stunden gar nichts mehr geht. Zudem ist die Uhr gut, um Wanderungen aufzuzeichnen. Das Navi dient eben zur Navigation, und dazu, dass ich weiß, was mich erwartet, damit ich mir die Kräfte einteilen kann. Und das Handy dient dem ganzen Rest: Jagd nach Kalorien, finden und aussuchen von Zeltplätzen, mit Zuhause telefonieren, Bilder machen, stundenlang Blog schreiben. Ja, ich schreibe das hier alles mit 2 Daumen.

Theoretisch synchronisieren die Geräte fleißig, aber es ist wie Magie, oder ein Zaubertrick: man ist froh, wenn es klappt, weiß aber gar nicht, was eigentlich passiert. Und wehe es geht nicht. Ich wollte aber die Wanderung von gestern unbedingt auf Strava haben. Nunja. Irgendwann hatte ich den richtigen Zauberspruch gesagt (nein, der war nicht jugendfrei) die richtigen Runen in die Luft gemalt, und die Rituale des Neustartens korrekt durchgeführt, und schon – hex hex – hat es geklappt. Endlich. Um 10:30 war ich dann startklar.

Schon beim Zelt abschlagen, der überdigitalisierte Campingplatz. Jeder mit eigenem Türcode, Herren nur für die Herrentoilette. Meiner ging erstmal nur bei den Damen. Hmm.

Die Testfahrt, ob überhaupt was geht, ist nicht weit. Gleich hier in Lom steht eine Stabkirche, die schau ich mir gern an. Sie ist öfter vergrößert worden, so dient sie heute noch der gar nicht mal so kleinen Gemeinde als Alltagskirche. Aber es fehlt ihr etwas der verschrobene Charme und die witzigen Details. Trotz der vielen Umbauten hat sie aber noch das Flair einer Stabkirche, welches ich zu beschreiben nicht im stande bin.

Die Stabkirche von Lom
Doch ein lustiges Detail. Ist das vorsorglich für die Zombieapokalypse?
Der Drachenstil, die Holzschindeln, die Färbung von der Verwitterung… Ich mag das.
Das sollen Löwen sein, glaube ich. Könnte aber so ziemlich alles sein.
Spontan eine kleine Führung bekommen, sehr detailreich diesmal. Sehr hell drinnen, auch ungewöhnlich.
Hmja, das ist weniger Drachenstil. Immerhin brauchbar gut außer Sicht untergebracht.
Bescheiden geht anders. Niedlich aber die Taube mit akkurat gestalteter Unterseite.
Der Leuchter ist aus Holz und 400 Jahre alt. Ich glaub, der tropft übel. Ob man drunter stehen muss zur Buße?

Die zweite Testfahrt verläuft auch gut, und komplett innerhalb von Lom. Hier gibt es tatsächlich ne Bäckerei, die mir Aina auch empfohlen hat. Na, das ruft doch nach Süßteilchen und nem Brot auf Vorrat! Aber man merkt deutlich, dass Lom ne sehr touristische Stadt ist. Authentischen Kontakt bekommt man hier nicht.

Wie viele Zimtschnecken haben Sie? Nur 17? Naja, muss reichen…

Und endlich geht es wirklich los. Naja, eigentlich hab ich mich etwas davor gedrückt, immerhin ist es schon Mittag. Und der Wind hat auf West gedreht, genau gegen meine Richtung. Berge fahren finde ich okay, denn da kann man nicht cheaten. Aber Gegenwind hat was von Pech: paar Stunden früher oder später, oder an nem anderen Tag, und schon wäre man doppelt so schnell. Irgendwie kommt bei mir nicht der gleiche Ehrgeiz auf, als wenn ich die Schwerkraft bekämpfe.

Die Bauern wittern Regen, es duftet permanent nach Kuhpopo.
In einem Gebrauchtwarenladen entdecke ich die Faszienrolle meiner Träume. Leider stimmt das Packmaß nicht ganz.
Noch eine Stabkirche hier in Skjål? Nein, aber auch hübsch. Scheint der lokale Stil der Kirchen zu sein. Solche ortsgebundene Stile gibt’s in Deutschland ja auch.
Jemand mit 2 Spraydosen und ner prise Humor versüßt mir den Tag.
Ich weiß ja, wer Fan von alten Traktoren ist. Hier wohnt offenbar auch einer. Hab extra angehalten und jeden einzelnen fotografiert 🙂

Die E15, auf der ich fahre, ist die klassische Route zum weltbekannten Geiranger Fjord. Daher ist hier viel auf Saisontourismus ausgelegt, und in der jetzigen Spätsaison ist immer noch recht viel los. Ich biege aber vor dem Geiranger Fjord links ab auf den Gamle Strynefjellsvegen nach Stryn. Also heute biege ich nirgends mehr ab, außer zum letzten Supermarkt und direkt anschließend zum letzten Campingplatz, bevor der Anstieg beginnt.

Wie ich mich nämlich Kilometer für Kilometer gegen den Wind dahin schleppe, ertappe ich mich dabei, abzuschätzen, wie weit die es heute schaffen könnte. Dabei will ich schon längst nicht mehr. Also lass ich es. 30km sind geschafft und ein paar futzelige Höhenmeter, die ich morgen sicher nicht vermissen werde. Immerhin, besser als nix, und für heute allemal genug.

Ich weiß noch nicht genau, welche Karre meinen Zustand gerade besser beschreibt. Aber irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit.
Ein Platz ohne Nachbarn, hier ist genau Platz für ein Zelt. Die Alternative wäre zu nah an der Straße, oder zu weit weg von der Küche.
Irgend ein Akku will immer gerade geladen werden. Dank einer netten Dänin im knuffigsten Wohnwagen der Welt nebenan habe ich erstmals den Luxus von Strom im Zelt. Wo ist denn jetzt der Adapter für die Beine hin?

Nach den letzten zwei eindrücklichen Tagen, dem Rausch von Sognefjell und Jøtunheimen, muss ja der Kater folgen. So nehme ich mir meine trübe Stimmung nicht krumm, sondern nehme sie hin, als was sie ist: das Tief nach dem Hoch, und morgen geht es weiter. Nicht jeder Tag kann bombastisch sein, egal wie toll die Erlebnisse und Landschaft.

Zum dauerhaften Glücklichsein sind wir Menschen eh nicht ausgelegt. Die Frage, die mich leitet, ist nicht „Was macht mich glücklich?“ sondern vielmehr „Wofür bin ich bereit zu leiden?“ Die Momente der Glückseligkeit sind immer kurz und vergänglich, das kann nicht Ziel sein, muss scheitern. Die meiste Zeit im Leben ist Arbeit und Schuften und Leiden. Und das ist okay. Also, wofür bin ich bereit zu leiden? Für Fahrradfahren in Norwegen allemal. Und sobald einem das mal klar ist, kann man das Leid auch einfacher hinnehmen. Da ist es trotzdem, aber es ist okay, und Teil des Ganzen. So, philosophischer wird es heute nicht mehr, versprochen.

Tag 25: Großer Butterstabzahn

Erst Bergwandern in Jøtunheimen…
… dann Radeln.

Nachts bin ich gelegentlich wach, es windet, ist kalt. Irgendwann schiebe ich den Kopf aus dem Zelt und schaue Sterne. So viele! Ich frage meine Beine, was sie vom Wandern halten, die Antwort ist eindeutig. Später nochmal: liebe Beine, wie sieht’s aus? – Nee! Na gut. Um 6 klingelt der Wecker, den ich mir ganz optimistisch gestellt hatte, denn es könnte ja sein, dass die Spaghetti inzwischen gut verwertet sind und in Bewegung umgesetzt werden können. Aber nein, es ist eisig – okay, 3°C – und alles ist nass. Ich warte auf die Sonne, die sich gegen 8 über den Berg schiebt. Und, liebe Beine? – Hm, neee.

Also erstmal Frühstück im Zelt, diesmal Müsli. Eine Packung reicht nur für 3 mal Frühstück. Danach melden meine 2-Kolben-Muskel-Motoren, dass ne Wanderung ja vielleicht doch… Also los! Ich bin genau heute hier, das Wetter ist genial, die Gelegenheit gibt es so schnell nicht wieder. Hopp jetzt, ich will bald los. Und so bin ich um 9:30 startklar für die erste Bergtour. Und zwar auf den Store Smørestabbtindan, was übersetzt etwa so viel heißt wie Großer Butterstabzahn.

Mein Rucksack. Danke, Niko, für’s Ausleihen des Adapters, mit dem aus ner Ortlieb Fahrradtasche ein Daypack wird.
Da hinten ragt er heraus, der Smørdtabbtindan. Sieht so wild ja nicht aus.
So dicht steht das Wollgras selten. Der absolute Megaflausch versüßt den Start.

Der Weg ist nicht ordentlich markiert, aber oft genug gegangen, dass ich ihn zunächst gut finde. Am Gletscherbach entlang geht es erst hinauf, dann hinüber, immer schön auf die Flanke des Berges zu. Erst 250hm geschafft, ein Viertel, und schon ne Stunde rum. Hmm. Naja, war ja auch Strecke dabei. Und Fotos. 3h rauf, 2h runter, so hatte ich kalkuliert. Mal sehen, ob das aufgeht. Allmählich kommt der Gletscher in Sicht, und dann bin ich am Gletschersee, auf dem kleine Eisbergchen, nur ein paar Meter groß, in der Sonne schwitzen. Kunstwerke. Gelegentlich fällt mal ein Brocken platschend ab. Ansonsten ein Ort für Meditation und Stille und einfach da sein.

Hmm, je näher, desto bedrohlicher wirkt der Zahn.
Auf 1500m bin ich im hochalpinen Gelände angekommen. Wow. Da will ich hoch? Ein riesiger Geröllhaufen mit Schneeresten oben drauf. Hmm.

Aber der Berg ruft, es geht weiter. Vom See fasziniert, folge ich nem kleinen Pfad am Ufer entlang, bis ich mich frage, wie ich wohl die Steilwand vor mir hochkommen soll. Ah, in der App UT, was so viel wie „draußen“ heißt, war der Weg doch verzeichnet. Oha, ich bin daneben. Ich quere den Hang zurück, steil, grasig, steinig. Das ist gefährlich. Fehler behebt man nicht durch husch husch, sondern mit Bedacht. So gehe ich langsam auf den eigentlichen Weg zu, der teilweise echt schwer erkennbar ist. Ich bin wohl etwas aus der Übung.

Nun geht es wieder, über einen Buckel auf 1700, eine felsige Senke, und dann hinan ans Geröllfeld. Die Vegetation bestand zuletzt nur noch aus Gras, Moos und Flechten, leider alles sehr trocken, da es kaum regnet. Dass diese Bäche viel Wasser führen, liegt auch am warmen Sommer, denn das ist Schmelzwasser. Die armen Gletscher, sollen ihr Wasser lieber als Eis behalten, ich würde auf den Bach verzichten wollen. Und plötzlich stehe ich an nem Flecken Altschnee, der leider so hart ist, dass an einen Schneeengel nicht zu denken ist. Schade.

Was das wohl heißt? Ob Slartibartfass das beschriftet hat?

Eigentlich bin ich ja zügig unterwegs, trotz halbschlapper Beine. Aber dass ich Norwegern im Bergwandern nix vormachen kann, hab ich schon mehrmals erfahren dürfen. So holt mich Aina ein, eine Krankenschwester aus Sogndal. Sie hat heute frei und genießt den Tag in den Bergen. Wir gehen zusammen weiter, was mir sehr recht ist, denn es wird kraxelig, Steinmännchen gibt es nur sehr selten, und sie ist deutlich geübter in der Wegfindung.

Ich schnaufe ganz schön, um mithalten zu können. Stellt sich raus, dass Aina Extremläufe absolviert. Ihr längster war nur, wie sie sagt, 42km und 3800hm, den sie in 8h geschafft hat. Mir fällt die Kinnlade zwischen die Steine. Aua.

Zusammen geht es gut voran. Es ist kraxelig, und ich bin froh um meine Klettererfahrung, wenn auch bescheiden, so hilft sie mir doch, das Gleichgewicht zu wahren und gute Griffe und Tritte zu finden. Alleine wäre es ein großes, so immerhin noch ein ordentliches Abenteuer. Und runter? Ach, das kommt später. Steil wird es, wir haben uns weit nach links gearbeitet, und stehen unvermittelt vor einer Kante. Die Aussicht… Ich will es heute nicht zu oft wiederholen, aber die Aussicht… Ach, ein Bild sagt mehr als ich zu formulieren im Stande bin.

Rechts oben unser Gipfel, unter uns nur Gletscher.

Das letzte Stück ist flacher. Und dann sind wir oben. Das Grinsen ist mir ins Gesicht gemeißelt, das Gipfelglück riesig! 2208m hoch wäre in den Alpen ganz nett, aber hier überragt mich der höchste Berg nicht viel. Der Galdhøpiggen ist mit 2469m der höchste Berg Norwegens, und übrigens gut zu sehen. Wenig spektakulär ist er allerdings, und die Wanderung auch nur 2h lang. Sagt mir ein Norweger. Hmja. Egal, ein andermal. Jetzt hier, und wir macheb Brot- und Fotozeit, und genießen es, bei Sonnenschein im T-Shirt hier sitzen zu dürfen.

Auf dem Dach Norwegens, mitten in Jøtunheimen.
Rechts unten der Gletschersee von vorhin, rechts ganz klein die Passstraße F55 Sognefjellsvegen erkennbar.

Mich kriegt man ja nur mit Gewalt von solchen Gipfeln runter. Aina hat aber später noch ne Verabredung zum Paragliding und muss los, und ich will lieber zu zweit das fiese Stück hinab. Zügig und gut geht es, diesmal wählen wir eine etwas bessere Variante. Als das Gröbste geschafft ist, bin ich ihr aber doch zu langsam. Sie gibt mir noch ein paar Tipps, was ich alles auf meiner Tour unbedingt erwandern muss, und düst davon. Regelrecht tänzelnd gleitet sie über die Felsen den Hang hinab. „Rock Dancing“ habe ich es spontan getauft, und es passt. Diese Leichtigkeit kenne ich, das mach ich auch sehr gern, nur sind heute die Beine zu schwer nach der gestrigen Etappe. Gemütlich verliere ich erneut den Weg und hab gerade keine Lust mehr. Ah, da war doch was… Pause! Und Essen!

Geologie zum Anfassen. Was muss hier passiert sein, dass das Gestein derart gefaltet wurde?
Wasser. Irre viel Wasser. Schönes, kühles Nass.

Endlich, um 15:30 bin ich zurück am Zelt. Jetzt will ich runter vom Fjell, ins bequeme Tal. 6h hab ich insgesamt benötigt für die Tour, das hat also gepasst, Pausen mit einberechnet. Nun trinken, packen, essen, packen, trinken, packen, trinken. Puh. Um 16:30 endlich Abfahrt, und 2 Stunden später bin ich in Lom. Nach der Bergtour konnte mich nichts mehr beeindrucken, so bin ich einfach geradelt, um anzukommen.

Blick zurück. Tschüss, Heim der Riesen.
So kann Norwegen auch: weite Täler, alles grün, schöne alte Höfe, drum herum Wald.

Der überdigitalisierte Zeltplatz mit Check-In Automat hat mich glatt überfordert, aber letztlich steht mein tragbares Nest jetzt wieder, gemampft ist auch, und alle Akkus sind geladen. Morgen kann es weitergehen. Mal schauen, wie weit, aber auf jeden Fall weiter.

Tag 24: Norwegens höchste Passstraße

Puh, gut geschlafen. Warm war es in der Hütte, musste mich fast gar nicht zudecken. Der seidene Hüttenschlafsack hat fast genügt. Gab ja auch keine Bettdecke hier, und überhaupt ist die Hytta äußerst spartanisch ausgestattet. Aber gut, heute war es besser als Zelten. Schließlich steht mir heute was Besonderes bevor.

Klein aber… spartanisch.
Was ist da wohl drin? Hmmm… Ich glaube, ich tausche die schwarzen Ortliebs gegen gelbe ein. Der Unterschied ist krass.

Um 6 bin ich bereits so wach, dass ich aufstehen könnte. Aber bringt nix, ich muss noch Nudeln shoppen, und der Supermarkt macht erst um 9 auf. Um 7 aufstehen, gemütlich frühstücken, packen… d

as Übliche. Das ist inzwischen schon derart Routine, dass es überhaupt nicht mehr anstrengend ist. Um 9 schnell Nudeln und Tomatenmark gejagt, dann geht es bergan.

Fette Beute! Tütentomatensauce hab ich noch, Öl auch. Das genügt als Dinner.

Es rollt gemütlich los, recht flach vergehen die ersten 5km gemächlich. Aber ich weiß ja was kommt: die Strecke, vor der ich den meisten Respekt habe. Und heute geht es wirklich mal ums Radfahren, zumindest überwiegend. Denn ich habe mir freiwillig ausgesucht, den ganzen Tag bergauf zu fahren, und behaupte dann noch dreist, das mache mir Spaß. Kann das wahr sein?

Laaaangweilig!
Ja, gut, äääh, soooo langweilig war es dann doch nicht. Aua.

Berge fahren ist ne ganz eigene Sache. Da spielt der Kopf ne große Rolle, und die Krafteinteilung. Man muss sich also kennen, mit den Kräften haushalten, und mit Erschöpfung gut umgehen können. Und man ist erst oben, wenn man oben ist. Abkürzen geht nicht. Das hat seinen Reiz, von den körpereigenen Endorphinen, die dabei gleich literweise ausgeschüttet werden, ganz zu schweigen. Man darf es auch als Quälerei bezeichnen. Nicht um sonst gibt es auf https://www.quaeldich.de/ alles zu „Hauptsache bergauf mit dem Rennrad“.

Langsam aber majestätisch erhebe ich mich übers Tal.

Ich bin gerade um ne Spitzkehre, da tönt es, als würde jemand Steine Klopfen. Ohweh, lauern hier Trolle? Oder ist das der norwegische Fjellspecht, der den Fels zerlegt? Nein, da kommt einer auf Rollski den Berg rauf, und zwar doppelt so schnell wie ich! Wow. Die Beinchen dürr, die Schultern kräftig, stakst er mit Stöcken den Berg rauf, als wären die Wikinger hinter ihm her. Ich will am liebsten absteigen und heim laufen! Ich Anfänger.

Wusch und zisch – hätte nie geglaubt, dass man auf Rollski derart flott ne 9% Steigung hoch saust.
Kleines Detail am Wegesrand. Die Füße schützen vor Nässe und Schnee, und ich denke, auch vor Nagern. Sieht man öfter hier.
Auf 550hm bin ich schon nicht mehr ganz frisch. ⅓ ist geschafft.

Ich hatte Petro und Heidi nochmal geschrieben, und sie empfahlen mir sogleich die Burger im Hotel in Turtagrø, das liegt auf gut 900hm, also ⅔ der Höhe. Klingt verlockend. Da würde ich auch Tor Ove erwarten, dass er mich dort einholt. Ich muss zwar ne gute halbe Stunde auf den Burger warten, aber das gönne ich mir: die erste warme Mahlzeit, die nicht aus dem Campingtopf kommt! Und lecker ist er auch.

Da trudelt auch Tor Ove ein. „Ove“ spricht sich übrigens genauso wie „Uwe“, ist die skandinavische Form. Er macht mit mir Pause, ist wie irre den Berg rauf. Hätte ich nicht wild gewinkt und gerufen, wäre er im Kletterflow glatt vorbei gefahren. Gemeinsam geht es weiter. Aber, aua, die Beine, und die ganze Zeit 8-10% Steigung. Zum Branich (da wo ich wohne) sind es nur 1,6km mit zarten 7-8%. Pah, da werde ich in Zukunft hochfliegen! Aber hier geht es mit 5-6km/h voran. Mehr geht nicht. Das Gepäck wiegt mein halbes Körpergewicht, so wirkt die Steigung wie 12-15%.

Omnomnom!

Gemeinsam schrauben wir uns rauf. Tor Ove teilt die Leidenschaft. Er sagt ganz klar, dass die Abfahrt nur der zweitgrößte Spaß ist. Bergauf ist ihm am liebsten. Er fährt sogar ne Heldenkurbel, also vorne 2-fach mit 39/52 Zähnen. Und hinten sehe ich auch nur kleine Ritzel, keine Rettungsringe und Pizzableche. Boah. Seine Frau wartet oben schon mit dem Mittagessen auf ihn. Na, muss noch etwas warten.

Schön hier.
Weiter oben. Noch schöner hier.

Es wird zäh, ich kämpfe. Die Oberschenkel sind leer, Vorder- und Rückseite. Jetzt muss der Kopf herhalten. Gut, dass Tor Ove da ist, aber auch alleine würde ich durchhalten, das weiß ich, kenne ich längst. Trotzdem halte ich jetzt das Wort „Strapazen“ für durchaus angemessen. Ich bin kein großer Radler, verglichen mit Eirik, der gestern tatsächlich die 285km zurück nach Oslo geradelt ist, 11:30h in Bewegung, 6000kcal verbraten. Oder Tor Ove, der hier locker flockig über die Berge gleitet. Oder mit vielen anderen. Ich bin einfach froh über das, was ich schaffe. Und ich schaffe das. Und dann bin ich endlich oben, auf Norwegens höchstem Pass!

Absolut der Hammer!
Danke, Tor Ove, für die Geduld, Gesellschaft, Tipps und das Vorbild.

Wow. Geschafft. Am Anfang der Reise wäre das nicht möglich gewesen! Trotz halb müder Beine heute früh ging es. Zwar mit Fluchen und Grollen und Kämpfen, aber ich hab es geschafft. Yeah! Der Rest der Reise ist Kür.

Die Landschaft ist einmalig. Wir fahren auf Höhe von Gletschern, Blick auf Jøtunheimen, welches herrlich schroffe Gipfel zeigt, durchsetzt mit viel Weiß. Das Wetter ist traumhaft. Als wir 2010 hier mit dem Auto entlang gefahren sind, hat es geregnet, und wir haben nur geglaubt, dass es hier hübsch sein muss. Aber wir hatten keine Ahnung! Oh wow. Ob ich gleich hier Zelten sollte?

Aber irgendwie zieht es mich zur Krossbu. Das ist eine Hütte des DNT, Den Norsk Turistforeningen, vergleichbar mit dem Alpenverein. Von den 500 Hütten sind die wenigsten bewirtschaftet, die meisten bevorratet. Diese hier ist bewirtschaftet und man kann daneben Zelten und für ein kleines Entgelt von 100 NOK, also rund 10 €, Dusche und Bad mitbenutzen. Ja, wieder nicht wild zelten, aber so gut wie. Also fast. Sozusagen beinahe.

Die Krossbu des DNT auf 1270m
Oha. Der zweite Schadensfall. Jetzt hab ich endlich nen Zahnstocher, yay! Und nein, ich hab den Zinken nicht vor lauter Hunger abgebissen!
Das kleine Zeltlager, schön verstreut. Hmm, da hinten guckt der Smørdtabbtindan raus. Kann man da rauf?

Tatsächlich könnte ich morgen hier wandern gehen. Der Weg auf den Smørdtabbtindan ist 6,5km einfach, aber mit 1000hm. Werde morgen früh meine Beine fragen, was die von der Idee halten. Wäre schon ne Gelegenheit, die so schnell nicht wieder kommt, vor allem mit dem guten Wetter. Ich spaziere spaßeshalber mal etwas bergan, aber bereits nach ein paar Minuten merke ich, dass zumindest die Spaghetti in die Beine eingelagert werden müssen. Ich schlaf mal drüber. Zur Not langsam, und zur allergrößten Not bleibe ich noch ne Nacht hier. War ja erst die halbe Packung Nudeln, und in der Hütte gibt es auch immer Mampf.

Abendspaziergang im Fjell. So Ist es recht.
Und weil es so schön flauschig ist, noch ein bisschen Wollgras, das hier überall steht. Ich kuschel mich jetzt auch hin. Gute Nacht.

Tag 23: Die Alternative zum Bus

Schlafen, yay. Früh aufstehen bringt heute nichts, bin ich doch wieder hier gefangen und von öffentlichen Verkehrsmitteln abhängig. Also schön bis um 8 gedöst. Blöd eigentlich, dass die Campingplätze den Zeltbereich so beleuchten. Zwar stolpert man dann nachts weniger über Zeltschnüre, aber dunkel ist es dann halt auch im Zelt nicht. Aber geht schon.

Hab ich Hunger? Ich weiß es gerade nicht, bin irgendwie verplant heute. Vermutlich hab ich Hunger, ja. Von den Nudeln von gestern ist noch ⅓ da, das ersetzt das Müsli. In der Gemeinschaftsküche für den riesigen Platz steht der kleinste Wasserkocher der Welt, damit mache ich Tee. Jetzt geht’s allmählich.

Ich hatte 2 Reiseradler erspäht, gehe hin und tausche mich ein wenig aus. Rick und Bernice aus den Niederlanden haben schon viel Erfahrung, echt wunderschöne Reiseräder, und gehen es wirklich gemütlich an. Scheinbar legen sie viel Wert auf gutes Essen, so schleppen sie nen Kopf Salat mit herum. Täglich fahren sie 30-50km, das genüge. Wenn es so schön ist, warum dann so weit fahren? Hmm. Irgendwie ticke ich offenbar anders. Ich mag es, mich durch die Landschaft zu bewegen. Und ich mag die Anstrengung auf dem Fahrrad. Aber vielleicht muss ich den Modus mal ausprobieren. Nach dem Sognefjell.

Ich ertrage es nicht, noch 6 Stunden auf den Bus zu warten. Ich könnte ein Taxi rufen, dann zur Fähre, und auf der anderen Seite für den 2. Tunnel noch ein Taxi. Teuer, aber ginge. Ich könnte mich fertig gepackt an den Kreisel vor den Tunnel stellen, und den Daumen raus halten. Oder… Hey, der Typ mit dem Fiat Bus, der so lässig im Stuhl chillt, der hat nen Fahrradträger ohne Rad drauf, den quatsche ich an. Frank und Yvonne kommen aus der Richtung, wo ich hin will, aber er würde mich durch den Tunnel fahren. Das Risiko, nicht zu wissen, wie ich durch den 2. Tunnel komme, gehe ich nach kurzem Überlegen ein, und auf einmal geht es ganz schnell.

Ganz nackig hängt mein Randonneur da hinten dran. Und mein Gepäck sieht neben der riesigen Kiste auf einmal sehr überschaubar aus.
Fast 7km Tunnel wäre ich echt ungern gefahren. Letzte Nacht hatte ich noch die Idee, früh um 4, wenn nix los ist, heimlich durch zu rollen. Neee.

Die Fähre ist gerade da, schnell verabschiedet. Danke euch beiden, ihr habt mich heute in Schwung und übers größte Hindernis gebracht! Und rauf aufs gerade belandende Schiff, von denen hier gleich 2 alle 20min hin und her pendeln. Kaum drauf, sehe ich nen Pickup mit Mountainbike hinten drauf. Perfekt. Der will aber wegen Corona und Vorerkrankung kein Risiko eingehen, verständlich. Und nun? Nun kommt mir mein Norwegisch zu Gute. Ich erkenne zielsicher einen gemieteten Sprinter, in dem ein junges Pärchen sitzt. Ja, sie haben Platz, könnte aber eng werden… Nee, quatsch, die Karre ist leer! Stellt sich raus, Petro und Heidi sind gerade zusammen gezogen, haben gerade noch Möbel transportiert, und bringen die Karre jetzt zurück nach Sogndal. Voll beladen lege ich meine Reisekiste in den Laderaum, und los geht’s. Yeah!

Wie lieblos dahin geworfen, aber ich hab es wirklich zärtlich abgelegt. Alleine schon wegen der Flasche Öl in der Seitentasche.
Die Fähre ist recht voll, auch 5-spurig, und rein elektrisch. Ratz fatz sind wir drüben.

Die beiden sind echt nett, und frisch verliebt. Total süß und herzlich. Wir unterhalten uns auf der Fahrt prächtig, dann geht es wieder schnell. Heidi weiß genau, wo sie mich am besten absetzt, wir wünschen uns gegenseitig alles Gute. Tausend Dank euch beiden! Ich verzurre das Gepäck jetzt ordentlich, und kaufe an der Tanke hier noch 2 Schokobøller. So bin ich bester Laune um 12 Uhr startklar, um die F55 in Richtung Sognefjell zu rollen. Ganz schön viel Vorgeplänkel, bis es mal los geht.

Genau da will ich hin. Leider ist ne Menge Verkehr, hoffe, das wird morgen ruhiger.
Eine kleine Tunnelumfahrung bringt mich an diesen Lachsfluss mit erstaunlich vielen Anglerstegen.

Weil ich nun schön viel Zeit habe, kann ich die Stabkirche von Urnes besuchen. Dazu verlasse ich die F55 und rolle nach Solvorn hinab, wo eine kleine unelektrische Fähre gelegentlich pendelt. Die halbe Stunde Warten verbringe ich mit vorsorglicher Kalorienzufuhr. Sonst passiert genau nichts. Das Örtchen ist beschaulich, aber das lokale Kaffee hat zu, sonst hätte es natürlich – wer hätte es gedacht – Süßteilchen mit Kaffee gegeben.

Sonnig und ruhig und sonnig. Daheim bricht gerade Herbstwetter los, und mir geht die viele Sonne auf die Nerven.
Liegt hier auf nem Pfosten und verschönert den Hafen. Hübsche Idee.
Autos müssen rückwärts drauf, Motorräder müssen wenden. Echt putzig das Schiffchen.
Da fahr ich später auf der rechten Seite hinter, noch 30km bis zum Ende.
Das Örtchen Urnes. Das ist echt abgeschieden, ruhig, und idyllisch. Sehr idyllisch.

Die Stabkirche steht natürlich oben, bei sachten 10% läuft mir in der blanken Mittagssonne der Schweiß, bis ich die 80hm rauf bin. Aber wie immer lohnt es sich. Dies ist die älteste Stabkirche Norwegens, wurde etwa 1130 erbaut, und ist die 4. Kirche an diesem Platz. Die Stäbe der Stabkirchen sind Baumstämme, die senkrecht aufgestellt die ganze Konstruktion tragen. Diese stehen hier eben schon seit 900 Jahren! Das Holz ist „malmfuru“, englisch „Ore-Pine„. Deutsch finde ich es gerade nicht. Total spannend, dass das so ewig haltbar ist. Eine kurze Führung in kleiner Gruppe erläutert spannende Details, dann noch Wasser auffüllen, und weiter geht’s.

Echt nicht groß, aber hübsch. Auf der Südseite bleich die Sonne das Harz aus, die Nordseite ist fast schwarz.
In der kleinen Ausstellung ein Modell der Stabkirche von Borgund. Da sieht man schön die Stämme stehen.
Über die Jahrhunderte wurde umgebaut, dann noch Reformation… Der Statik wurde nachgeholfen. Nicht hübsch, aber hält seit 400 Jahren so.
Über die Zeit fanden sich immer wieder hübsche Details ein, je nach Epoche mal dies, mal das.
Die Außenwand gen Norden. Vielseitig interpretierbar, präzise Erklärungen gibt’s nur mit Zeitmaschine.

In regelrecht sengender Hitze geht es nach Norden, dem Ende des über 200km langen Sognefjords entgegen. Die Straße ist schmal und einsam, die 3 Tunnels unbeleuchtet und eisig kalt. Hier wohnen Leute, schon seit 4000 Jahren. Irre. Und Obst wächst hier auch gut. Einige Wasserfälle gibt es entlang des Weges, aber es gab die letzten Wochen so wenig Regen, dass sie nicht spektakulär sind. Und hinlaufen müssen will ich heute definitiv nicht. Ist ja quasi ein Ruhetag heute.

Auch noch hinlaufen? Nee, heute nicht, danke. Ah, da hinten ist er ja, passt schon, kann weiter gehen. Heute nicht.
So macht die Straße Spaß, und ich schaffe es tatsächlich, ein paar kurze Pausen einzulegen. Juhuu.

Gegen 18 Uhr komme ich in Skjolden an. Hier ist der Fjord zu Ende, und ich für heute auch. Damit ich morgen top fit bin, gönne ich mir ne Hütte. Die Einrichtung ist sehr minimalistisch, mir genügt es aber für jetzt. Der See vor der Tür ist türkisblau und das Abendlicht leuchtet ihn herrlich aus. Ich muss aber Wäsche waschen, diesmal nicht nur Trikot und Radl Hose, sondern auch mein Handtuch, das etwas mieft. Der Rest geht noch gut – ein Hoch auf Merinowolle!

Ein Dutzend solcher Hüttchen stehen hier, die links ist meine.

Morgen steht ein anstrengender Tag an. Ich will so hoch ins Fjell wie bisher nie. Mit Tor Ove, der mich von Røldal nach Odda ein Stück begleitet hatte, bin ich in Kontakt geblieben. Er radelt morgen mit dem Rennrad die Strecke, startet früh in Sogndal. Ich bin gespannt, wo er mich ei holen wird. Ich tippe auf 900hm, dann werden wir ein Stück gemeinsam fahren. Da freu ich mich drauf. Und jetzt freue ich mich auf eine ruhige, dunkle Nacht. Mögen die vielen Kalorien ihren Weg in meine Beine finden.

Der Eidsvatnet bei Skjolden. Dahinter geht es morgen früh gen Fjell.