Tag 34: mit dem Zug ins Fjell

Mh, ich mag nicht mehr in Hütten schlafen, die sind viel zu warm und stickig. Heute Nacht geht’s wieder ins Zelt. Damit ich es auch ja rechtzeitig zum Zug schaffe, stehe ich um 6:30 auf, frühstücke Müsli und Tee, mache alles fertig. Der Rest schläft noch. Erst als ich mein Rad belade, schaut ein verschlafene Gesicht aus der Nachbarhütte. Etwas zu früh bin ich anfahrbereit, da kann ich nochmal kurz an den See. Das Wetter ist freundlicher als erwartet, soll mir recht sein. Da, wo ich vor 3 Tagen noch war, regnet es viel. Ich bin in der richtigen Richtung unterwegs.

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Mit dem Gepäck war die Hütte dann auch voll.
Morgens am See in Voss. Ich mag diese Wolkenbänder.

Am Bahnhof wird es dann nochmal spannend. Ich will, wie gestern schon erprobt, mit der App VY ein Ticket kaufen, da sagt sie mir, dass für den Zug um 9 kein Platz mehr für Fahrräder sei. Auweia! Haben da noch mehr aufs Wetter geschielt und kurz entschlossen den Trip zum Rallarvegen gebucht? Hätte ich nur gestern schon… Aber das hilft jetzt auch nix. Was kann ich tun?

Im doofsten Fall kann ich erst den Zug 4 Stunden später nehmen, dann komm ich heute abend spät an, oder ich komme nicht so weit. Aber erstmal kann ich ja im Zug die Lage checken. Man kann auch im Zug noch ein Ticket lösen, und wenn ich samt Rad erstmal drin bin und der Zug fährt, wird alles gut. Für ein Fahrrad mehr ist immer Platz. Am Ticketautomat kann man übrigens kein Fahrrad dazu buchen, da wählt man dann ne Kinderkarte, kostet die Hälfte. Das lerne ich aber erst später.

Just wie der Zug einfährt, kommt die mahnende Durchsage, man solle doch bitte vor Fahrtantritt sein Ticket lösen. Ich gucke unschuldig. Der Schaffner steigt aus, ich geh direkt auf ihn zu und frage, wo die Fahrräder rein kommen. Ob ich nen Platz dafür reserviert habe. Äh, hätte ich müssen? Am Automaten gehe das nicht… Wider Erwarten verweist der Schaffner nicht auf den späteren Zug, er ist nicht mal genervt, sondern packt an und macht möglich. So sitze ich bald in der Bergenbahn, und das Ticket kostet nun sogar noch weniger als mit der App. Doch nicht alles logisch hier, aber ich bin happy und unterwegs nach Finse.

Die Fahrt ist irre. Ich wollte schon lange mal hier fahren. Und tatsächlich erlebt man in kurzer Zeit den Übergang von unten rauf ins Fjell, die Aussicht ist klasse. Ich empfehle in der Richtung Bergen-Oslo einen Platz auf der rechten Seite am Fenster. Der Zug ist recht voll, aber die meisten scheinen ihn regelmäßig zu nehmen, und interessieren sich wenig für das Draußen. Zügig gewinnen wir an Höhe, konstant mit 70km/h klettern wir hinauf.

Schnappschuss aus dem Zug 1
Schnappschuss aus dem Zug 2
Schnappschuss aus dem Zug 3

Viel Aufwand wird betrieben, um die Strecke ganzjährig in Betrieb zu halten. So ragen die Tunnelröhren weit aus dem Berg heraus, um die Eingänge vor Schnee zu schützen. Große Holzzäune schützen vor Schneeverwehungen. Überhaupt sind es etliche Tunnels und Galerien, und dadurch, dass hier keine Straße läuft und damit auch keine Häuser stehen, führt die Strecke, wenn auch nur für kurze Zeit, durch unberührte Landschaft.

Hier sieht man toll die kurzen Tunnels und Galerien mit Schneeschutz
Abschied in Finse. Danke, liebe Bahn.
Ah ja, der Rallarvegen ist offenbar sehr beliebt. Wow.

Nach Finse kommt man nicht mit dem Auto, also mit der Bahn, dem Rad oder zu Fuß. Der Rallarvegen war die Straße, die für den Bau der Bahnstrecke genutzt wurde. Heute ist sie eine unbefestigte und sehr beliebte Fahrradstrecke von Haugastøl nach Flåm. Kaum einer fährt in. Der anderen Richtung – außer mir. Und Damit wären wir wieder bei Wind und Planung: ich hab irre Rückenwind, und es geht leicht bergab. Die Ärmsten, die mir entgegen kommen, sind dick eingemummelt und strampeln kräftig, während ich grinsend vom Wind dahingeschoben werde. Kühl wird es mir nur, wenn ich anhalte.

Der Hardangerjøkulen versteckt sich, nur eine Zunge leckt unter der Wolke durch.
🙂

Nach 10km Suche ich ein windgeschütztes Plätzchen und esse Kekse, denn das Frühstück ist bereits 4 Stunden her. Nicht, dass das wenig gewesen wäre, aber naja, Mägen knurren zu lassen ist gerade nicht so meine Art. Die „Mondlandschaft in Grün“, wie es eine Dänin zu Anfang der Fahrt mal ausdrückte, ist gar nicht mehr so grün. Es haben sich alle möglichen Herbstfarben eingeschlichen. Da die Pflanzen alle sehr klein sind und auch die Biotope eher kleinflächig sind, muss man genauer hinschauen, um zu erkennen, woher die Farben eigentlich kommen. Blaubeerpflückenderweise hab ich ein paar Stichproben genommen.

Blaubeeren mit gelben und grünen Blättern, Flechten in neongrün und curry-orange
Bunt.
Noch mehr bunt. Und Blaubeeren, maximal ein Dutzend pro Pflanze.

Es ist schön hier, aber nicht so spektakulär. Wir haben beim Wandern in der Hardangervidda immer wieder erlebt, dass sich die Schönheit hier mit den Tagen richtig offenbart. Bei der letzten Tour sind wir ab dem 3. Tag einfach nur glückselig durch die traumhaften Farben gelaufen. Hier gibt es kein Aaah und Oooh, weil ein Fjord so tief, ein Berg so majestätisch, eine Aussicht so gigantisch ist. Es ist eine andere Schönheit, die sich auf dem Fahrrad nicht so schnell erschließen lässt. Klar ist es toll, hier zu fahren, aber wem das gefällt, der muss hier mal wandern gehen. Mindestens 4 Tage.

Ein Güterzug, schnell gebremst und erwischt.
Das Wetter bessert sich, die Wolkendecke hängt höher. Sogar Sonne? Na, jetzt nicht übertreiben!

Haugastøl ist voll auf Tourist ausgelegt. Pause will ich erst in Geilo machen. Die Fahrt ist zügig, aber unspektakulär, die Straße breit und viel befahren. Dankbar für den Rückenwind düse ich dahin. Geilo stellt sich als Ski-Ort heraus. Alles ist für den Winter ausgelegt, die Hügelhänge sind voller Pisten und Lifte. Verkehr hat es auch reichlich. So kaufe ich ein paar industrielle Backwaren als schnellen Zucker und bleibe nicht lange. Ein Bild kann ich gar nicht machen, will ich gerade auch gar nicht. Ist eher so meh.

Oberhalb von Geilo, Skiresort, überall wird gebaut.

Dann geht es ne etwas ruhigere Straße in Richtung Dagalifjell. Zwar hab ich bereits 350hm in den Beinen, der Anstieg läuft trotzdem locker. Ob ich endlich meinen Rhythmus gefunden habe? Die Straße ist gesäumt von kleinen Birken, die schon voll auf Herbst umgefärbt sind. Die Landschaft hier ist eher sanft hügelig, Aussicht hat man selten. Dafür erstrecken sich die Wälder ewig weit. Passieren tut nicht viel. Ich fahre eher meditativ rauf und runter, bis ich in Dagali am kleinen Supermarkt ankomme, um mir ein Dinner zu kaufen.

Wie praktisch. Heute geht’s bis Dagali.
Doch auch hübsch. Aber halt keine Fjorde.

Ich will Gepäck abbauen, also esse ich heute Spaghetti. Die trage ich seit Tagen also „sollte ich doch mal wild Zelten“-Mampf mit mir herum. Dazu ne gute Soße im Glas und Spitzpaprika, das wird lecker. Der Zeltplatz ist ziemlich abgerockt, tut aber, was er soll. Duschen, waschen, kochen, essen. Außer mir sind nur ganz wenige hier, als direkte Nachbarn hab ich 2 Paare in Wohnmobilen.

Der eine, Ove, kommt auf mich zu und stellt mir ein Bier hin. Eiskalt, das brauche ich jetzt sicher. Die anderen quatschen mich auch an. Später machen sie Feuer. Ich setze mich dazu, und wir haben einen lustigen Abend. Ein weiteres Bier lehne ich nicht ab, aber mehr dann nicht, ist schlecht für die Regeneration. Schade eigentlich, mit Norwegern betrinken wäre auch mal nice. Soviel zum Thema, Norweger seien ja so verschlossen.

Per Morten spricht mich sogar genau darauf an, ob Norweger wirklich so unzugänglich wären, wie man sage. Ein bisschen schon, ja, man muss ne Art Schwelle überwinden, bevor sie sich auf ein Gespräch einlassen, dann geht es aber gut. Ich weiß nicht, ob es eher Zurückhaltung oder Verschlossenheit ist. Jedenfalls habe ich keinerlei Probleme hier. Das mag vielleicht an meinem Sonderstatus als Reiseradler liegen, oder dass ich alleine unterwegs bin. Oder daran, dass ich gelegentlich manche sozialen Signale einfach ignoriere. Oder an meiner Art, auf Menschen zuzugehen. Wie auch immer, es ist schon wieder viel zu spät.

Ein Fluss unweit des Campingplatzes, der genau das richtige Rauschen und Gluckern hat. Perfekte Soundkulisse.
Ich bin auf 750hm, hier ist im Winter viel Langlauf angesagt. Ich hab das erst für Wanderwege gehalten.
Diese Tisch-Bank-Kombos weiß ich inzwischen sehr zu schätzen.

Ah, ein Gedanke ist mir noch wichtig. Das kam auch im Gespräch heute auf, nämlich das Erarbeiten der Landschaft. In Voss bin ich heute früh auf 100hm los, und in Finse auf 1200hm ausgestiegen. Das fühlte sich wie cheaten an. Und ich war gar nicht richtig oben, obwohl ich mit der Nase während der Zugfahrt an der Scheibe geklebt hatte. Es war nicht so echt und intensiv, als wenn ich die Höhe erstrampelt hätte. Mehr so, wie wenn man mit der Seilbahn auf nen Gipfel fährt statt rauf zu wandern. Morgen darf ich mir Höhe wieder hart erarbeiten, und auf der Etappe danach erst recht. Da freu ich mich jetzt umso mehr drauf.