
Kalt war es. Ja klar, bin ja auch noch recht weit oben, auf 850hm. Gestern war spät, ich glaube, mein Eintrag hier war nicht der Beste. Naja. Hauptsache die wichtigsten Erinnerungen sind festgehalten, sonst sind die doch immer erschreckend schnell verblasst. Ein Tagebuch ist dies ja eigentlich, von mir für mich, und du darfst spicken. Nach dem Abend mit Per Morten und Beata, und Ove und Mette, da war ich zu müde. Außerdem hat mir Per Morten viele spannende Sachen erzählt, die würde ich gerne alle hier schreiben, das wäre aber zuviel.
Routenplanung — Tag 1 — Tag 10 — Tag 20 — Tag 30
Also erstmal Frühstück. Auf 7:30 hab ich optimistischer Weise den Wecker gestellt und stehe tatsächlich auch auf. Ist ja verhältnismäßig spät. Das Zelt ist gar nicht mal so nass vom Tau. Ist immer besonders doof, wenn man zu weit aus den Knien geht und mit dem Rücken die Innenseite des Zeltes trocken reibt. Bäh. Oder wenn man das Zelt aufmacht und es erstmal schön auf den Schlafsack tropft. Hmpf. Überhaupt ist oft alles klamm und eingeweicht morgens. Aber ich hab inzwischen Übung.
Die Sonne hilft nur mäßig mit dem Trocknen, während ich wieder 5 Brotscheiben dick mit Erdnussbutter und dem letzten Rest Himbeermarmelade zusammen mit nem Liter Schwarztee genieße. Damit hab ich jetzt 4 Gläser Marmelade durch, zusammen mit 6 Laiben Brot, und etwa 5 Packungen Müsli. So genau weiß ich das nicht mehr. Süßteilchen bleiben ungezählt, sind vermutlich auch unzählige.
Niemand ist wach, da rolle ich bereits los. Naja, „bereits“ heißt heute 9:45. Und gleich geht’s bergauf, auf den letzten Teil des Dagalifjells. Unten ist es echt fad. Vielleicht erschließt sich einem die Schönheit hier auch erst nach einer Weile, oder es trifft einfach nicht meinen Geschmack, der ja in den letzten Wochen sehr von Fjord und Fjell geprägt wurde. Oben ist es, natürlich, wieder wunderschön. Und hier hat der Herbst noch mehr Einzug gehalten, so mein Eindruck. Kann auch sein, dass ich jetzt mehr Details wahrnehme. Jedenfalls hab ich Mühe, den Blick auf der Straße zu halten.




Dann die Abfahrt, die wird schön, aber frisch werden. Ach, überhaupt, mit den Klamotten, das ist so ne Sache. Im Merino Shirt geschlafen, dann Softshell Hose und Pullover drüber, ins Bad. Dann Daunenjacke drüber und Frühstück. Alles packen und vorbereiten, schließlich komplett umziehen in Triathlonhose und Fahrradtrikot. Heute geht es erstmal bergauf, heißt: kurze Sachen, und bald läuft schon der Schweiß. Kurz vor ganz oben flacht es meist ab, Wind kommt auf. Rechtzeitig die langen Sachen anziehen, nicht zu früh, sonst schwitze ich die total voll, und dann wird es kalt. Nicht zu spät, sonst bin ich schon ausgekühlt. Jetzt vor der Abfahrt drückt der Wind Wolken hoch. Regenjacke, oder geht’s? Ich versuche es ohne.
Unten Pause, dann lange Sachen ausziehen für den nächsten Anstieg, hinten auf die Rolle schnallen, damit sie trocknen. Kurz vor oben wieder die langen Sachen drüber, und so weiter. Ich hatte eigentlich gehofft, dass die geniale Softshell Hose mit all ihren Lüftungsmöglichkeiten auch für bergauf taugt, aber sogar bei 8°C und Nieselregen läuft mir in kurzen Sachen der Schweiß, die lange Hose wäre bald nass und dann würde ich oben im Wind auskühlen. Entweder muss ich da nochmal recherchieren, wie das besser geht, oder das ist halt so. Warme Täler, fiese Steigungen, kühle Bergluft und lange Abfahrten machen das nicht einfach.


Ich bin erstaunt. Es läuft. Der dritte Tag in Folge, und es geht gut. Die Etappen sind ordentlich, aber ich hab Kraft in den Beinen wie… vermutlich wie nie zuvor. Klar, mir ist das Grinsen während des Kletterns nicht ins Gesicht gemeißelt, aber es ist verdammt cool zu spüren, wenn die Beine wie Kolben auf und ab stampfen und einfach immer weiter stampfen, unaufhörlich. Und wenn ich laufe, also mit den Füßen auf den Boden treten statt in die Pedale, spüre ich ungekannte Kraft. Yeah!



Sobald ich über die Kante komme, ist Wind da. Diesmal von vorne. Ich suche das letzte windgeschützte Plätzchen und erholen mich kurz, ziehe mich um (s. o.) und dann geht es 10km über das relativ flache Fjell, ganz den Elementen ausgesetzt. Das ist auch das Besondere in diesen von Gletschern geschliffenen Höhen: ohne Wald und kleinteilige Landschaftsstrukturen ist das Wetter gewaltig. Es gibt kein Verstecken, kaum Richtungswechsel, man ist dem ausgesetzt. Das macht auch das Wandern in der Hardangervidda so anspruchsvoll.

Westlich erstreckt sich die Hardangervidda, wo ich jederzeit gerne wieder wandern möchte. Irgendwann schaffe ich es vielleicht auch mal mit Ski hier zu touren, von Hütte zu Hütte, das wäre der nächste Traum. Besonders gut Skifahren muss man dazu nicht können, aber mit Schnee umgehen, da fehlt mir die Erfahrung, also Biwak bauen, Hütte freischaufeln und versorgen, das tagelange Leben im Schnee. Ich bin mal Ende Februar mit Schneeschuhen auf den Similaun (Alpen, 3600m), samt Zelten auf dem Gletscher, und habe da gelernt, wie viel man falsch machen kann, also wie wenig ich vom Leben im weißen Element weiß und kann. Aber das kann ja noch werden.

Es geht an die Abfahrt, die Straße ist wieder schön schmal, Leitplanken gibt es nicht, wegen des Schnees im Winter alleine schon. Es braucht Konzentration beim Fahren, egal mit welchem Gefährt. Und plötzlich Stau. So viele Autos fahren hier doch nicht, höchstens alle 5 Minuten mal eines. Ich rolle an der Autoschlange vorbei sehe ein zerdellertes Auto, das von nem Kranwagen über die Hangkante hochgezogen wird, das versperrt die Straße. Leute aus den wartenden Autos stehen herum, ich meine „Das war ja knapp“, denn ich dachte, der wäre nur gerade auf der Kante hängen geblieben. Nein, der war schon den Hang runter! Seit einer halben Stunde läuft die Bergungsaktion. Erstaunlicherweise fehlt vom Fahrer jede Spur. Beruhigend finde ich, dass das Auto fast noch ganz ist, ich hätte mir die Folgen deutlich drastischer ausgemalt. Puh.


Nach dem steilsten Stück herab ist mir nach Pause. Da, ein kleiner Einkaufsladen mit Dagligvare, also Alltagsbedarf. Stellt sich raus, da ist alles Selbstbedienung. Für eine Krone, also 10 Cent, öffnet sich die Türe. Drinnen ein kleiner Supermarkt und Kaffee und Süßteilchen! Juhuu! Zum Glück ist doch jemand vom Laden da, denn so ganz komme ich mit dem Konzept nicht klar. Der Kassenbon ist wichtig, der QR Code darauf öffnet die Türe nach draußen.
Da setze ich mich und genieße. Ein Mann fragt, ob der Kaffee gut sei. Nunja, okay ist er. Er verschwindet im Laden, kommt bald wieder, wir unterhalten uns. Er stammt aus Ungarn, seine Partnerin aus Portugal, seit langem leben sie in Norwegen. Wir tauschen unsere Beobachtungen über Norweger und den sich wandelnden Lebenswandel aus.
Ziemlich americanized wird das Land, was schade ist. Und jeder will Direktor oder Chef oder sonstwas Besonderes werden, die einfachen Arbeiten übernehmen zunehmend Osteuropäer. Jeder erwarte, dass alles sofort fertig und bereit ist, also kein Kochen sondern lieber zu Subways. Eigentlich sei die klassische norwegische Küche sehr gut, aber das bekommt man höchstens in teuren Restaurants. Der Wohlstand der Norweger kombiniert mit dem Wohlstandsgefälle zu nahezu allen anderen europäischen Ländern führt zu Umständen, die er mit Saudi Arabien vergleicht: elitäre Einheimische und billige ausländische Arbeitskräfte zweiter Klasse. Vermutlich ist es hier nicht so drastisch, dennoch keine schöne Entwicklung. Wohlstand bringt Anspruch mit sich. Das ist schwierig für eine Gesellschaft, in der es den meisten sehr gut geht.
Ich rolle weiter, noch 17km und 500hm bergab, das sind noch welche von den gekauften Höhenmetern. Es wird immer wärmer, aber jetzt habe ich keine Lust zum Umziehen, so versuche ich nur leicht zu treten und halte gelegentlich an für Fotos.




Da, unvermittelt bin ich in Austbygde, dessen Zeltplatz toll sein soll. Ich kaufe noch Dinner, Marmelade (diesmal Kirsche) und Sirup (die 5. Flasche, glaube ich). Hey hier gibt es sogar nen Bäcker! Na, da werde ich morgen vorbeischauen, die Sachen sehen gut aus.
Morgen soll es regnerisch werden, der nasseste Tag. Ganz hab ich dem Wetter nicht entkommen können, aber Yr verrät mir, dass dort, wo ich noch vor kurzem war, jetzt an Radeln nicht zu denken wäre. Ich werde nen Tag Pause machen, und dann sind es noch 4 Tage. Nur noch 4. Komisches Gefühl, wenn ich mir vorzustellen versuche, nicht mehr jeden Tag weiter zu reisen. Wie das wohl wird?

Der Zeltplatz ist gut, die Dusche groß, im Preis inklusive, und nagelneu. Duschen wie daheim. Die Küche ist die beste bisher: modern, voll ausgestattet und groß. Hier läuft viel auf Vertrauensbasis – also auf diesem Platz. Die Campingplätze reichen von „Melde dich erst an, dann machen wir die Schranke auf, hier die Chipkarte mit der du alles bezahlst. Und hier unser Regelwerk.“ bis zu „Such Dir nen Platz, wir kommen heute Abend vorbei zum bezahlen. Geh bitte pfleglich mit allem um.“ Meist sind die Kleineren auch die Entspannteren. Der Verkniffenste bisher war von Deutschen geführt, wofür ich mich etwas geschämt habe.
Ich nutze die Küche, vor welcher es Tische und Bänke hat. Da löffel ich direkt aus dem Topf. Spart Geschirr und macht Spaß. Zwei junge Deutsche setzen sich zu mir an den Tisch, wir unterhalten uns. Max und Anna sind Studenten, zum ersten Mal in Norwegen, und bereits nach 3 Tagen begeistert. Das nächste Mal wollen sie Schweden gleich auslassen. Dabei haben sie noch keinen Fjord gesehen! Sie haben Fragen, ich antworte gern und gebe Tipps, schnell stellt sich heraus, dass wir ähnlich ticken. Hoffentlich spielt das Wetter noch mit. September kann hier sehr schön sein, kann aber auch ungemütlich werden. Ich wünsche den beiden eine schöne Reise und würde zu gern ihre Gesichter sehen, wenn sie zum ersten Mal einen Fjord erfahren. Ah, falls ihr mitlest, mir fällt gerade noch der Månafossen hinten im Frafjord ein. Vielleicht lässt sich das noch in eure Tour basteln, wenn ihr dort in der Gegend sein solltet.

Beim Zeltaufbau heute war ich total entnervt. Grauslig war das. Irgendwas hat nicht gestimmt, aber ich wusste nicht, was. Und ich weiß es immer noch nicht. Inzwischen bin ich wieder ausgeglichen und guter Laune. Aber da war was doof. Ich wüsste gern, was, denn vielleicht lässt sich das ja vermeiden. Zu wenig getrunken? Zu warm? Hätte ich mich erstmal einfach ins Gras legen sollen?
Ich glaube, das ist die Spannung zwischen „ich bin da, endlich geschafft, puh“ und „ich bin da, jetzt geht’s los, viel zu tun“. Einerseits ist der anstrengende Teil erledigt, andererseits gibt es den ganzen Kleinkram zu erledigen, und zwar am besten schnell, solange noch etwas Sonne da ist und Haare und Sachen trocknen können und die Läden offen haben und es hell ist… Vielleicht vergleichbar damit, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt und Haushalt sowie private Projekte warten. Nur dass hier keine Couch steht, auf die man sich erstmal werfen kann, und Prokrastinieren ist auch keine Option. Beim Wandern ist das auch manchmal so gewesen, und das wird schnell sehr nervig, vor allem wenn man zu zweit ist und es beiden so geht. Muss mal überlegen, wie ich das besser hinkriegen kann. Erfahrungen und Tipps sind herzlich willkommen.