
So, ausgeregnet hat es sich. Das Zelt noch nass, aber mit nem kleinen Lappen kriege ich das meiste Wasser runter, so dass ich, nach dem Frühstück mit köstlichem Bäckerbrot, um 9 bereits startklar bin. An den Bergen hängen Wolkenbänder auf halber Höhe, das ist echt schmuck. Die Straße nass, aber das ist egal. Der Verkehr hält sich am Sonntagmorgen sehr in Grenzen, zumindest bis ich in Rjukan bin. Dort hab ich schon ein Drittel der Strecke geschafft, aber nur einen kleinen Teil der Höhe. Trotzdem zur Belohnung einen Kaffee an der Tanke, für Süßteilchen ist noch kein Platz im Magen.
Routenplanung — Tag 1 — Tag 10 — Tag 20 — Tag 30
Der Gaustatoppen ragt hoch vor mir auf, hat aber noch seine Schlafmütze auf. Zwar soll die Sonne heute durchkommen, aber wann? Und wo überall? Ich wäge ab, ob ich nicht doch die 1000hm am Stück hinaufstrampeln will, ganz optimistisch, um vielleicht doch die Aussicht vom Gipfel genießen zu können, aber wer weiß wie wolkenverhangen der Rest des Landes ist. Also lieber nicht.


Bisher ging es gemächlich bergan, nach Rjukan auf einmal steil. Und wieder mäßig, und wieder steil… egal, heute komme ich überall rauf. In Rjukan stand schon ein hübsches, großes, altes Wasserkraftwerk, weiter oben gibt es nochmal eines. Tatsächlich ist das schon über 100 Jahre in Betrieb und auch recht berühmt, denn im zweiten Weltkrieg haben die Deutschen hier schweres Wasser hergestellt für die Entwicklung von Atombomben. Die Alliierten haben das mit mehreren Versuchen sabotiert und letztlich zum Erliegen gebracht, daran erinnert ein Kriegsdenkmal. Ja, Kriegsdenkmäler gibt es in Norwegen einige, und die meisten erinnern an Heldentaten gegen die Deutsche Besatzungsmacht. Ist ein bisschen komisch, das als Deutscher zu lesen.


Danach führen steile Kehren den Berg hinauf und ein kleiner Tunnel kürzt das fieseste Stück ab. Außen am Tunnel führt ein Pfad, den radel ich entlang, in der Hoffnung, einen schönen Ausblick auf den Rjukanfossen zu bekommen. Der Ausblick ist da, aber der Fossen fosst nicht. Der Vergleich ist heftig. Eine Tafel erzählt die rührende Sage vom Mari-Steig, da sieht man den Fossen schön fossen. Die Realität ist ernüchternd trocken. Schade.


Nach dem Tunnel ist der Pfad zu Ende, und ich fluche über mein überpacktes Übergepäck denn eine Leitplanke wird mir zum Leid, ich schaffe es nicht, mein Rad da drüber zu heben. Grrrr! Ich muss tatsächlich die Hälfte abladen, bevor es mir gelingt. Das mit dem Bike Packing muss ich mir nochmal genauer anschauen.

Bald bin ich oben, die Laune gut, die Beine fit. Und endlich am Møsvatn, einem großen See, der insgesamt 11 Kraftwerke speist. Dem leitenden Architekten wurde sogar eine Büste gestiftet. Im Sommer fährt eine kleine Fähre bis ans andere Ende, gut 30km hinein in die Hardangervidda, so dass man seine Tour fernab der Straße starten kann. Allerdings ist die Saison schon vorbei. Ein Wasserflugzeug bringt einen stattdessen zu nem beliebigen See, oder bietet Rundflüge.
Tatsächlich kommt gerade eines gelandet, und ein ordentlich mit Wanderkram bepackter Norweger steigt ein. Verrückt. Mit dem Wasserflugzeug zur Hytta. Ja, die meisten norwegischen Familien haben eine Hytta, und die ist auch oft genutzt. Die kann überall stehen, inzwischen ist der Bau stark reguliert, und das ist gut so, sagen die Einheimischen. Ich esse den übrigen halben Kuchen und bin damit sehr glücklich, der war echt lecker. Mit dem Antrieb schaffe ich die übrige Strecke locker.



Die Herbstfarben sind auch hier schön bunt, und ich schaue viel in die Landschaft. In der Ferne sind die… Ja, nicht Berge, aber mehr als Hügel… also die Bergchen der Hardangervidda und laden zum hineinwandern ein. Die Vidda ist voller großer Seen, Hütten des DNT und sonst nicht viel. Sie liegt zwischen 1000m und 1400m, klimatisch aber hochalpin. Ah, doch, neuerdings gibt es den Fjellreven, den Polarfuchs hier wieder! Das ist schön. Oh, und Lemminge gibt es hier auch. Scheinbar gibt’s die derzeit reichlich, auf der Straße hier rauf habe ich sehr viele geplättet gesehen. Die armen Kleinen. Aber wenn so viele überfahren werden, dann muss die Vidda dieses Jahr voll sein mit den kleinen flauschigen Nagern.


Also die Ski-Orte sind wirklich selten hübsch, zumindest nicht ohne Schnee. Rauland macht da keine Ausnahme. Kein Wunder, im Sommer ist hier nichts los, kaum jemand wohnt hier, und im Winter brummt der Landestourismus. Ich schaue in der Tiger-Butikk, also dem Lädchen in der Esso Tankstelle, ob die was verkaufen, was mein Abendessen verfeinern würde, aber da gibt es nichts. Also los, die letzten Kilometer, der schöne Teil war schon, nur noch kurz bis zur Dusche.

Nach etwas Suchen finde ich den gar nicht mal so tollen Zeltplatz, der eher ein Winterstellplatz für WoMos ist. Offenbar mietet man sich so einen für nen Winter und kommt dann regelmäßig zum Skifahren her, so machen das hier einige. Auf Zelten sind sie nicht so eingerichtet, aber es gibt ne Dusche, weiches Gras, ebenen Boden und Sonne. Zum See sind es leider ein paar hundert Meter, aber mir ist gar nicht so nach Sachen gucken. Zelt aufbauen und trocknen, duschen und waschen und Sachen trocknen, Fahrradkette schmieren und Bremsen nachstellen.

Spaghetti mit Tütentomatensauce. Und irgendwie geht alles schief. Einen Topf mit heißem Wasser vom Sanitärhäuschen bis zum Zelt tragen ist schon immer knifflig. Kocher auf nen herumliegenden Holzklotz gestellt, los gehts. Sauce ins Wasser rühren, anheizen. Was macht die Schnecke da? Bitte keine Schneckenplage jetzt! Weggeschnippt. Das Wasser kocht, ich breche die für den kleinen Topf viel zu langen Spaghetti entzwei, und da entgleitet mir ein Teil hinab ins hohe, dichte Gras. Grrrr! Dezent fluchend versuche ich die jetzt schön kurzen Spaghetti aus dem Gras zu suchen und in den Topf zu werfen, und gleichzeitig den Kocher zu regulieren, der entweder volle Pulle oder aus ist. Und herumzurühren, denn auch Spagetti können anbrennen, wenn man nur so wenig Wasser wie möglich nimmt. Die Sauce ist ja schon eingerührt, Wasser abgießen ist nicht. Ich hab 2 Hände zu wenig und werde unleidlich.
Die Sonne ist auch zu heiß, ich sitze schon im Schatten des Zeltes, der Kocher heizt, ich bin frisch geduscht und fange das Schwitzen an. GRRRR! Irgendwann mach ich den Kocher aus, den Deckel drauf und lass es ziehen. Wird schon. Ein bissl räumel ich, denn nach der zweiten Schnecke kommt mir schnellstens alles ins Zelt. Tatsächlich quellen die Nudeln gut, und bald beginnt endlich der große Mampf.
Eine Frau aus einem der Wohnwagen kommt vorbei, quatscht kurz, weist mir den Weg zum See, das sei schön da. Gut, nach dem Essen. Sie selbst wohnt hier seit nem Monat und für 3 weitere, denn sie geht hier zur Universität, die es erst seit 4 Jahren gibt. Borghild ist über 50 und macht gerade ihren Master in Archäologie, mit dem sie zusammen mit der Uni Trondheim ein Museum aufmachen möchte. Ihr liegen Textilien der Wikinger und des Mittelalters am Herzen, Geld ist da, aber niemand, der es kann. Also hat sie beschlossen, dass sie das jetzt macht.
Nach dem Essen schnell der Abwasch, die Sonne steht schon tief. Das Zelt schneckensicher machen, Kamera schnappen und zum Ufer des Sees joggen. Aua, Seitenstechen, kein Wunder, frisch vollgefuttert. Aber ich bin noch rechtzeitig an dem wieder mal zu breiten Strand und kann endlich zur Ruhe kommen. Das Licht ist schön. Ich suche Steine zum springen lassen und endlich fällt der aufgestaute Ärger ab. Ich entspanne. Was hat mich denn so aufgebracht? Irgendwie waren es viele Kleinigkeiten auf den letzten Metern. Grmpf. Hätte nicht gedacht, dass mich das so aus der Ruhe bringen kann.

Ich schlendere weiter, komme zur Kirche, gehe über den Friedhof, auf dem uralte Grabsteine ohne jede Inschrift stehen, mit Flechten überzogen. Zurück am Zelt bin ich ruhiger. Vielleicht war das Radeln doch wieder zu sportlich. Und da fällt mir ein, dass ich noch Essen von gestern in der Lunchbox habe! Auweia. Hoffentlich ist das morgen früh noch genießbar, dann gibt es das als Frühstück.
Ich schaue noch bei Borghild vorbei und bedanke mich dafür, dass sie mich an den See gebracht hat. Ohne sie wäre ich im Zelt geblieben. Sie bietet mir nen Tee an und erzählt von sich, das ist tatsächlich spannend. Norweger wechseln übrigens häufiger mal den Beruf, und sie arbeiten recht lange. Das Studium ist nahezu kostenlos, und jeder könne alles werden, ist sie überzeugt. Sie selbst lebt sehr bescheiden, aber hat ihr Ziel und richtet alles daran aus. Dafür, dass sie aus einfachsten Verhältnissen kommt, hat sie es doch noch weit gebracht und eine lebensbejahende Einstellung entwickeln können, nach vielen Rückschlägen im Leben. Irgendwann bin ich aber müde und will ins Zelt, so wünschen wir uns gegenseitig viel Erfolg mit unseren Lebensplänen und ich tappse unter einem grandiosen Sternenzelt zum Stoffzelt.

Morgen gibt es ne lange Etappe. Ich stelle mich nochmal auf die Probe, jetzt an den letzten Tagen. Und ich freue mich drauf. Schöne Strecken sollen es sein, wurde mir mehrfach bestätigt. Ich habe nie das Gefühl, ich kann hier die Eindrücke ordentlich wiedergeben, hoffe, dass es einigermaßen gelingt. Mal sehen, ob es morgen nochmal was Neues gibt, oder ob ich Norwegen jetzt in all seinen Varianten bereits erlebt habe. Aber auch wenn es altbekannte Landschaftsbilder werden, so bin ich nach wie vor davon begeistert. Eigentlich bin ich schon längst nicht mehr im Entdeckermodus, sondern beim Genussradeln. Und jetzt gleich beim Genussschlafen.