Tag 41: Kurzes Finale nach Lårdal

Es regnet doch noch, Yr hatte recht – und es bleibt nicht beim Yr, beim Nieselregen, sondern macht ganz ordentlich alles nass. Das Tröpfeln auf dem Zeltdach bringt mich schnell in tiefen Schlaf. Ans Schlafen im Zelt hab ich mich inzwischen sehr gewöhnt, überhaupt ans Zeltleben. Das auf-dem-Boden-Herumkrauchen hat auch was von Yoga, finde ich. Ein paar Yoga-Übungen mache ich ohnehin gegelentlich, denn so sehr ich mich an die 2cm dünne Isomatte gewöhnt habe, eine Matratze ersetzt sie nicht. Auch ist die Belastung und Haltung beim Radeln eher einseitig, so dass natürlich auch Verspannungen kommen, denen ich entgegenwirken will.

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Irgendwann wache ich auf, bin überzeugt, es ist schon längst später Morgen, bin auch hellwach und fühle mich ausgeschlafen – der Blick auf die Uhr verrät: 3 Uhr. Oh wow. Na, ich bin ja erholt. Das Licht kam von den doch ziemlich hellen Laternen auf dem Zeltplatz, welches natürlich problemlos auch im Zelt die Nacht zur Morgendämmerung macht. Problemlos schlafe ich tief und fest, schlummere in die echte Morgendämmerung hinein, der Regen lässt nach, und ich bleibe liegen, solange es meine Blase erlaubt.

Auch im Zelt gibt es reichlich Tau. Nein, hier hat es nicht reingeregnet.

Anziehen, Bad, zurück zum Zelt, Tee und Topf und Flasche zur Küche tragen. War da nicht noch was? Als das Wasser kocht, fällt es mir ein: der Topfgriff. Mit spitzen Asbestfingern schaffe ich es, das kochende Wasser in die Flasche zu füllen, stopfe die Teebeutel dazu, schraube die Flasche zu und trage sie am praktischen Henkeldeckel zurück. Und weil ich gerade da bin, nehme ich auch noch ne halbe Pizza mit, die soll heute mein Frühstück sein. Und was für eines! Mjam! Da es wieder nieselt, genieße ich diesmal den kulinarischen Tagesstart mit Tropfenmusik im Zelt.

Pizza a lá françoise- die Zweite. Nicht nur der Hunger treibt es rein, ist immer noch lecker.

Heute geht es wirklich weiter, ich packe also gemütlich vor mich hin, ziehe mich um und warte, bis der Regen etwas abnimmt und Anja sich von unterwegs aus meldet. Ich werde rund 2 Stunden brauchen, sie etwa 3 Stunden. Gut abgestimmt könnten wir etwa gleichzeitig in unsrer Bleibe eintrudeln. Warte, nur 2 Stunden Fahrradfahren heute? Hm, das ist schon arg wenig. Aber machen kann man nicht viel, die Möglichkeiten sind begrenzt. Ich freue mich immer noch auf die Fahrt im Regen. Mal sehen, ob das was wird, oder mir diese Erfahrung verwehrt bleibt.

In der Küche treffe ich wieder Clarisse und Romain, denen die Reisepause sichtlich gut tut. Sie kommen endlich dazu, über mehr zu sprechen als Kalorienjagd, Unterschlupfsuche, Streckenalternativen und Wetter. Wir tauschen unsere Kontaktdaten und sind uns ziemlich sicher, dass wir uns wiedersehen – sei es in Grenoble oder Heidelberg, oder vielleicht ganz woanders. Da meldet sich Anja, dass sie bereits von der Fähre runter und gut unterwegs sei, und ich hab noch nicht mal das Zelt eingepackt! Oha, nun aber zackig. Zum Glück hab ich 6 Wochen geübt, so geht es wirklich flink, und kurz später bin ich abfahrbereit. Nach nur 2km wird es ne Weile steil bergauf gehen, also starte ich bei leichtem Yr und 10°C in kurzen Sachen – genau richtig, wie sich bald herausstellt. Ein kurzer aber herzlicher Abschied von den beiden Franzosen, und ich bin unterwegs.

Gråskjegg geht wieder auf Tour mit Blåjernhest – dem blauen Eisenpferd
Keine Minute später muss ich schon bremsen. Verfloxt, jetzt ne ordentliche Aussicht… keine Zeit dafür, leider. Wolken machen Berge schön – erwähnte ich das bereits?

Es geht mit 11% kontinuierlich bergauf, mein Puls ist mitunter deutlich jenseits der 140, aber das ist heute egal. Ne Stunde halte ich das gut durch, das weiß ich. Und tatsächlich klettere ich in der ersten Stunde satte 570hm hinauf, das ist Rekord mit dem Gepäck! Ach, was würde ich gern weiterfahren und erkunden, wie fit ich eigentlich werden kann. Ich hab gestern bei Duschen schon bemerkt, dass ich 2 weitere Kniescheiben habe – zumindest sah es von oben so aus, so dick sind die Muskeln geworden. Die zusätzliche Motivation, Anja bald wieder zu sehen, gibt mir sicher auch ein bissl Schub.

Leider gibt es Aussicht von oben nur mit Strommast im Weg. Norwegen ist leider voller Strommasten und -leitungen.

Die Wolken wabern wild durch das Tal und über den Bandak, immer wenn ich runterschauen kann, sieht es anders aus. Dann bin ich selbst in ner Wolke, der Niederschlag wird heftiger, aber mich stört das nicht. Noch nicht. Zwischen Regentropfen läuft trotzdem der Schweiß, auch bei inzwischen nur noch 8°C. Ich genieße es, so intensiv lebt es sich sonst selten: die kühle Waldluft, die schöne, gleichmäßige Anstrengung, das vorüberziehende Grün, der gelegentliche Ausblick, und heute erstaunlich viele Aufmunterungen von Autofahrern – einer filmt mich sogar. Im Home Office ist es definitv langweiliger.

Hey, die kenn ich doch! Die Stabkirche von Eidsborg, diesmal nass. Die werden wir die nächsten Tage bestimmt nochmal besuchen, dann hoffentlich mit englischer Führung.

Als ich so ziemlich oben bin, merke ich beim ersten kurzen flachen Stück, wie kühl es mit Fahrtwind wird. Also schnell die langen Sachen drüber, und ein paar hundert Meter weiter auch die Regenjacke, dafür pack ich die Brille weg. Ohne seh ich mehr als mit. Regenhose und Schuhüberzieher lass ich mal weg, ich will wissen, was die Softshellhose kann und wie gut es mit nassen Wollsocken in nassen Trailrunningschuhen geht. Die Hose kann einiges und geht auch nass, die Schuhe sind auch nass wunderbare Treter. Trocknen müssen wollte ich das Zeug nicht im nassen Zelt bei Dauerregen, aber später erwartet mich ein Holzofen, da ist Zeit für Experimente.

Klar? Nicht so. Ohne ist besser.
Kann das denn Spaß machen? Ja. Eindeutig ja. Zu erleben, dass man den Elementen gut trotzen kann, ist einfach schön. Und sobald man mal nass ist, ist es auch egal. Nass werden ist bäh, nass sein dagegen okay.

Ich war flink über den Berg und kann mir jetzt Zeit lassen. Die letzte Abzweigung führt mich auf eine unbefestigte Straße, die sich aber super fährt, fast als wäre es Asphalt. Nur einmal kommt mir ein Auto entgegen, dafür rasant, aber Platz ist genug. Hier soll man bei Dämmerung gut Elche sehen können. Überhaupt habe ich keinen einzigen Elch gesehen auf dieser Tour. Auf anderen Trips in Norwegen hab ich die schönen großen Tiere immer nur in der Dämmerung angetroffen.

Und das ist auch was doofes beim Radeln mit Zelt: man ist an den Tag gebunden und kann nicht zur frühen Morgenstunde oder in den Abend hinein unterwegs sein. Das heißt, gehen ginge es schon, aber nur mit erheblichen Umständen. Um früh unterwegs zu sein, müsste man vor der Dämmerung aufstehen und packen und beladen und losfahren, Frühstücken wäre da kaum möglich, kalt wäre es auch, also erstmal ein paar Stunden mit Kleinfutter überleben. Und tagsüber müsste man dann alles trocknen, also länger Halt machen, einiges auspacken, aufbauen… uffz.

Um in den Abend hineinzuradeln, müsste man schon kochen und essen, bevor man das Zelt aufschlägt, denn im Finstern macht das keinen Spaß, und hungern oder nur von Nüssen und ähnlichem ernähren geht ja auch nicht wirklich. Also Halt machen, auspacken, kochen, sauber machen, einpacken, beladen, in den Abend fahren und im Halbdunkel nen Zeltplatz finden? Und dann verschwitzt in den Schlafsack? Sich waschen im finsterer Kälte ist ja nun nicht gerade erstrebenswert. Hmm, ich kann es mir nicht so recht vorstellen. Dabei sind es die Grenzen des Tages, welche oft tolle, ruhige Stimmungen bringen, und in denen dahinzurollen eigentlich schön wäre. Nur halt so ungemein unpraktisch, zumindest zu dieser Jahreszeit in Norwegen.

Da gibt es auch nen Campingplatz in Lårdal? Hmm… falls ich es mit festem Dach über dem Kopf nicht aushalte, kann ich ja schnell flüchten.
Schotterpiste, kleiner Bach, viel Wald – garantiert Elchgebiet.

Viel zu schnell geht es heute, da bin ich schon da. Die Vermieter der kleinen Wohnung sind super nett, ich darf auch das Zelt zum Trocknen im Garten aufbauen, der Ofen ist vorgeheizt, die Wohnung super gemütlich, die heiße Dusche tut gut. Ich glaube, hier kann ich es ein paar Tage aushalten. Ja, ich bin schon auch froh, mal was anderes zu machen und ne Weile an einem Ort zu bleiben. Ewig unterwegs, die Straße als Heimat, stetiger Wechsel – das ist zumindest derzeit für mich nicht vorstellbar.

Da steht es, und darf auch stehen bleiben. Natürlich ohne Gepäck.

Bald kommt auch Anja, und das Wiedersehen ist mehr als herzlich! Lang haben wir uns vermisst, 6 Wochen sind schon wirklich arg lang. Es gibt viel zu erzählen, aber erstmal sich ansehen, fühlen, nah sein. Und essen. Am Tisch, auf Stühlen, mit jeder Menge Auswahl und frischen Tomaten und Paprika aus dem Garten daheim. Ein Festmahl.

Im Joker sogar ein wirklich leckeres Brot entdeckt, das wir zu zweit auf Anhieb fast niedermachen.

Diese Seite heißt ja nicht umsonst kurz mal raus, denn so ergeht es Anja und mir immer wieder: „Komm, lass mal kurz raus gehen“ – „Okay“ … „Warum wird es eigentlich schon dunkel?“ So geht es auch diesmal, als wir uns nur mal kurz die Beine vertreten wollen. Schon sind wir auf dem Weg durchs Gestrüpp, um eine Abkürzung zum Lårdalstigen zu nehmen, wo es ne schöne Aussicht auf den Bandak gibt. Kurz vor Sonnenuntergang sind wir dort, genießen kurz den Augenblick, bevor uns der Wind den Schweiß kühlt und wir den steilen Weg durch den schnell dunkler werdenden Wald wieder nach unten düsen.

Nee, das ist wirklich nicht bearbeitet oder gestellt. Das war so. Echt jetzt.
Die Aussicht. Ich weiß, schon wieder See, Wolken, Berge, Wald. Mein landschaftlicher Geschmack dürfte inzwischen geklärt sein.

Auf den letzten Metern kommt noch der Mond hinter den Bergen raus und beleuchtet die schwindenden Wolken, die ersten Sterne lassen sich sehen. Es wird regelrecht romantisch. So darf eine große Tour enden, das ist schöner als zurück in die große Stadt und Trubel und Fähre und Menschen und Zugfahren und all der Stress, Lärm, Hektik. Hier in einem einsamen Dorf zusammen mit der Liebsten bin ich bereit, das Abenteuer zu beenden. Das nächste kommt bestimmt bald. Morgen will ich versuchen, die Tour auf eine Karte zu malen und ein paar Zahlen, Daten und sowas zusammen zu schreiben, quasi ein Fazit. Heute schaff ich das nicht mehr, das weiche Bett ruft dafür zu laut.