Warte, Du liest immer noch mit? Irre! Nee, jetzt ganz ehrlich: ich hab keine Ahnung, wer hier alles mitliest. Tust Du mir nen Gefallen? Schreibst Du mir ne Mail? Egal wie kurz, sogar ein „Ich lese mit“ genügt, aber gern darfst Du mir verraten, wie es Dir beim Lesen so ging. Und Fragen beantworte ich natürlich auch, klaro. Danke Dir!
Aber jetzt zur Sache. Die Sache, also die Hauptsache heute, ist erstmal Ausschlafen. Ausschlafen tut gut. Nachts bin ich gelegentlich wach, und ich spüre meine Oberschenkel deutlich. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass ich nicht viel fahren sollte. Weit ist es ja eh nicht mehr, also mache ich mir keine Sorgen. Um 8 bin ich putzmunter, während Clarisse und Romain noch nichts von sich sehen lassen.
Routenplanung — Tag 1 — Tag 10 — Tag 20 — Tag 30
Heute soll es im Laufe des Tages regnerisch werden, und jetzt ist es bewölkt, die Luftfeuchtigkeit hoch, alles trocknet deutlich langsamer. Ich mache mir Tee in der Küche und rühre ein großes Müsli mit Schokopulver, Blaubeersirup und heißem Wasser an. Auf nem Stein sitzend schaue ich auf den Fluss und esse genüsslich, lasse so den Tag beginnen. Draußen sein ist gut, tut gut. Muss ich daheim wieder mehr machen.

Die Franzosen ruhen immer noch, und nachdem Clarisse gestern meinte, sie sei etwas reisemüde, vermute ich ganz richtig, dass die beiden nicht wie Thomas und Tina weiterziehen, solange es irgendwie geht, sondern hier Pause machen. Ich packe gemütlich ein paar Sachen und lasse mir Zeit. Ah, zahlen muss ich ja noch, und jetzt ist der Besitzer auch an der Rezeption, vor welcher die beiden Reiseradler auf der klassischen Tisch-Bank-Kombo frühstücken. Wir unterhalten uns, ich kriege nen Kaffee, und stehe auf einmal vor der Wahl, auch noch nen Tag hier zu bleiben, aber morgen den Rest im Regen zu fahren. Entweder heute hier Gesellschaft genießen, oder aber alleine bei Regen im Zelt sitzen und reflektieren und Blog schreiben. Als Romain meint, wir könnten heute zusammen Pizza machen, fällt mir die Entscheidung sehr leicht: wenn Franzosen zum kochen einladen, dann isst man mit.
Also wird ein Einkaufszettel erstellt, Romain und ich gehen Mampf kaufen. Vorher schaue ich noch bei ner Werkstatt vorbei und bekomme Miljøbensin für den Kocher, das ist Benzin mit weniger Additiven, das rußt weniger und ist gesünder. Der Werkstattmensch ist sehr skeptisch, meint, Benzin sei gefährlich und fragt besorgt, ob ich denn auch im Zelt koche. Hab ich schon ein paar Dutzend Male gemacht, im gut belüfteten Vorzelt, und habe keine Sorgen. Ob ich die Dichtung der Flasche erneuert hätte? Ja, habe ich gerade erst. Zugegeben, nach 10 Jahren das erste Mal, und es war nötig. Er mahnt zur Vorsicht, wirkt noch immer skeptisch. Mir scheint, der Gute hat üble Erfahrungen mit Benzin erlebt oder zu hören bekommen.
Tatsächlich ist der Benzinkocher, ein MSR Whisperlite, schon gewöhnungsbedürftig und nicht so sauber und bequem wie ein Gaskocher. Anheizen dauert ne Minute und qualmt etwas, mit Rein- oder auch Waschbenzin ist das deutlich angenehmer, aber trotzdem immer etwas Aufwand. Regulieren ist auch nicht so leicht, und er brennt beim Ausmachen immer etwas nach. Dafür hält eine Flasche echt ewig, man bekommt überall Nachschub, und muss nie leere Gaskartuschen herumschleppen. Den Vorteil, dass er auch bei eisiger Kälte einwandfrei brennt, musste ich bisher nur einmal nutzen, als ich im Februar auf dem Gletscher des Similaun gezeltet habe (mache ich so schnell nicht wieder). Ich mag es, Feuer zu machen, und der Geruch dabei ist bei mir inzwischen fest verdrahtet mit Outdoor, Wildnis, Abenteuer. Trotzdem freue ich mich auf ne Lösung, die ohne fossile Brennstoffe auskommt.
Wir 3 tauschen uns viel aus, spielen dann eine Weile Ping Pong mit aalglatten Plastikschlägern, mit denen man überhaupt keinen Effet erzeugen kann, so dass meine uralten Reflexe mich ständig in die Irre führen. Macht trotzdem Laune. Ein Spaziergang auf der Insel führt zu romantischen Plätzchen, die auch bestimmt gut zum Angeln sind – Romain hat am Fahrradrahmen eine Teleskopangel befestigt, bisher bekamen die beiden es aber nicht übers Herz, nen Fisch auch zu töten. Er verzichtet deshalb auch heute auf den Versuch, nen Wurm zu baden.

Irgendwann ist Pizza-Time. Ich befolge Anweisungen, Romain dirigiert. Im Supermarkt haben wir vorgebackene Pizzaböden gefunden, diese werden mit Creme Fraiche bestrichen und dann dick belegt, zuoberst kommt Brie. Italiener würden uns dafür, dass wir dies „Pizza“ zu nennen wagen, vermutlich mit Betonschuhen im Bandak versenken. Ich bin auch skeptisch. Der Aufwand ist nicht unerheblich, denn alle Beläge werden vorgegart oder angebraten. Aber als ich probiere, verfliegt jeder Zweifel. Das norwegische IPA, das ich spendiere, passt mit seiner herben Fruchtigkeit prima dazu. Wow. Das ist die erste richtige Mahlzeit seit Beginn der Reise. Heute hier zu bleiben war ne gute Entscheidung, der Tag war echt schön.


Wir erzählen noch, natürlich auch über unsere Arbeit. Dabei merke ich deutlich, wie sich die Gesichter, die Haltung, die Sprache verändern. Lebhaftigkeit und Frohsinn weichen Ernst und Frust. Verfloxt, irgendwas machen wir doch falsch im Arbeitsleben, wenn das so aufzehrt und die Kräfte raubt. Aber ich merke auch wieder, warum ich den alten Job gekündigt habe, und warum ich für den neuen so brenne.
Ich möchte Software so bauen, wie es sein soll, und die Möglichkeit, das zu gestalten, werde ich haben. Da freue ich mich drauf, und merke auch deutlich, dass die Altlasten weiter weg sind, sich fern anfühlen. Ja, da kommen noch Frust und Verzweiflung hoch, wenn ich davon erzähle, wie schwerfällig ein Großkonzern ist, und wie wenig man als Einzelner insgesamt ausrichten kann. Aber es sind fernere Erinnerungen einer doch eher schon vergangenen Zeit, die mich nicht mehr so belasten. Ich bin merklich freier. Befreiter.

Inzwischen hat ganz schleichend ein leichter Dauerregen eingesetzt. Zwischen Zelt und Toilette genügt eine Softshelljacke, beim Wandern oder Radeln wäre man ratz fatz durchweicht. Das ist uns schon öfter passiert: Erst machen die paar Tropfen nichts aus, dann könnte es ja bald wieder aufhören, und bis man denkt, Regensachen wären doch ganz gut, ist man bereits total nass. Ich schreibe wieder im Zelt, bin dankbar für die 3kg Stoff, die mich so gut schützen. Die Niederländer nebenan, die mit Zelt und Auto unterwegs sind, haben ihre Fahrräder mit nem Plastiküberwurf geschützt. Mein geliebtes Fahrrad steht draußen und wartet geduldig auf mich, damit wir morgen die letzte Etappe bewältigen.
