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Tag 22: Flink mal übers Aurlandsfjell

Früh brauche ich heute nicht aufstehen, bin aber schon um 7 wach. Irgendwie verliere ich heute ständig meine Flip-flops. Oha, da löst sich ja die Sohle ab, bei beiden gleichzeitig, und die Riemen werden locker. Also nach dem Frühstück endlich mal nen Kabelbinder verwenden. 3 Wochen ohne Reparatur waren ja auch schon Luxus.

Genau zwischen den Zehen, jetzt halten sie noch 3 Wochen. Hoffe ich.

Meine Fähre nach Flåm kommt erst um 13:20, und anders komme ich nicht weg. Verfloxt, dabei bin ich jetzt fit, bereit zum Pedalieren und Fjelle überqueren. Ich schlage die Zeit tot, aber mir ist echt langweilig. Irgendwann packt es mich, und ich packe. Und jetzt?

Mit Schwimmkörpern am Rahmen könnte ich vielleicht…. Hmmm…

Wenn ich die frisch aufgebaute Energie nicht gleich verbraten will, bliebt nur herum sitzen und warten. Im Café gibt es auch Touritand, mitunter von der ganz üblen Sorte, das muss ich zeigen.

Barocke Troll-Engelchen? Und eine Art… Krug? Hmja, schnell wegschauen, das kann nicht gesund sein, so lange da drauf zu starren.

Ein anderer Gast bekommt frisch gebackenen Apfelkuchen mit Vanilleeis. Mein Müsli ist viel zu lange her, sowas brauche ich jetzt auch. Und gerade genieße ich die gute Kost, kommt die Fähre um die Ecke. Die brauch noch ein bisschen, und abfahrbereit bin ich ja schon lange. Die Fähre fährt übrigens elektrisch und fast komplett geräuschlos. Nur das Wasser ist zu hören. Das hat echt was. Kein Knattern, Brummen, Qualmen. Immer mehr Fähren in Norwegen fahren mit Strom, das ist klasse. Jetzt endlich los nach Flåm.

Die Crew ist noch die selbe und begrüßt mich herzlich. Verstecken kann ich mich echt nicht.
Das beschauliche Aurlandsvangen, da werde ich gleich durchradeln, und dann links den Berg hoch und dahinter weiter.
Flåm ist Touridorf. Ohweh.
Eine der berühmtem Flåmsbana, die Bahn, die nach Myrdal führt, wo man Anschluss an die Bergenbahn hat, die Oslo und Bergen verbindet. Bahnstrecken sind in dieser Landschaft selten.

Ich rolle los, den Fjord zurück nach Aurlandsvangen. Dort geht der Berg los. Und was für einer. Der Garmin, den ich inzwischen auf den Namen „Piepsi“ getauft habe, verrät, dass es jetzt über 16km mit 7% Steigung auf knapp 1300m rauf geht. Auweia. Mal sehen, wie weit ich komme. Die Straße wird schnell schmal, und noch bevor ich aus dem Ort raus bin, werde ich auf die Prüfung gestellt: Lieber jetzt ne Hütte nehmen, oder die nächsten 10km mit 8% bergan? Schnell weiter, bevor genug Sauerstoff ins Hirn vordringt und zweifelhafte Denk- und Entscheidungsprozesse in Gang bringt.

Eine gute Übung für das Sognefjell, das die nächsten Tage ansteht.
Aufsteigen oder Absteige? Vielleicht gilt die Steigung ja nur für Autos, das Schild sagt nix über Fahrräder.

Die Straße ist schmal, aber arg viel befahren. Es ist Samstag und bestes Wetter, auf 600hm wurde ein Parkplatz mit Aussichtssteg errichtet, da pilgern alle hin. Bald kommen jene, die mich gerade erst überholt haben, wieder entgegen. Wenn das so schnell geht, dann kann es so toll nicht sein, und dann ist danach hoffentlich Ruhe. Unter dem Aurlandsfjell führt ein knapp 25km langer Tunnel hindurch, darum sollte hier oben eigentlich wenig los sein.

Kurz vor der Aussichtsplattform hab ich am Straßenrand dieses Motiv. Yay. Ich bin hier auf 550hm.

Der reinste Trubel da. Gerade wie ich ankomme, kommt ein Rennradler daher. Er quatschemt mich an, wir gesellen uns zueinander. Scheinbar gibt es hier weit weniger Rennradler als in Deutschland. Wir knipsen uns gegenseitig, und er mag gern mit mir zusammen fahren. Meine Warnung, dass ich sehr gemütlich unterwegs sei, beantwortet er damit, dass das völlig okay sei. Also gut, dann mal los. Mal sehen, wie weit ich durchhalte.

Lang zieht sich der Aufstieg hin. Garmin hat leider recht, da gibt es nix zu rütteln.

Eirik, so heißt mein Kumpane, ist geduldig und will auch nach mehrmaligem Angebot nicht alleine davon rasen. Können könnte er locker, ist viel fitter als ich und minimal bepackt. Er ist mit dem Zug von Oslo nach Haugastøl, dann den Rallarvegen nach Flåm, und jetzt übers Aurlandsfjell. In Lærdal nimmt er ein Hotel, und morgen fährt er die 300km bis Oslo. Wow! Irre. Und wie wir erzählen, vergehen Zeit und Höhenmeter, und auf einmal sind wir oben. Huch! So hoch war ich dieses Jahr noch nie.

Der verrückte Eirik. Abgefahren, was er fährt. Danke fürs geduldige Begleiten!

Und da war jetzt der Unterschied zwischen Sport und Reisen. Diese Auffahrt war Sport. Meine Beine sind leer und freuen sich auf die Abfahrt. Mein Puls war bei 160 und damit deutlich über dem, was für ne Reise gut ist. Ich hab auch sicher nicht so viel von der Landschaft genossen. Aber es war trotzdem total super! Denn diese Form von Sport mach ich gerne, und das hier machen zu können, ist einfach irre. Beim nächsten Urlaub mit Auto hier kommt das Rennrad mit.

Das Fjell ist fjellig, hie und da liegt noch Restschnee vom letzten Winter, es geht ein wenig auf und ab. Die 300hm, die wir hier höher sind als ich bisher war, merkt man an der Landschaft deutlich. Es wäre länglich, das beschreiben zu wollen, leider. Auch hier ist viel los, überall stehen Camper, aber kaum Weißware. Eirik erzählt, dass bis vor Corona hauptsächlich ausländische Urlauber mit WoMos unterwegs waren, aber die letzten zwei Jahre sind auch viele Norweger im eigenen Land am Reisen. Und da gerade Wochenende ist, sind hier viele Einheimische und stellen sich ins Gelände.

Fjell. Hier könnte ich ewig fahren.

Das dehnt das Jedermannsrecht ganz schön. Streng genommen ist es nämlich nur Unmotorisierten erlaubt, sich überall für eine Nacht niederzulassen. Fragt mich nicht, wozu E-Bikes zählen! Erstmal muss Norwegen mit den vielen WoMos klar kommen. Norwegen macht auch Werbung mit dem Jedermannsrecht, das findet Eirik auch nicht gut. Aber er kann verstehen, dass die Leute es nutzen. Es ist schon echt fantastisch, und die meisten gehen verantwortungsvoll damit um.

Endlich der letzte Buckel geschafft, jetzt 17km Abfahrt. Das im Hintergrund ist Jøtunheimen.

Beim Anstieg war in der Ferne der Gletscher Hardangerjøkulen zu sehen, jetzt blicke ich auf den Jostedalsbreen, den größten Gletscher weit und breit. Und Jøtunheimen ist zu sehen, da werde ich in 2 Tagen sehr nah dran vorbei kommen, wenn ich übers Sognefjell fahren werde. Oh wow. Noch größer, weiter, höher? Geht das überhaupt?

Eine Abfahrt die ist lustig, eine Abfahrt die ist schön…

Der Wind bläst kalt aus Norden. In der Sonne ist es schön, im Schatten regelrecht eisig. Dies lässt mich schnell entscheiden, dass ich übers Fjell und hinab nach Lærdal fahre, anstatt doch noch wild zu Zelten. Hmja. Irgendwie schade, aber ich freu mich auch auf ne Dusche. Die Abfahrt ist frisch, trotz langer Klamotten. Hui, früh am Morgen ohne warm gefahren zu sein wäre das hart geworden. Irre schnell verändert sich die Landschaft. Und nur wenige Fotostopps, Wasserfälle und Vegetationsstufen später sind wir unten, sehe ich den Fjord. Wieder der Sognefjord, aber ein anderer Arm – der Lærdalsfjord.

Die Sonne steht schon tief, als wir um 19:30 in Lærdal einrollen.

Eirik geht ins Hotel, ich auf den Zeltplatz direkt dahinter. Kurz überlege ich, ob nein Hotelzimmer nicht doch auch mal nice wäre., aber 150 Euro für ne Nacht schrecken mich ab. Und dann müßte ich noch essen gehen… Nee. Der Campingplatz ist leider riesig, aber ganz nett. Er liegt an der E5, ähnlich wie der in Gudvangen an der E16. Sind immerhin ja auch nur 40km Tunnel dazwischen.

Ich gehe einkaufen und checke den Busfahrplan. Oha, erst um 15:25 fährt ein Bus, und ohne komm ich nicht weiter. Ein langer Tunnel verbietet mir die Durchfahrt. Danach Fähre, und wieder ein reiner Autotunnel. Als Alternative dazu gibt es nur den Bus. Hmja. Dann kann ich morgen wenigstens ausschlafen und mich erholen. Und vielleicht fahre ich gleich bis nach Sogndal mit dem Bus, um nicht auf der E5 fahren zu müssen. Ach, das schau ich mir morgen nach dem Frühstück an.

Diesmal sind es zu viele Nudeln. Ich bin noch zu erschöpft, als dass ich so viel essen könnte, wie ich müsste. Naja, dann halt zum Frühstück.

War das jetzt cool heute, oder daneben? Radreisen war das jedenfalls nicht. Eine Nacht oben im Fjell wäre bestimmt auch schön gewesen, da würden sich jetzt keine Leute kurz vor Mitternacht laut lachend unterhalten. Aber es hat Spaß gemacht, alleine schon zu sehen, dass ich an einem Nachmittag fahren kann, was vor 3 Wochen am ganzen Tag nicht möglich gewesen wäre. Und Eirik und ich sind jetzt auf Strava verbandelt. Ich freu mich schon drauf, seine zukünftigen verrückten Touren als Inspiration zu nehmen. Das mit dem Bike Packing muss ich jedenfalls noch lernen.

Tag 21: Was war, was wird.

48 Beutel Tee. 2 Gläser Erdnussbutter, 2 ½ Gläser Marmelade. 1 Liter Öl (nicht Øl!), 3 Flaschen Blaubeersirup. 3 Packungen Müsli, 4 Laibe Brot.

An 16 Tagen geradelt, 54h 49min im Sattel, 904 km gefahren, 13.299hm rauf und runter. 7 Fjorde erfahren, 1 Gletscher gesehen, 3 Dutzend Tunnels getunnelt, Wasserfälle aufgehört zu zählen. Darf’s noch etwas mehr sein? Gern! Soviel zu den Zählbaren Dingen. Und sonst so?

Die Boote schaukeln wie meine Seele in aller Ruhe leicht hin und her.

Etwas nach mir kommen die Lüneburger aus ihrem Nest gekrochen und gesellen sich zum gemeinsamen Mampfen zu mir. Wir tauschen Tipps, Geschichten und Campingplatzempfehlungen aus, und ich kann noch meine bestmögliche Abschätzung geben, wo auf deren Weg noch ein Fleckchen Schnee zu finden sein könnte, um ein cooles Filmprojekt von Seya vollenden zu können. Hey, wenn es fertig ist, will ich es auch gern bewundern dürfen, okay?

Anschließend geht Casjen noch ne Runde am Kai angeln, und ich probiere mal, ob ich das im letzten Jahr Gelernte noch kann – und tatsächlich fliegt der Gummifisch schön hoch und weit. Leider beißt bei meinen 3 Würfen nix, das wäre jetzt echt der Hit gewesen, hätte ich mir noch mein Abendessen aus dem Fjord gezaubert.

Der Fjord ist fast 400m tief aber bis zur Mitte werde ich nicht. Trotzdem fällt der Boden steil ab, so viel sieht man im klaren Wasser und spürt man mit dem Gummifisch.

Anschließend gibt es zum Ausgleich zur gestrigen Bulliführung eine flinke Zelt Führung, dann müssen die 4 auch los. Es kehrt Ruhe ein auf dem kleinen Platz, und ich schlendere durch die wenigen Straßen. Irgendwie treibt es mich wieder bergan, aber nach kurzer Zeit wird klar, daß ich heute keine Bergwanderung machen sollte, wenn ich bald wieder radeln will. Das Herz sagt Wandern, die Beine sagen Pause, der Kopf beschließt: lieber bald Radeln.

Warum hier Felsen verankert werden müssen, erschließt sich mir nicht. Aber genau so fühlen sich meine Beine an.
Bald kommt die Fähre wieder vorbei. Statt sich zuzuwinken, fotografiert man sich heutzutage gegenseitig. Albern.

Zu Mittag gibt es Käsebrote. Abendessen hab ich auch gejagt, diesmal mit Plastikkarte als Köder, und bei der Gelegenheit herausgefunden, wie man etwas zu ner Poststelle bestellen oder verschicken kann. Das ist praktisch, will ich doch bei der anstehenden Bundestagswahl meine Stimme nicht durch Urlaub abhanden kommen lassen.

Dann ins Café, welches ja, wie alles hier im Ort, auch dazu gehört. Dort kann ich einer weiteren Waffel nicht widerstehen, natürlich mit Kaffee. Der Wikingerroman wird weiterstudiert, und streckenweise kann ich ihn bereits flüssig lesen. Auch schafft mein Hirn inzwischen, Gesprochenes besser in Worte zu zerlegen und deren Bedeutung zu erschließen, bevor mein Gegenüber meint, ich hätte nen inneren Blue Screen. Yay.

Der simple Grund, warum man hier gerne sitzt. Ja genau: der Schatten ist Gold wert. Die Aussicht muss man halt ertragen.

„Weißware“ nennen die Lüneburger das, was hier jetzt abends eintrudelt. Bald ist mein kleines Zeltchen eingepfercht zwischen großen weißen Kisten, und irgendwer lässt laut Musik laufen. Ich koche etwas griesgrämig, schaue heute nicht einladend in die Gesichter, und verziehen mich zum Mampfen an den ruhigen, einsamen Kai. Da ist es besser. Vielleicht sollte ich morgen mal wild zelten, endlich. Das blöde bei Pausentagen im Zelt ist, dass mir die Alleine-Zeit fehlt, die ich sonst auf dem Rad genieße.

Zum Vergnügen wird das ornithologische Aufräumkommando etwas trainiert. Mutiger wurden sie leider nicht.

So, 3 Wochen mache ich das also nun schon. Wow. Ich war mir nicht sicher, ob ich nach einer Woche nicht vielleicht genug hätte, und jetzt denke ich, dass die übrigen 3 Wochen doch gar nicht genug sein werden! Allerdings ist das Wetter derzeit ungewöhnlich schön und gut. Das wird so nicht bleiben. Ich bin zwar materiell gerüstet für echtes norwegisches Wetter, mental wird sich das aber erst noch erweisen. Die norwegische Wetter-App heißt „Yr“, und das bedeutet „Nieselregen“. Noch Fragen?

Ich habe Lust, weiter zu fahren. Ja. Es ist intensiver als gedacht, und natürlich anders als gedacht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich derart oft herzlich schönen Anschluss finde. Und ich hätte gedacht, dass ich mehr Fotoprojekte verfolgen würde, statt wie jetzt eher Gelegenheitsfotos mit der DSLR zu machen – die sind vermutlich auch schon schön, aber eben eher zufällig. Ich hatte gehofft, dass ich jeden Tag fahren kann, und nicht so viel Pause benötige, aber das kommt vielleicht noch, denn fitter werde ich offenbar.

Beim Bergwandern gibt es eine gute Regel zum Abschätzen, wie lange man für eine Etappe benötigen wird, und die klappt bei mir auch hier beim Radeln. Dazu muss man wissen, wie viele km man pro Stunde schafft, und wie viel Höhe man pro Stunde schafft. Für die anstehende Etappe errechnet man daraus die Zeit, die man für die Strecke benötigen wird, und die Zeit, die man für die Höhe benötigen wird. Vom diesen 2 Zeiten nimmt man die größere, und addiert ⅓ der kleineren. Das kommt ziemlich gut hin. Das ist die Zeit in Bewegung, auf diese kommt nochmal ⅓ bis ½ für Pausen, Fotos, Einkaufen, Essen, Orientieren, Umziehen drauf. Damit kann ich jetzt gut kalkulieren, was umso wichtiger wird, je kürzer die Tage werden.

Steil geht steil hier, ist Verlockung für mich. Ich freu mich nach so viel Zeit am Fjord wieder aufs Fjell.

Ist die Arbeit vergessen? Tatsächlich denke ich sehr wenig daran. Die überwältigende Realität hier verdrängt Gewesenes schnell, setzt Gefühle frei. Die Idee, den Kopf frei zu kriegen, funktioniert gut. Ob ich wirklich in nen anderen Modus komme, oder nur den selben Modus mit anderer Aktivität fahre, kann ich gerade gar nicht sagen. Dazu muss ich später diesen Blog lesen 🙂 Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich dies hier tue, freue mich oft, genieße es hier. Zelten macht immer noch Spaß, und Radfahren auch. Also ist es wohl gut, schlussfolgert meine Ratio, und stimmt damit mit meiner Emotio bestens überein. Schon wieder huu-huuut der Kauz und ruft den Schlaf herbei. Huuuuu.

Tag 20: Halbzeitpause

Ich schlafe aus, um 8 Uhr macht mich der Verkehr endgültig wach. Es ist halt die E16, einer der Hauptverbindungswege quer durch, da fahren viele LKW, und die hört man dank der steilen Felswände elendig weit. Also, hey, wirklich viele sind es nicht, aber für hiesige Verhältnisse schon, und zum Weiterschlummerrn allemal. Immerhin fuhr nachts fast nichts. Nun gut, raus aus den Federn. Ein Zelt hat ja auch keine Toilette.

Weiter geht es mit der Fähre, eigentlich bis Flåm (das „å“ wird immer gesprochen wie unser „o“) und dann nach Aurlandsvangen, wo der Zeltplatz genauso wie hier an der E16 liegt. Dieser Lärm stresst mich ungemein, lässt mich keine Ruhe finden. Hmpf. Da hab ich wenig Lust drauf. Da meine Beine beim bloßen Anblick des Rades widerwillig aufbegehren, beschließe ich kurzerhand, 2 Pausentage einzulegen, einen davon bei nem Fährenzwischenstop in Undredal. Da führt die E16 im Tunnel und mit Abstand vorbei, dort sollte genau nichts los sein. Zumindest kein Straßenlärm. Einen kleinen Lebensmittelladen soll es auch geben. Wunderbar, das klingt nach nem Plan.

Leider sind die Angaben zu den Fährzeiten verschieden, ml heißt es 9, dann 10, dann 9:30 oder such 12 Uhr. Eigentlich will ich hier schnell weg. Ob ich 9:30 schaffe, wenn ich aufs Frühstück verzichte? Die Hotline verrät mir, als das Büro endlich besetzt ist, dass die eine Fährgesellschaft dieses Jahr gar nicht fährt, nur die andere. Da solle ich schauen. Die sagt 12:00. Also doch erstmal Frühstück. Immerhin taugt das Brot aus Vossevangen was, und Multesyltetøy macht glücklich. Gemütlich packe ich zusammen und bin um 11 am Kai.

11 Uhr und die Sonne ist noch nicht unten. Die Felskante, die man von unten aus sehen kann, ist 800-1000m über mir, die Berge dahinter 1500-1700m hoch. Kein guter Platz für Solaranlagen.

Am Fährkai stehen nur Schilder nach Kaupanger. Also was jetzt, Flåm oder Kaupanger? Autofahrer wissen auch nichts Genaues. Nebenan ne Tourifalle mit allem Gedöns, das ein Norge-Ersti im Landschaftsrausch unbedingt kaufen muss, um es daheim in ner Schublade verschwinden oder Staub fangen zu lassen. Die Angestellten dort verweisen mich auf die Crew der Fähre. So unorganisiert kenne ich das gar nicht!

Käsehobel, Plastiktrolle, Wikingerbootteelichthalter… Wer denkt sich so nen Quatsch eigentlich aus? Wobei Käsehobel echt praktisch sind!

Die Lösung ist einfach: es fahren um 12 Uhr gleich zwei Fähren, eine Autofähre nach Kaupanger, und eine Tourikreuzfahrtfähre nach Flåm, wo ja keine Straße hinführt. Die Straße führt durch zwei elend lange Tunnels, die für Radler verboten sind, mir bleibt nur die Fähre. Letztere nimmt mich auch samt Radl mit, man wisse aber nicht, ob man in Undredal anlegen könne, weil Wind. Hmja. Mal sehen.

Alle drängen, als ob man stehen gelassen werden könnte. Mein Rad hält die Meute auf Abstand.
Da steht es, einsam als Gepäckstück verwahrt.
Es gibt Kaffee, den gönne ich mir. Der Wind bläst ihn mir aber beim Trinken aus dem Becher ins Gesicht. Gut, dass dies kein Tretboot ist bei dem Gegenwind.

Sieh da, nur 5km am Fjord entlang wäre noch ein sehr ruhiger Zeltplatz gewesen. Schade, daß hätte mir sicher besser gepasst, aber bis dort hätte ich es gestern nicht mehr geschafft. So trotzig war ich dann auch nicht.

Dass da Leute einfach wohnen und jeden Tag dort leben… unverschämt!

Achtung, jetzt kommen einige Bilder vom Fjord. Wer davon schon genug hat, einfach weit runter scrollen. Es ist krass. Der Lysefjord war schon schön, ist lang, fast schnurgerade und wird hinten immer steiler und höher. Hier ist es hingegen verwinkelt, nach jeder Kurve ist es wieder spannend. Die Felswände sind noch höher, über 1000m hoch. Das Lichtspiel ist fantastisch! Hier würde ich gern zu jedem Wetter entlang, früh, nachts, zur blauen Stunde, zum Fjordglühen… Und so verfalle ich fast schon ins Knipsen, wechsle ständig die Objektive, renne vom Bug zum Heck und wieder zurück.

Hinter uns die Autofähre, am Heck die Fotos für Insta
🙂
Das ist alles nur ein kleiner Seitenarm hier! Ganz da vorn zweigt ein anderer ab. Gigantisch.
Die Autofähre weiter hinten, und vorhin sind wir an dem fernen Berg vorbei. Die Ausmaße hier sind krass.
Könnte ein Tiellfoto sein. Was ist das für ein Nebel?

Merkwürdig für die Wetterlage ist, dass ein Nebel im Fjord hängt, ganz licht und vage. Er hebt die Sonnenstrahlen schön hervor, aber erklären kann ich es mir nicht. Und warum riecht es so, als würde dieser Kahn hier mit Holz befeuert werden? Wirkte gar nicht wie ein Dampfschiff.

Oha.

Die überall ausgerufene Waldbrandgefahr ist real. Ich vermute, dass einige Paddler hier gelagert und die Glut nicht vollständig gelöscht haben. Der Wind hat sie neu entfacht und den Berg hinauf getragen. Später erklärt mir eine Einheimische, dass auch herabstürzende Steine Funken schlagen können, welche dies auszulösen vermögen. Aber für mich sieht es aus wie ein prädestinierter Ort für ein Nachtlager. Am Nachmittag versucht sich ein Heli im Löschen, zwar nicht ohne Wirkung, aber es qualmt bis in den Abend hinein.

Der Wind steht günstig, ich darf in Undredal von Bord gehen. Das geht über die wegen Flut steil angelegte Planke nur mit Unterstützung der Crew, die mich auf die Schnelle noch nach meiner Reise ausfragt. Ich verabschiede mich mit „Bis morgen!“, dann will ich ja weiter nach Flåm. Jetzt aber erstmal hier ankommen. Und hier ist es auch wirklich nydelig und hyggelig, ein wahrlich friedvolles Fleckchen voll Ruhe. Selbige finde ich auch sehr bald, und spätestens als eine frisch gebackene Waffel mit hausgemachtem Karamellkäse samt ner Tasse Kaffee vor mir stehen, bin ich ganz im Hier und Jetzt.

Undredal. Zauberschön.
Ein hübscher, sehr kleiner Zeltplatz, hier ist keine Hektik. Die findet den Weg gar nicht hierher.
Ganz hinten der Qualm vom Feuer. Und gaaaanz hinten geht der Fjord noch weiter.
Vel bekomme!

Lesen, Duschen, Fotos vom ornithologischen Reinigungsdienst (Spatzen) machen. Oh, hier kann man wandern? Hmm, heute ganz bestimmt nicht. Das Knie ist gut, die Oberschenkel aber sind verkatert und benötigen ihre Auszeit. Ich bleibe 2 Tage. So. Als die Fähre von Flåm zurückkommt, sitze ich noch immer im Café. Die Crew sieht mich, ich winke fröhlich, sie lachen, ich rufe „Bis übermorgen!“, sie lachen noch mehr.

Ich kaufe Möhrchen, Tiefkühlerbsen, Tomatenmatsche und eine Flasche Öl. Das Currygewürz fungiert echt als Emulgator. Der Topf war wieder fast voll. Bin froh, dass ich so viel essen kann. Zu wenig Kalorien bedeuten nämlich, dass man keine Lust hat, sich zu bewegen. Dann kann man auch gar nichts dagegen machen, man will einfach nicht. Und man kann nicht was anderes wollen, als was man gerade will. Und dann bewegt man sich nicht, hat keine Lust drauf, will liegen bleiben, oder gleich heim. Das haben wir 2012 auf den Lofoten gelernt, als wir mit Rucksack und Zelt dort 3 Wochen unterwegs waren und jeder 3 kg abgenommen haben. Das sind 1000kcal am Tag zu wenig, der halbe Grundumsatz! Und da hatten wir oft keine Lust, jenen kleinen Hügel rauf zu gehen, um die Aussicht zu genießen, oder dort noch um die Kurve zu schauen, um die Gegend zu erkunden. Abnehmen will ich hier ganz sicher nicht, neinnein.

Später komme ich mit einer Familie aus Lüneburg ins Gespräch, die mit nem modernen Bulli unterwegs sind. Sie selbst sind alle 4 fahrradbegeistert, waren schon öfter in Norwegen (aber als Flachlandtiroler noch nicht mit dem Rad), und Bulli-erfahren. Obwohl alle schon längst ausgewachsen kommen sie prima zu viert darin unter, ohne Zelt nebendran. Der Sohn, der neben der Schule im Fahrradladen schraubt, schaut sich die abgerissenen Schrauben meine Seitenständers an und meint, ohne Spezialwerkzeug gehe da nix. Dann checkt er das Rad kurz durch, weil es ihm Spaß macht, und er so eines in der Art auch gern hätte, um damit zu reisen. Danach bekomme ich, weil ich echtes Interesse am Bulli-Dasein geäußert habe, eine ausführliche Tour durch viele durchdachte Details und tolle Einfälle, die von viel Erfahrung und Überlegung Zeugen. Ich versuche mir vieles zu merken und begreife, wie herrlich primitiv ein Zelt doch ist. Trotzdem, wenn Camper, dann sowas.

Wir quatschen uns regelrecht fest! Herrlich. Also so ein Bulli hat echt was. Und die 4 sind klasse. Danke euch für den herrlichen Austausch! Morgen beim Frühstück geht es vermutlich weiter. Aber ihr seid auch schuld daran, dass ich heute keine Retrospektive zur Halbzeit schreiben kann, ist nämlich schon wieder spät. Halbzeit ist aber auch erst morgen, und da wird vermutlich wirklich weniger passieren. Ich bleibe hier, laufe vielleicht ein wenig herum, schaue mir die eher weniger spektakuläre Stabkirche an, und werde Zeit haben zum resümieren. Inzwischen ruft ein Kauz in die Nacht, der Wind rauscht in den Bäumen. Einzig enttäuscht bin ich davon, dass ich immer noch so lange brauche, um zu erkennen, wenn ich ne Auszeit brauche. Aber diese Erkenntnis ist ja auch schon ein guter Anfang. Jetzt lass ich mich in den Schlaf Huu-Huuu-en.

Tag 19: Trotzig nach Gudvangen

Trotzig sein kann ich. Ha! Das ist das Motto des Tages, jawohl. Erstmal steh ich trotz wamem Kuschelfeeling um 7 auf. Trotz Regen in der Nacht ist das Zelt schon fast trocken, denn der Wind weht kräftig. Trotz der extra Meter, gegen welche die Beinchen protestieren, gehe ich und pflücke mir ein paar Pflaumen – wurde mir gestern erlaubt – und schneide sie, trotz großem Hunger, geduldig ins Müsli. Und trotz der müden Oberschenkel und des schönen Fleckchens hier fahre ich weiter. Irgendwie muss ich, zumindest noch eine Etappe, dann ist ja vor dem großen Pass nach Lærdal eh Pause angesagt. Also los.

Frisches Obst hatte ich zuletzt in einem anderen Land.
Der kleine Fjordarm mit seinem sehr milden Klima, der wettergeschützten Lage, und dem riesigen Hotel.

Erstmal geht es rauf. Klar, wenn man am Ende vom Fjord ist, gibt es hier keine Alternativen. Es geht durch schönen Wald, es ist ruhig, läuft gut. Geht doch. Oben auf 370m angekommen bläst mir gewaltig der zelttrocknende Wind entgegen. Ja, da war doch was, dieses wesentliche Element, das bisher so zahm war. Ich trotze dem Lüftchen, das mich trotz Sonne und Anstrengung immer wieder frösteln lässt. Dafür isses hier hübsch, und die baldige Abfahrt macht Spaß. So, wieder unten.

Kaum oben, gibt es nen See. Ist hier echt die Regel.

Mir kam vorhin schon ein weißhaariger Mann auf nem Mountainbike entgegen, der kommt nun von hinten ran, als ich mich orientiere muss – trotz Navi. Stellt sich raus, er ist taub, und immer gewesen, spricht aber völlig normal und wohl akzentuiert, liest Lippen als wäre es nix. Und das als Norweger auf Englisch! Ich muss ihn bewundern, das ist echt stark. Er hat seine Tour fast hinter sich, wünscht mir eine gute Reise, und schon kämpfe ich alleine gegen den Wind, jetzt aber dazu bergauf. Ich werde etwas grimmig und – du hast es erraten – trotzig.

Ein Wasserfall entschädigt etwas, und der sonst so doofe Wind zaubert eine hübsche Regenbogenfahne. Als ich oberhalb des Fossen auf dem Parkplatz das Rad abstelle, stelle ich enttäuscht fest, dass die Sicht von hier nix taugt. Ich drehe mich um und sehe statt dessen mein Rad auf der Seite liegen. Ja, der Ständer, die bisher beste Investition, hat aufgegeben. Genauer: die beiden Schrauben sind gerissen. Vermutlich hat der Wind hinterhältig am fein austarierten Lenker gezerrt, diesen zur Seite geworfen, und der Schwung war dann zuviel für die armen Schräubchen. Jetzt fluchen ich lauthals. Grrr.

Hübsch.
Nicht hübsch.

Trotzig rase ich weiter, Pause gibt es jetzt erst recht nicht. Ich jage jetzt Kaffee und Süßteilchen. So. In Vossevangen nehme ich 30hm in Kauf dafür. Auf Empfehlung einer Passanten hin lande ich in einer „Bakeri“ (was das wohl heißt?) und finde Süßteilchen. Kaffee will ich so verschwitzt im Trikot nicht drinnen trinken, draußen ist ne Hauptstraße. Auch durch die fast-Fußgängerzone fahren ständig fette Karren. Trotzdem suche ich mir dort ne Bank und vertilge die heiß begehrten Kalorien, trinke dazu aus meinen Radlflaschen. Boah, viel zu viele Leute, Lärm, Betrieb… hätte ich eigentlich von Odda noch wissen können. Die Hoffnung auf ein gemütliches ruhiges Café wie in Drammen hat mich getrieben. Also doch nix mit Pause und weiter.

Großes Örtchen mit Einkaufsstraße und jeder Menge Mampf.
Mein Mampf für den Kampf.

In 20km gibt es nen Joker. Das ist ne Supermarktkette, die auch sonntags geöffnet hat, recht kleine Läden hat, aber unglaublich gut sortiert sind. Da will ich Pause machen. Bis dahin ist viel Verkehr. Ich bemühe mich, nicht aufzuhalten, gerade den großen Lastern will ich nicht zur Last werden. Immer geht es nicht. Es ist stressig. Puh. In der Ferne zeichnen sich hohe Berge ab. Und das Schild, das einen Schneekettenanlegeplatz für LKW ausweist, verheißt die nächste Steigung. Yay. Trotzig wie ich bin, kämpfe ich mich mit Zimtschneckenantrieb hinauf und sinke letztlich ziemlich erschöpft auf die Bank vor dem Joker.

4 Farbstreifen
Bald bergauf. Wie schön.

Neben mir machen 3 Busfahrer Pause. Ich versuche herauszufinden, warum mein Garmin meint, ich müsse noch 500hm hinauf – das würde ich trotz beliebig vieler Süßteilchen heute nicht schaffen, passt aber so gar nicht zu dem Landschaftsprofil, das ich im Kopf habe. Ich frage die edlen Herren, und erfahre, dass der Stalheimskleiva Vegen gesperrt ist. Das wäre die Umfahrung zweier Tunnels für Radler, und mit 18% die steilste offizielle Straße, und das immerhin auf 1km! Aber ich darf durch den Tunnel rollen, und werde damit Aussicht und Nervenkitzel gegen Bremsbeläge und Zeit tauschen. Ist mir heute recht.

Teils stehen die alten Brücken noch und sind durchaus sehenswert.
Irgendwo da hinten muss es in den Sognefjord gehen. Schön auch zu sehen, mit wie viel Abstand ich zumeist überholt werde.

Und tatsächlich rolle ich nur noch runter. Die Tunnels sind steil, ich bin froh, dass ich die nicht hoch muss. Erst 1,2 km, dann 1,1km geht es rauschend hinab. Überholen musste mich da niemand. Und als ich unten herauskommen, sind es zwar noch 8km bis zum Wasser, aber ich verrenke mir den Hals, so hoch sind die Wände hier, so eng das Tal. Wow. Nun bin ich fast da, und bremse trotzdem immer wieder, um Bilder zu machen. Das ist das Schöne am Fahrrad: ich kann jederzeit stehen bleiben und behindere niemanden sonderlich. Aber dann bin ich wirklich da und schlage flink und geübt, nur geringfügig tollpatschig, das Zelt auf. Geschafft, trotz allem.

Tadaaa!

Einkaufen muss ich noch, aber erst nach der Dusche. Den Kilometer bis zum Joker radel ich, auch wenn mir nach 5 Tagen im Sattel jetzt der Hintern weh tut. Laufen dauert zu lange. Der Joker ist Tankstelle, Post, Supermarkt und Fastfoodbude, und vielleicht noch mehr, in einem. Und wie in jedem Supermarkt gibt es auch hier ein Regal mit Süßigkeiten zum selbst zusammenstellen. Kinder mit begrenztem Budget in Form einiger Münzen in der Hand können hier Stunden zubringen, um ihre Tüte Süßkram zu optimieren. Lustig mit anzuschauen.

Der alles-in-einem Outpost. Ein echter Joker halt.
Süßkramwahl, gibt es hier überall.

Am Ufer liegen unzählige Kanus und Kajaks. Scheinbar ist das hier der Renner. Mal schauen, vielleicht schaffen wir es im September noch, das auszuprobieren. Lust hätte ich schon drauf, aber nicht jetzt. Ich hab das Fahrrad, um das Land zu erkunden.

Müssen die gerettet werden? Wollen die nicht lieber schwimmen? Ob ich sie ins Wasser schieben sollte?

So, ich bin immer noch etwas trotzig. Essen hilft, vor allem Schokolade. Aber jetzt ist mir klar, was ich heute früh bereits geahnt hatte. Also, gut, es war mehr als nur ne Ahnung, ich geb es ja zu: Ich brauche nen Pausentag, oder zwei. Ob ich morgen hier bleibe, weiß ich noch nicht. Der Platz ist cool, den gibt es auch schon lange, ist prima in Schuss und recht ausgefallen. So gibt es ne ausgebaute Scheune mit kleiner Musikbühne, Bar, Billiard, und Wikingerthron und vielem mehr. Im Juli rockt die Bude vermutlich ganz schön doll. Nur ist jetzt gerade nix los. Ich wüsste nicht recht, was ich hier machen soll… Naja, erstmal ausschlafen, dann wird es mir schon klarer sein.

Trotz ist ne treibende Kraft. Etwas zu trotzen kann helfen. Und ein bisschen trotzig sein hat ja auch was von Durchsetzungsvermögen. Oder Sturheit. Na, jedenfalls bin ich froh, dass ich meinen Trotz diesem Tagebuch habe anvertrauen können. Ich musste beim Schreiben schon sehr viel über mich selbst schmunzeln, und das ist gut so. Dafür schreibe ich ja auch, um den Tag zu reflektieren. Morgen nehme ich mir die Zeit und lese selbst die letzten Tage durch. Dann weiß ich vermutlich gleich, was wir fehlt. Zum Beispiel ne ordentliche Tastatur…

Tag 18: Fjordrollen

Ah, schön geschlafen. Ein ganz kleiner Zeltplatz hat was für sich. Hier standen auch gar keine großen weißen WoMos, sondern eher Autos mit Zelt und umgebaute Busse und sowas. Die typischen WoMo-Camper packen ja ihren Klappsitz aus, glotzen erst aufs Handy, dann auf den Grill, und wenn es draußen zu kühl ist, rotieren die Satellitenschüsseln, und sie glotzen in die Röhre. Bloß nicht weg vom WoMo, bloß nix erleben. Ja, ich übertreibe, aber wirklich nicht viel. Nicht alle sind so, aber man kann von der Fahrzeugausstattung fast schon ein bisschen auf die Erlebnisfreude schließen.

Na, hier war es anders, und sehr angenehm. Irgendwann mitten in der Nacht ist wer losgefahren, vermutlich zur Trolltunga. Überhaupt, in Røldal und auch hier: nahezu jeder war gerade oder will gleich morgen auf die Trolltunga. Google es, wenn es dir nix sagt. Das Bild kennst du garantiert. Angefangen hat das wohl erst vor einigen Jahren, und seither hat Norwegen Mühe, die Touriströme zu kontrollieren. Die Wanderung ist nicht ohne mit 13km hin, 1000hm dazu, und 13 km zurück, dazu noch stundenlang anstehen für das Foto. Das in Sandalen, Shorts, ner Fanta und nem Snickers bewaffnet… Da freut sich die Bergrettung.

Aber ich kann es auch verstehen, denn schön ist es da oben durchaus. Wir sind vor einigen Jahren 6 Tage durch die Hardangervidda gewandert und kamen aus der Wildnis von oben her zur Trolltunga, ohne zu wissen, wie überlaufen das ist, daher weiß ich, dass es da hübsch ist. Andere Geschichte. Ich rolle heute den Hardangerfjord entlang, und früh geht es los, denn ich will mich gern erholen. Um 10:45 geht die Fähre von Utne nach Kinsarvik, die will ich kriegen, und damit den Nachmittag pedalfrei haben. Es rollt auch gut heute früh, ausgesprochen gut.

Blauer Himmel? Ich mag nicht schon wieder Sonnencreme nehmen müssen!
Ein riesiges Land, oben Fjell, dann steil, unten an der schmalen Fjordküste ein Streifen landwirtschaftlich nutzbar. Da ist menschliches Leben.

Es zieht zu. Nein, das stimmt nicht. Eher bilden sich Wolken, wie Bänder auf einer Höhe entlang der Fjordwand. Als würde sich der Fjord elegant einen flauschigen, kuschelweichen, weißen Schal um die Schultern legen, und das Haupt noch von der Sonne wärmen lassen. Danke. Das gibt schöne Bilder, macht nicht so warm, und vermeidet Sonnenbrand.

Und dann die Sonnenstrahlen durch das Wolkenband! Yeah!
Vielmehr als Fjord gibt es heute nicht zu sehen, sorry.

Ich liege gut in der Zeit, aber die Wolkenstimmung lässt mich immer wieder bremsen und Bilder machen. He, was ist das da? Die Fähre von Kinsarvik nach Utne? Ob ich es vor ihr zum Anleger schaffe? Hmpf, so viel zu „ruhiger, gemütlicher Tag“. Mein sportlicher Ehrgeiz ist geweckt, und es geht schön flach – also jetzt echt richtig wirklich flach – dahin. Das bin ich gar nicht gewohnt, trete fast wie am Berg, und auf dem Tacho steht immer was zwischen 25 und 30 km/h. Wow.

Wer ist schneller? Gemütlicher hat es sicherlich der Kapitän.

Ich bin tatsächlich etwas schneller da, und darf zur Belohnung verschnaufen. Auch diese Fähre ist kostenlos für Fußgänger und Radler, sehr cool. Von den Autos werden die Nummernschilder gescannt, darüber wird abgerechnet. Im Salon gibt es Kaffee! Süßteilchen vielleicht auch? Nee? Ah verflixt.

Die Sicht ist phänomenal! Hab auf der App Norgeskart noch gespickt, wie tief der Fjord ist. Also da, wo ich gezeltet habe, waren es 380m, hier wo die Fähre gerade fährt und mehrere Fjordarme zusammenlaufen, sind es über 700m! Die Berge daneben sind teils über 1500m hoch. Ich sag ja, Fotos taugen nix, um das zu vermitteln, sind höchstens ein müder Abklatsch des Erlebten. Naja, muss genügen. Umgekehrt ist es ja auch gemein, wenn das Foto genial, die Realität dann ernüchternd ist. Dann lieber so.

Die Dame hat den Schal nun um die andere Schulter gelegt. Ich will hier wochenlang Zeitraffer machen!
Da sieht man, wer hier regelmäßig fährt. Die drücken sich nicht die Nase an der Scheibe platt.

Es ist 11:30, nur noch 30km vor mir, jetzt hab ich wirklich Zeit. Gemütlich und mit schön hoher Trittfrequenz, also minimalem Krafteinsatz, pedaliere ich weiter. Öfter sehe ich Obst zu kaufen, leider nie jemand dabei, den ich fragen könnte, ob ich einfach ne handvoll Früchte kaufen kann. Ein ganzes Körbchen kriege ich nicht zerstörungsfrei transportiert. Dann würde ich lieber gleich Marmelade kaufen.

Obst am Straßstand, Bezahlung auf Vertrauensbasis

Bald ist das Highlight von heute zu sehen, die Hardangerbrua. „Bru“ heißt „Brücke“, das „a“ am Ende ist der bestimmte Artikel. Brücken sind hier eindeutig weiblich, so wie Hytta. Klar. Hier heißt eh alles Hardanger-irgendwas, also auch die einzige Brücke im zweitgrößten Fjord Norwegens. Als wir 2010 hier waren, befand sie sich noch in Bau, wurde erst 2013 fertig gestellt. Wir sind noch mit der Fähre übers Wasser. Übers Meer. Irre, dass dies das Meer ist.

Noch fast 10km bis zur Brücke.

Autos fahren durch nen Tunnel, darin ein Kreisel zum Abzweigen, geradeaus oder über die Brücke. Mit dem Rad werde ich umgeleitet und darf auf ruhigem Wege mit Ausblick ran. Ich komme auf den Rastplatz, mampfe Lieblingsmüslikekse, und warte, bis die vielen Leute weg sind, bevor ich Bilder mache. Ja, das Bauwerk ist ne Attraktion. Immerhin überspannt die Brücke 1380m, die Fahrbahn ist 55m über dem Wasser, die Pfeiler sind 200m hoch!

Über der Brücke gibt es nen Rastplatz mit Ausguck.
Die Spur rechts ist für Fußgänger und Radfahrer. Absolut vorbildlich hier.
Drüben geht es für Autos direkt in nen 8km langen Tunnel, ich hingegen komme runter an die Straße entlang des Fjords.
So, genug Bilder von dem Ding.

Ich zeige so viele Bilder davon, weil dieses gigantische Bauwerk vielleicht etwas hilft, die Größe des Fjords zu vermitteln. Die Brücke wirkt klein in der Landschaft, fragil und nichtig. Irre.

Da der Verkehr durch den Tunnel verläuft, ist die Strecke am Fjord entlang sehr ruhig. Und so rolle ich gediegen den Rest bis nach Ulvik. In dem kleinen Örtchen steht ein gigantisches Hotel, von dessen Business Model ich mir keine Vorstellung machen kann. Was fahren Leute hierher ans Ende des Fjords, um in einem riesigen Hotel zu wohnen? Hier kann man ja auch nicht viel machen. Bleiben die Gäste dann ne ganze Woche? Was machen die den ganzen Tag lang? Merkwürdig.

Der Campingplatz ist dagegen super. Eine prima ausgestattete Küche lässt keine Wünsche offen, die Duschen sind ordentlich und kostenlos und schön heiß, die Hütten sehen gemütlich aus. Natürlich Zelte ich. Heute früh kam die Sonne zu spät über den Berg, so dass das Zelt patschnass ist. Geregnet hatte es nicht, aber hier gibt es jeden Morgen richtig viel Tau. Ich dusche und wasche Trikots, und danach ist das Zelt schon trocken. Hier ist es schön.

Zelt am Wasser, mal wieder der Premiumplatz 🙂

Heute muss ich mich regelrecht wehren, damit ich nicht gefüttert werde. Nein, abgemagert bin ich definitiv nicht! Aber als Radler bekomme ich hier von vielen Respekt und Ermutigung, sogar viele Motorradfahrer grüßen oder geben nen Daumen hoch. Ich kriege Übung, meine Story kurz zu fassen. Im Moment sag ich gern „Yeah, I chose my suffering. And it seems I tend to like it“. Ich kann aber auch einige Tipps und Infos geben, was sich zu sehen und erleben lohnt. Da schau ich natürlich vorher, woran die Leute interessiert sind, wie wandertauglich sie sind, wo sie etwa hin wollen. Macht Spaß, aber irgendwie ist dann doch der Tag wieder rum. Wieder kein Nickerchen.

Camping per Wasserflugzeug? Naja, bisher lagen fast alle Zeltplätze am Wasser.

Heute waren meine Muskeln das Limit, nicht das Knie. Danke vor allem an Manfred und Holger für die Tipps, was ich machen kann, aber auch Dank für jeden Zuspruch! Das hilft schon, wenn man alleine im Zelt sitzt und sich fragt, wie lange man wohl noch durchhält. Ich glaube, das geht jetzt ganz weg. So kann ich mich voll auf die kommenden Abenteuer freuen!

Tag 17: Gletscher in Sicht

Spät geschrieben, lang geschlafen. Um 8 steh ich auf. Puh, frisch war es die Nacht, musste den Schlafsack, dessen Spitzname „Bratröhre“ ist, sogar zu machen. Ein blauer Himmel verspricht schönstes Wetter, ich komme nur allmählich in die Gänge. Richtig lebhaft werde ich, als mir Backduft in die Nase weht: hier werden frische Brötchen gebacken, sogar mit Sauerteig! Irre! Zwar kostet eins 17 Kronen = 1,70 €, ich nehme trotzdem 4 Stück – 2 für gleich, 2 für morgen. So darf das losgehen. Mjam!

Irre! Sauerteigbrötchen, selbst gemacht, leckerer als daheim.
Da bleibt das Müsli stehen. Dank Wasserkocher in der Küche braucht es den Benzinkocher heute nicht.

Der Berg gibt Schatten, Bäume geben Schatten, alles braucht länger zum trocknen. Noch ne Runde mit Kamera zum See. Dann werde ich noch 2 mal angequatscht und unterhalte mich ne Weile. Von Michi und Dagmar bekomme ich sogar noch Kaffee. Als die beiden sich davon machen, komm ich auch endlich in die Gänge. Um 12 Uhr sitze ich endlich auf dem Rad. Viel zu spät, die Sonne brät. Und erstmal geht es auf ner Hauptverkehrsader los. Unangenehm. Geht, aber schön ist anders. Die Routen, die ich mir ausgesucht habe, sind offenbar gut gewählt, denn meist ist es da einsam.

Überall Stromleitungen. Unterirdisch verlegen geht hier nicht, alles felsig.

Den ersten Tunnel, der im Berg sogar ne Schleife dreht, umfahre ich. Da rauscht ein Rennradler an mir vorbei, mit irre trainierten Beinen, wusch. Ich rufe ihm hinterher, ob er nicht ne Tasche von mir nehmen will, das sei prima fürs Training. Er macht langsamer, wir kommen ins quatschen, merken bald, dass wir es beide gleichermaßen lieben, uns über Berge zu quälen. Er begleitet mich, und ratz fatz haben wir 400hm hinter uns, die Hälfte der heutigen Tour. Danke, Tor Ove – sogar ein Namensvetter! Er ist kommendes Wochenende am Fuße der F55, der höchsten Passstraße Norwegens. Da will ich auch drüber. Vielleicht schaffe ich es bis dahin, dann sehen wir uns dort, verspricht er mir.

Als wir die große Straße verlassen und die alte Passstraße nehmen, brauche ich ne Pause, er nicht, so verabschieden wir uns. War aber ein gutes Tempo, und binnen 1h Fahrzeit schaffe ich 500hm. Mit dem Rennrad daheim gingen auch 700 oder 800, aber da sind 35kg weniger dran, und dann bin ich auch ausgeruht. Ich bin top zufrieden. Vor allem zickt mein Knie nicht! Hey, fleißig weiter dehnen und so, das wird ja tatsächlich! Als ich das feststelle, freue ich mich und gebe Gas. Naja, zumindest kurz. Die Beine sind trotzdem müde, so bremst mich der Berg schnell wieder ein, und ein ruhiger Tag wäre schon mal wieder gut.

Hmm, nur knapp unter den Grenzen, ich will es wagen.

Skigebiet ist hier. Der Blick zurück ganz nett aber sonst eher… Okay. Angenehme 8% Steigung, relativ konstant, so schraube ich mich weiter rauf. Die Luft wird allmählich ein wenig dünner – zumindest schiebe ich meine zunehmende Erschöpfung darauf. Im Kopf rechne ich aus, dass auf 1000m Höhe nur noch etwa 88% des Luftdrucks auf Meereshöhe herrschen müssten. So gehen wieder ein paar Minuten ins Fjell, in denen ich vor mich hin trete. Nee, hier ist nicht jede Minute spannend und abenteuerlich. Die längste Zeit hechle ich mühsam und langsam den Berg rauf. Das muss man sich schon antun wollen.

Yay! Hinten der See, an dem ich gezeltet hatte.

Aber dann flacht es ab, und ich bin auf dem Pass. Noch ne Kurve, und ich schaue auf den Folgefonna, den Gletscher, der westlich über dem Hardangerfjord liegt. „Dach der Welt“ fällt mir ein, denn er fließt nicht zwischen schroffen Gipfeln hinab, sondern bedeckt den ganzen Bergrücken. Kein Fels ragt oben hinaus. Und jetzt die Abfahrt, von knapp über 1000m bis hinab auf 0. Naja, also hoffentlich nur bis auf 5, denn Baden wollte ich nicht gehen. Aber auf die 5 kann ich gut verzichten, wenn sie trockene Füße garantieren.

Über den Pass, 1060m hoch, Blick auf den Gletscher Folgefonna. Wow.

Bald wieder auf der Hauptstraße geht es lang hinab, ewig rolle ich, trete etwas dazu, genieße das Rauschen, den Rausch. All das Tempo hab ich ja selbst aufgebaut, mühsam, Tritt für Tritt. Und jetzt entlädt sich die Lageenergie in Freude. Wooohooo!

Die 1000hm Abfahrt ist herrlich!

An der Straße liegen einige Wasserfälle. Besser: sie fließen. Oder gut, ja, sie fallen. Oder? Ach, egal, jedenfalls sind sie auch für norwegische Verhältnisse durchaus ordentlich, so dass ich öfter mal halt mache und fotografiere. Hier nur mal 3 der vielen. Irgendwann bremst man kaum noch. „Ah da wieder einer, auch ganz hübsch“ denke ich mir bei nem Fossen, der in Deutschland überregionaler Tourimagnet wäre. Hier werden Standards gesetzt.

Einer von vielen.
Und noch einer.

Und endlich in Odda. Zwischendurch hab ich gesehen, dass der Laden, in dem ich das Ladegerät für die Akkus der Kamera holen will, nicht mehr lange offen hat. Also zügig in die Innenstadt, und ich bin sofort überwältigt von den vielen Menschen, dem Verkehr, dem Betrieb. Auweia. Also rein in den Laden, Verpackung da gelassen, raus. Elektronik erinnert mich gerade eh zu sehr an IT und damit an die Welt, die ich ja aus meinem Kopf raus haben will.

Kaffee und Süßteilchen hätte ich gern, aber es ist schon 16 Uhr, ne Stunde hab ich noch zu fahren, und in dem Norf-Süd-verlaufenden Fjord ist bald die Sonne weg. Also weiter. Die Cafés machen eh gleich schon zu. Noch im Coop Kalorien shoppen. Heute gibt es Nudeln, ich hole Tomatensauce mit Knoblauch im Glas, Osaft, und die Liebmingsmüslikekse, die schon wieder verdampft… ääh, vermampft sind. Mehr brauche ich gerade nicht, und so sitze ich bald wieder auf dem Rad.

Odda am Ende des Fjords.
Mal wieder 2 Tunnel heute. Schnell das Rücklicht einschalten.
Blick zurück ist immer Grund für ne kurze Pause.
Und noch einer. Merke: oben Gletscher + viel Regen + warmer Sommer = Fossen ohne Ende

Die Fjorde haben ein ausgesprochen mildes Klima, und so wird hier Obst, ja sogar Erdbeeren angebaut. An Straßenständen kann man Saft und Früchte kaufen. Aber was will ich mit 3kg Äpfel? Vielleicht kann ich ja morgen mal fragen, was 1 Apfel kostet 🙂

Fjorde sind Obstanbaugebiet. Äpfel und Pflaumen am Straßstand zu kaufen.

Endlich komme ich an dem kleinen Campingplatz an. Eine Rezension auf Google lautete etwa „hier gibt’s ja nichts, nur ne winzige Küche, Selbstbedienung, winziger Platz…“ – perfekt, denke ich mir, und mache hier halt. Tatsächlich ist alles da, was man braucht. Platz aussuchen, um 19 Uhr kommt jemand, dann bezahlt man. Die Hütten hier sind auch sehr minimalistisch, eben genau das, was man für ein oder 2 Nächte benötigt, und nicht gleich ein Ferienhaus. Perfekt. Ich zelte aber natürlich. Lektion: meine Tollpatschigkeit beim Zeltaufbau ist ein guter Gradmesser meiner Erschöpfung. Morgen mach ich low.

Ich koche meine Nudeln auf dem Herd – viel zu viele, der ganze Topf ist voll! Aber ne Stunde später sind sie verschnabelt. Waren ja auch wieder über 2000kcal, die ich heute in Verdunstung und Reibungswärme verwandelt habe.

Eigentlich wollte ich weiter zum Vøringsfossen, aber als ich das geplant hatte, hab ich mir die Details nicht so genau angesehen. Jetzt sieht das gerade wie ein irrer Umweg aus. Das würde sich nur lohnen, wenn ich da oben zelten würde, oder weiter über die Hardangervidda fahren würde. Aber hoch fahren, Wasser angucken, und wieder runter fahren… Irgendwie gar nicht reizvoll gerade. Ich glaube, ich verschiebe das. Ich will ins Fjell, und ich will Passstraßen fahren, und Fjorde entlang. Das macht mir gerade mehr Freude. Also gibt es morgen ne kleine Tour mit wenig Höhenmetern, und den Vøringsfossen ein andermal.

Ähm… Fjordglühen?

Zwar hab ich jeden zweiten Tag jemandem knapp erzählt, was ich beruflich gemacht habe und weiter machen werde, aber irgendwie wird das immer surrealer, abstrakter, ferner. Die erlebte Realität hier jeden Tag ist derart anders, dass diese Arbeitswelt echt weit weg ist. Dabei habe ich erst 2 Wochen hinter mir, und es dürfen noch 4 weitere werden. Klar, wenn ich von meinem Beruf erzähle, flammt sogleich wieder der Enthusiasmus auf. Aber ich rede lieber über das hier und jetzt, oder höre Leuten zu, was sie bewegt, wie es ihnen hier ergeht.

Allmählich wird das Reisen hier normal. Aber es werden noch Kälte und Wind und Regen kommen. Die Tage werden spürbar kürzer. Es ist Spätsommer, und dafür gerade sehr angenehm. Ich bin gespannt, wie es wird, wenn das Zelt nicht mehr trocken wird, ich ständig die Regensachen an- und wieder ausziehe, und am Tag noch weniger Zeit bleibt, weil es weniger Sonne und Licht gibt. Auch wird es im September einsamer werden, weniger Leute werden unterwegs sein. Es bleibt spannend.

Tag 16: Übers Fjell nach Røldal

Tief und fest geschlafen, längst nur noch am Schlummern, wirft mich um 8 die Sonne endgültig aus dem Zelt. Ich bin verplant, hab schwere Beine und mach mir viel zu viel Müsli. Zum Tee kochen hab ich keinen Nerv, hab ja auch noch Osaft. Frühstück ohne Tee ist denkbar, und auch möglich. Hätte ich nie gedacht.

Die Italiener haben ihre Motorräder schon fast fertig gepackt. Die fahren auf dem Weg nach Kristiansand noch flink in Lysebotn vorbei. 350km, passt schon – Höhenmeter will ich gar nie niemals nicht wissen. Motoren sind echt irre. Das wird einem irgendwie erst so richtig klar, wenn man nen Berg hoch schnauft, und dann zieht ein tonnenschweres Auto mal eben – wuuusch – an einem vorbei und beschleunigt bergauf auf ein Tempo, das ich bergab niemals haben will. Im Auto ist das natürlich völlig normal, aber was da für Energien freigesetzt werden… Krass.

Aber ich muss erstmal los. Die beiden Reiseradler neben mir sind etwas motivierter und kommen besser in die Gänge, und irgendwie treibt mich das an. Klar, ich könnte hier auch nen Tag Pause machen, aber ich mag den Platz nicht, ist zu groß, ungemütlich. Ich fahr mal los, zur Not Zelte ich irgendwo unterwegs. Bis nach Røldal packe ich es heute wohl kaum. Irgendwann ist auch der Müsliberg aufgemampft und die vielen Kleinigkeiten finden ihren Weg in die vielen Taschen. Los jetzt. Immerhin, um 10 Uhr bin ich unterwegs.

Die Norweger und ihre gepflegten Rasen. Ich komme d nochmal drauf zurück, versprochen.

Noch nicht ml aus dem Ort raus, hab ich 100hm und mache Pause. Dehnen, warten. Das mach ich jetzt regelmäßig, denn gestern war hart und kontraproduktiv für’s Knie. Dieses merke ich auch deutlich. Grmpf. Also mal sehen, jeden Meter, den ich heute fahre, brauche ich morgen nicht zu fahren. Bald geht es an den Fluss, und dann auch bergauf. Garmin meldet: 840hm über 17km, dann sei ich im Fjell. Puh. Bald schon die nächste Pause, und die nächste. Die beiden anderen Radler, die ne gute viertel Stunde vor mir los sind, sehe ich sicher nicht mehr.

Unten noch ruhiger, wird der große Bach bald zur Klamm. Tief eingeschnitten, die Straße immer höher darüber. Bald im Hinterdorf, dort die Schranke, welche den Pass für den Winter schließt. Und dann 1.5km mit 11% – ich schiebe. Ja, nicht nur da, später schiebe ich auch nochmal. Diesen Steigungen bin ich heute nicht gewachsen, mir fehlt die Power, die Oberschenkel sind lahm, die Motivation ist löchrig, und das Knie jault bei sowas auch laut. Zum Zelten noch viel zu früh, und hier geht das eh nirgends, also gibt es nur eine Richtung: rauf.

So richtige Freude kommt heute gar nicht auf. Bin ich schon abgestumpft? Nee, das Land ist immer noch irre schön.

Pause steht mal wieder an, und hey, da ist ja sogar ne Bank mit Tisch, und Wasser fließt hier auch. Und da picknicken gerade die beiden Radler. Irre. Bin ich doch nicht so langsam heute, oder sind die auch nicht schneller? Ich mampfe total leckere Müslikekse, meine neuen Favoriten hier. Wir plaudern und fahren gemeinsam weiter. Er ist irre fit, sie hat nen beneidenswert leichten ersten Gang und macht es sich damit gemütlich. Dazwischen bin ich unterwegs, passt ganz gut. Ach ja, natürlich Deutsche. Sonst tut sich das ja keiner an.

Da hinten kommt schon das Oben in Sicht, yeah!
Na, was bedeutet das wohl? Fe ist Vieh, und Rist ist Rost. Also macht es gleich wieder BRRRRRR wenn ich über den Viehrost fahre, der den Schafen fies den Weg abschneidet.
Wer entdeckt das Haus?

Allmählich kommen wir doch hoch. Das Tempo ist irre niedrig, aber ist ja auch steil und lang. Letztes Jahr bin ich auf den Kandel bei Freiburg geradelt, das war nicht höher. Puh. Zum Glück mache ich Fotos, das sind auch kurze Pausen. Und irgendwie schaffen wir es rauf, wieder aufs Fjell. Wow. Der große Anstieg liegt hinter uns. Es ist 14 Uhr, meine Beine werden nicht müder, aber auch nicht fitter. Ist okay, damit geht es weiter. Und das Knie hält sich wacker, wenn auch nicht toll. Ich glaube, wenn ich die Fähren nochmal alle prüfe, könnte das echt noch gut werden.

In den Nordhängen der Berge liegt noch Schnee vom letzten Winter!
Und überall Wasser, sogar ganz oben.
Ja, das bin ich. Hier nicht Radeln zu dürfen wäre Bestrafung!

Hier oben fühle ich mich irre wohl. Es ist nie flach, geht wie ne Achterbahn kurz steil rauf, runter, kurz gleiten, sachte anziehen, plötzlich steil, immer Kurven, immer neue Ausblicke, neue Seen und Berge und Kurven und kleine Teiche mit Wollgras und Felswände. Und Kurven. Und Pausen.

Verkehr ist wenig. Hauptsächlich WoMos und Motorräder. Nur ein Karlsruher überholt eng, sonst echt lässig.
Wollgras, leider schon ganz zerzaust. Da würde man gern Zelten, weil hübsch, aber wo das steht, ist es immer nass.
Der letzte Anstieg, nochmals 120hm. Kurz vor der Kuppe der Blick zurück. Hier könnte ich jeden Tag fahren.

Und dann ist es geschafft, ab jetzt geht es nur noch bergab. Immerhin rauf auf 960m hab ich mich getreten, direkt vom Meer unten. Die beiden Reiseradler haben mir geholfen, haben mich mit gezogen, ohne ziehen zu müssen. Ich bedanke mich bei ihnen, auch sie haben es genossen, mal jemanden dabei zu haben. Sie wollen wild Zelten und morgen gen Osten, dann bald heim. Naja, heim müssen sie, wollen noch lange nicht. Aber unsere Wege kreuzen sich wohl nicht mehr, und so verabschieden wir uns, und ich rolle gen Tal. Trotz Sonne ist es frisch, und ein Leibchen gegen das Lüftchen hält mich warm.

Diese Seen, dieses Blau, dafür bremse ich gern. Und dahinter lässt sich das Tal erahnen, in das es hinab geht.
Tadaaaa!

Der Übergang ist krass: eben noch im Gebirge oben, geht es zwischen steilen Felsen hindurch, und plötzlich öffnet sich alles, vor mir liegt Røldal. Wow. Da ist es wieder, das Gefühl, das ich in Lysebotn hatte! Nicht ganz so intensiv, aber ich genieße den Moment, verweilte einige Zeit hier oben und freue mich einfach.

Noch 400hm bis unten. Ist nur ein See, kein Fjord diesmal.
Die Kreuzung. Schaffe ich es noch bis Odda? Sind von hier  ja nur 500hm. Nee, mach ich morgen.

Weiterfahren wäre nicht möglich. Ich bin platt, als ich auf den Zeltplatz rolle. Nur WoMos, kiene Zelte, keine Radler. Hm, wohin nur? Wie ich da stehe, kommt einer auf mich zu und meint, die hätten da ne Bank-Tisch-Kombo in Beschlag genommen, die könnte ich sicher brauchen, und da sei noch Platz. Dankbar für die Entscheidungshilfe und die nette Art folge ich Michael, der mit Dagmar in nem uralten Mercedes T1 „Bremer“ unterwegs ist. Das ist deutlich weniger spießig, die beiden sind cool drauf.

Ich bin echt durch, habe Probleme, das Zelt aufzubauen. Fast schon peinlich. Ich darf Garmin und Handy laden, und die beiden teilen ihre frisch gebratenen Spiegeleier mit mir. Also erstmal Brotzeit und quatschen. Und wie ich mich zum Duschen aufmachen will, packt Michael seine Kamera aus. Ich schiele aufs Modell und staune: ganz nah an meinem. Ob er das Ladegerät dafür dabei habe, frag ich. Ja klar, hat er. Und so darf ich, nur noch nen halben Tagesritt von Odda und dem dort auf mich wartenden Ladegerät, hier meinen Akku laden. Also da fängt man echt an, an Vorhersehung zu glauben! Ich krieg mich nicht mehr!

Direkt neben uns gärtnern ein paar Ziegen die jungen Triebe zurecht.
Da hat sich was verlaufen. Ein nagelneuer Zetrus 6×6. Der gehört auf Expedition, nicht hierher! Den WoMo-Vergleich gewinnt der einsame Besitzer, ich kriege Nackenschmerzen vom Kopfschütteln

Wir sitzen noch lang und erzählen. Total spannend, und schön. Seit 30 Jahren fahren sie ihren Bremer, und wollen gar nicht mehr anders. Dagmar holt nen Kirschlikör raus, während wir über das Reisen, die Arbeit, die Camper, und vieles mehr sinnieren. Leider komm ich wieder erst spät ins Zelt, aber das hat gut getan.

Heute war wieder ein echt schöner Tag. Miefig angefangen, aber hat sich schön gemacht. Die wundervolle Landschaft und die zufälligen Begegnungen lassen diesen Urlaub wie ne echte Reise anmuten. Es ist auch kein Urlaub, jedenfalls ungewöhnlicher als alles, was ich bisher hatte. Und das ist gut so. Die alte Welt ist schon ganz weit weg. Ich glaube, ich mach hier was richtig.

Tag 15: Fährenfahrgefahr

Es ist schon spät, ich bin kaputt. Muss mich kurz fassen heute. Also: Urlaub, halb 7klingelt der Wecker. Frühstück, Dehnen, Packen, Hausputz, um 9 auf dem Rad. Fühlt sich gut an, geht gut los, gemächlich. Mache Pausen, ganz brav. Uwe brav, Knie brav. Wetter brav. Landschaft wild.

Blick zurück, nach 2 Stunden bin ich gemütlich 600hm rauf. Pausen sind gut, Zeit lassen, ist ja nicht weit heute.
Garten am Wegesrand erfreut mich immer wieder

Hinab, yay, ins Tal des Flusses Suldalslågen. Schöner Fluss, den geht es gemütlich hinab bis nach Sand. So heißt der Ort, an dem die Fähre mich rüber nach Ropeid bringen soll. Pause, Dehnen, mampfen. Yeah, so geht das gut. Mir geht es gut.

Der Suldalslågen, echt hübsch.

Kleine Überraschung: Keine Fähre, seit 2015 nicht mehr. Lektion heute: alle Etappen und Fähren im Detail prüfen. Besser so. Also Umweg von 30km, insgesamt noch 55km, es ist 13 Uhr. Das passt doch gut, geht doch nur am Fjord entlang. Hmmm. Zum ersten Mal fahre ich ohne Plan, welche Höhen und Tiefen mich erwarten, und das bringt bald tiefe Erkenntnis: fahre in Norwegen nicht aufs Geratewohl drauf los, wenn du nicht weißt, wie viel es rauf und runter geht.

Die Strecke ist schön, anders als bisherige Fjorde. Fjord ist halt auch nicht gleich Fjord. Endlich fahre ich nicht mehr nach Süden, biege ab, durch nen Tunnel mit Steigung. Dann noch einer. Ich gewöhne mich dran. Endlich an der Brücke, die über den Fjord führt. Davor 2 Tunnel, dahinter einer. Seit Sand hab ich schon 4 Tunnels hinter mir, es folgen noch etwa trölf, mal bergauf, mal bergab. Runter ist definitiv lustiger.

Hinten die Brücke über den Fjord. Sie hat die Fähre abgelöst.
Sand am anderen Ufer. Ich bin gar nicht bis ins Dorf, obwoh es nett sein soll. Vielleicht hätte ich ja jemanden überreden können, für mich Fähre zu spielen?

Natürlich ist das zu viel heute. So brav erholt, und jetzt fressen mir die Höhenmeter die Zeit und Erholung auf. Auweia. Es läppern sich ganz schön viele zusammen. Sorry, an was Anderes kann ich heute nicht mehr denken, das beschäftigt mich einfach. Natürlich zickt das Knie wieder. Bis Sand war alles super, aber 1700hm am Tag sind einfach zuviel. Umso mehr freue ich mich, als es am Ende lange sacht bergab geht.

Die Straße führte zwischen 50 und 250hm am Fjord entlang, die Sicht war immer wieder klasse.

Und letztlich schaffe ich es um 18 Uhr auf den großen Campingplatz, der ein bissl übermäßig reguliert ist. Mir sind die Kleinen lieber. Dafür hat er nicht mal nen Kiosk, so dass ich noch nach Sauda rein Düse und Kalorien shoppe – wieder 7km . Es wird früh kühl heute, vielleicht bin ich auch nur ein bissl erschöpft. Strava meint, ich hätte heute 3600kcal verbraten. Wieviele Nudeln wären das? Ach, ich mach den Topf einfach mal voll, dazu Tomatensoße mit Knoblauch. Duschen, Kram räumeln, Essen… ratz fatz ist es duster.

Ob ich morgen wieder radeln kann? Oder muss ich hier ausharren? Oder radel ich mal los, schau wie weit es geht, und Zelte wild? Bis Røldal sind es wieder 1100hm. Hmm. Ich glaub, ich schlaf erst mal aus, so bis um 8, das wär mal was. Schau mer mal, dann seh mer schon.

Diesmal nicht so romantisch idyllisch wie sonst. Aber es sind noch ein paar Nudeln da. Mjam!

Tag 14: Bewegungsdrangkontrolle

Eigentlich könnte ich heute schon wieder weiter. Eigentlich. Aber eigentlich braucht Heilung meist länger, als man glaubt. Der Bewegungsdrang ist fies, ich will am liebsten loshüpfen und laufen und treten und düsen. Immerhin läuft eine kleine, fast vollständig impulskontrollierte Testfahrt hervorragend. Morgen geht es weiter als nur zum Supermarkt. Impulskontrolliert bleibe ich heute auch weitgehend mit der Kamera, es gibt nicht schon wieder die gleichen Bilder vom selben Fjord – auch wenn das Licht heute wirklich wieder anders ist, und ich immer noch gern einfach raus schaue. Aber das würde sicherlich langweilig. Überhaupt darf es hier im Blog auch mehr geben als nur Landschaftsbilder, oder?

Früh bekomme ich Besuch, diesmal gefiedert. Meine Ornithologenhotline verrät mir, dass es ein Flussuferläufer ist, der hier meine Terrasse abschnabelt und bis auf nen Meter an mich heran kommt. Nur die Glasscheibe und 300mm Objektiv trennen uns. Entsprechend bildfüllend ist der kleine Piepmatz auf den Sensor gepinselt. Leider fehlt mir die Übertragung der Bilder aufs Handy, da bin ich gerade gänzlich unvorbereitet, also bleibt nur der schäbige Versuch, das Bild vom Kameradisplay abzufotografieren. Ich weiß, das ist unwürdig für sowohl mich als auch das süße Vögelchen, aber mir bleibt gerade keine Wahl. Mal schauen, was dabei herauskommt.

Flussuferläufer inspiziert die Terrasse, reinigt die Fugen.

Oh, gar nicht so übel. Auf der Kamera ist der Kleine natürlich gestochen scharf. Besonders scharf war auch, als später 3 Mittelsäger vorbeikamen, 2 Männchen und ein Weibchen. Die waren nur 20m vom Ufer und haben Grünzeug verschnabelt, sich geputzt, und gelegentlich getaucht. Als einmal einer der Herren tauchen war, springt ein Fisch nen guten halben Meter aus dem Wasser, schier über nen anderen Mittelsäger drüber! Ganz knapp hab ich es verpasst. Aber Fische sehe ich hier öfter welche springen, ganz einzeln, scheinbar einfach so. Keine Ahnung, was für ne Party da unter Wasser abläuft, oder ob der dann ne Wette verloren hat oder so. Die springenden Fische sind auch nicht gerade winzig, eher so 30-40cm lang. Plitschplatsch.

Federkleid geputzt, jetzt ausschütteln, damit das Gefieder wieder schön fluffig ist.

Der kleine Sandstrand ist kurz, und trotzdem gibt es was zu entdecken. Zum Beispiel eine Qualle, die so merkwürdig gefärbt ist, dass es wirkt, als habe der Strand ein Auge, das mich anschaut. Ich habe als Kind nie mit Quallen gespielt und kenne nur ein paar gruselige Geschichten mit den üblichen zu treffenden Gegenmaßnahmen, auf die ich gerade verzichten möchte. So lasse ich das Strandauge liegen und gehe meines Weges. Ich starre gar nicht so lange zurück, würde ja eh zuerst blinzeln müssen.

Da schau her, es schaut zurück.
Knapp oberhalb der Wasserlinie wächst dieses Kraut. Sieht hübsch aus, aber der Gärtner hat das Namensschild nicht dazu gesteckt. Was ist das?

Im Supermarkt kaufe ich Abendessen. Später gibt es Nudeln, angebratene Paprika, Erbsen, darüber grünes Pesto. Und ich kaufe Marmelade, denn meine Solbær (schwarze Johannisbeere) ist leer. Endlich gibt es Moltebeere! Die gibt’s nur im Norden, ist teuer, und was Besonderes. Moltebeere sind ganz kleine Pflanzen, von denen jede nur genau eine Beere trägt, so groß wie eine Himbeere. Sie wachsen rot und reifen auf gelb ab. Sie reifen auch gepflückt in der Sonne über 2 Wochen gut nach. Im Fjell wachsen sie wild, kultivierter Anbau ist bisher nicht wirtschaftlich tragbar gelungen. Ich hoffe, ich finde noch ein paar oben im Fjell zum direkt essen. Norweger essen sie gern an Weihnachten, heiß mit Sahne und etwas Cognac. Bis dahin friert man sie ein.

Der ganze Supermarkt ist so klein wie die Nudelabteilung eines durchschnittlichen Rewe, aber es gibt sogar glutenfreie Kost.
Natürlich bekommt man auch alles, um angeln zu gehen, inklusive Rute. Ob die noch ans Fahrrad passt? Vielleicht senkrecht als Fahnenmast mit Norwegenflagge dran?

Verkehrsschilder sind hier übrigens auch lustig. Zum Glück verrät das Bild, um was es hier geht – eben nicht um dampfende Flatulenzen. Muss mal schauen, ob ich noch mehr solcher false friends finde 🙂

Die nydelige (=niedliche) Hytta ist übrigens super eingerichtet. Man weiß nie so genau, was man bekommt wenn man aufs Geratewohl eine mietet, aber hier fühle ich mich echt wohl. Hyggelig ist das richtige Wort, übersetzt sich am besten mit gemütlich. Und wie ich aus dem Fenster schaue, sehe ich noch 2 ganz merkwürdige Vögel. Muss später nochmal die Hotline bemühen, um herauszufinden, was das ist.

Lustig finde ich die Treppe über der Küchenarbeitsplatte. Hübsch auch das einzige Bild in der Bude, ganz links.
Mein Vorbild – ich übe den lässigen Blick noch. Meine Pfeife muss ich auch noch fertig schnitzen.
Ob die Piepen piepen?

So, jetzt die Pflicht, dann die Kür. Dank Rückmeldung weiß ich, was ich zu tun habe: Dehnen, Dehnen, Dehnen, und am besten noch ne Faszienrolle bemühen. Dabei bin ich gar nicht in Dehnemark, aber ist ja auch Skandinavien. Auf dem Papier zumindest. Eine Faszienrolle hab ich schnell improvisiert. Aua, das muss gut tun, so wohlig wie das schmerzt. Haben Wikinger eigentlich auch unter verklebten Faszien gelitten, oder waren damals die Betten nicht so weich, so dass sich da über Nacht eh alles entklebt hat? Naja, Hauptsache es hilft.

Sowas lässt sich doch bestimmt alle 2 Tage mal auftreiben. Ob man das daheim als Naturfaszienrolle gewinnbringend vermarkten könnte? Immerhin kein Plastik.
Die Kür: Kaffee, Buch, Tin Whistle. Ich flöte brauchbar, gut genug, dass es mir alleine Spaß macht, solange es niemand hört.

So, die faule Pflichtpause geht zu Ende. Morgen wird wieder gen Norden gestrampelt. Es wird nach Sauda gehen, über einen Berg, eine Fähre, und durch 2 Tunnels, ne Weile am Saudafjorden lang. Insgesamt ne überschaubare Etappe, die eher als Anfahrt zu den nächsten Highlights zählt: Pass über das Røldalfjellet, Hardangerfjord, Ladegerät für die Kamera, Vøringsfossen. Ich bin rund herum erholt, ruhig, weitestgehend gesund und recht ausgeglichen. Jetzt noch dehnen, Voltaren, und dann schon schlafen. Endlich mal wieder früher. Bis morgen.

Die Rechte ist meine. War meine. Schöne Erinnerungen werde ich damit verbinden.

Tag 13: Fahrzeugwechsel?

Kein Bild von Strava, keine Tour, nicht mal ein Spaziergang. Heute bewege ich mich nicht. Trotzdem stehe ich um 7 auf, denn der Tag ist schön, und ich will die Morgenstunden und Lichtspiele im Fjord nicht verpassen. Ich verbringe viel Zeit mit Recherche. Doof, eigentlich wollte ich nicht so sehr am Handy hängen, aber es gibt 3 Themen: Knieschmerzen, Fotoakku, Lenkerschlackern. Ja, voll beladen schlackert der Lenker während der Fahrt, teils schon direkt beim Anfahren. Trotzdem ist es stabil, und oft wird es gerade beim zügigen Fahren besser, jedenfalls nie schlimmer. Aber eins nach dem anderen.

Morgenstimmung, Blick nach Südost. Müsli leer, und hier gibt es keines zu kaufen. Dann halt Brotsurrogat.

Um den Fotoklubb Odda zu kontaktieren, müsste ich mir den Facebook Messenger installieren – das geht ja mal gar nicht! Wie ich was zur Postfiliale bestellen kann, finde ich partout nicht heraus. Also doch jemanden zufällig finden, der ein passendes Ladegerät dabei hat? Doof, dass Nikon da mal wieder was Eigenes erfunden hat. Schön wäre ja, wenn die Kamerahersteller sich einigen könnten. Oder wenigstens alle Nikon Kameras den gleichen Akku hätten. Dann hätte ich ne faire Chance, jemanden zu finden. Aber so wäre es ein Glücksspiel, und das mag ich nicht. Ich rufe den Vermieter an und bitte um Hilfe beim Bestellen. Zusammen finden wir nen Elektronikmarkt in Odda, da komme ich demnächst eh vorbei. Die Reservierung gilt eigentlich nur für einen Tag, aber ich schreibe flink ne nette Mail hin und habe binnen Minuten Antwort. Das Teil wird auf mich warten. Yeah!

Mit dem Vermieter unterhalte ich mich noch ein bisschen. Er scheint Ende 30 zu sein, ist Landwirt und hat 30 Kühe und 80 Schafe, letztere haben alle je 2 Lämmer. Herbst und Weihnachten ist hier wohl die Zeit für Lammfleisch. Eigentlich war er Ingenieur für Ventiltechnik auf Offshore Ölförderplattformen, aber die Familie seiner Frau hatte diesen Hof hier, und so wurde er Landwirt. Jetzt ist er viel draußen und genießt es, nicht mehr so viel vor dem Rechner zu sitzen. Seine Frau ist Lehrerin, sie haben 3 Kids und jede Menge zu tun. Trotzdem fragt er mich nach etlichen Details meiner Reise, ist echt interessiert. Später kommt er noch bei meiner Hytta vorbei und studiert mein Rad, fragt nach den ganzen technischen Details. Feiner Typ!

Nicht viel später, 2 Frühstück.

So, das Knieproblem. Es scheint das ITBS, oder auch Läuferknie zu sein. Symptomatik und Lokalisierung stimmen. Ursachen gibt es dafür beim Radeln hunderte! Von Verspannungen im Rücken über verschieden lange Beine, schräge Haltung, zu hoher Sattel, zu niedriger Sattel, zu weiche Schuhsohlen, verkürzte Muskeln… Auweia. Für vieles bräuchte ich nen Sportmediziner oder Orthopäden, oder ein Bike Fitting. Aber ich kann mich von der Seite auf Video aufnehmen und mir das anschauen, und mit den Faustregeln der Sitzposition abgleichen.

Gesagt, getan, und schon wandert der Sattel nach vorne und unten. Die gereizte Sehne muss sich trotzdem noch erholen, die Hytta ist noch einen Tag frei, und so werde ich wohl morgen nochmal hier bleiben. Und ich werde jetzt regelmäßig bestimmte Muskeln dehnen. Dann bin ich hoffentlich so weit erholt, dass ich noch 4 Wochen radeln kann, ohne dass es alle 2 Tage zur Quälerei wird. Den Berg hoch quälen ist okay, solange nur die Muskeln schreien ist alles gut. Aber diese Schmerzen zeigen an, dass da was am Kaputtgehen ist. Nee nee.

Da liegen ja Boote vor der Tür. Und gehört da nicht auch eines zur Hütte? Hmm… Das Gepäck passt da gut rein, sogar das Rad müsste nicht hier bleiben. Oder ich tausche Rad gegen Boot?

Aber bevor der Tag entspannt weiter gehen kann, will ich verstehen, warum mein Lenker so schlackert, das ganze Rad schlingert. Nicht nur nervt das, sondern es belastet sicher das Material, und im dümmsten Fall wird es auch gefährlich. Tatsächlich gibt’s auch hierfür etliche mögliche Ursachen.

Ich dachte immer, es käme von der schweren Kamera in der Lenkertasche. Aber vermutlich ist es die Gepäckrolle hinten, die recht hoch liegt, schwer ist, und einfach nicht wirklich fixiert ist. Das heißt, das gesamte Gepäck hinten wabbelt, obwohl alles gut verzurrt ist. Das schaukelt sich dann auf.

Aber ich habe ne Idee, wie ich das beheben kann. Bisher hatte ich das Zelt nur unter die Gepäckrolle geklemmt. Das Zelt werde ich mit nem Zurrgurt fixieren, und hoffe, dass damit alles stabiler wird. Ich hab noch ein paar Gurte dabei, und sogar einen auf der Straße gefunden und mitgenommen. Das scheint also auch lösbar. Juhuu!

Hmm, ein Tretboot ist das aber nicht.

Ja, ein Boot gehört zur Hytta, und der Vermieter macht mich schnell mit der Handhabung vertraut. Gut, dass ich letztes Jahr schon ein bisschen Boot gefahren bin. Das hier ist aber kleiner, und gerade ist es windig. Ich warte auf schönes Abendlicht und die damit einhergehende Flaute. Dann geht’s aber los.

Wusch! Das Örtchen ist Jøsenfjorden
Da führt keine Straße hin. Ganz hinten sind Häuser, vermutlich für Arbeiter des Wasserkraftwerks.

Ich fahre den Fjord ganz nach hinten, das sind gut 7km. Die Wände und Felsen sind überraschend abwechslungsreich. Und gewaltig. Dabei ist das jetzt kein bekannter Superfjord, zu dem alle hin rennen, sondern halt einfach einer von vielen. Ich verfalle ins Knipsen, muss mich bremsen, sonst muss ich auch noch ne Speicherkarte in Odda kaufen.

Einmal sehe ich nen großen Vogel. Zu groß für nen Kolkraben, fliegt nicht wie ne Möwe, aber ein Adler ist es auch nicht. Verflixt, weg ist er. Später fliegt er nochmal, und jetzt macht sich mein jahrelanges Training bezahlt: schneller Griff zur Kamera, flink alles eingestellt, anvisiert, fokussiert, abgedrückt. Ha! Im Kasten, der Vogel. Also, das Bild, versteht sich. Zum Bestimmen genügt es. Und was ist es? Wer hat es erraten? Ein Graureiher. Tadaaa. Naja, keine aufregende Sichtung, die haben wir ja auch daheim zur Genüge, aber ein Moment Spannung und Nervenkitzel. Und schön sind Reiher allemal.

Krass, die Wände. Und irre, wo sich überall was Grünes festkrallt.
Kein Wohnhaus. Glaube ich. Aber wofür hier ne Hütte steht, erschließt sich mir nicht. Auf jeden Fall ein schönes Motiv.

Zwei Stunden bin ich unterwegs. Wenn ich in der Mitte fahre, merke ich kaum, dass ich voran komme. Näher am Ufer wird klarer, dass die Nussschale doch ganz flott sein kann. Etwas haarig ist es schon, alleine zu steuern, Objektive zu wechseln, und Fotos zu machen, denn die Wellen schieben mich ganz schön herum. Aber es geht gut, macht auch Laune. Nur laut ist es, und der Zweitakter stinkt.

Ich wechsle doch nicht das Verkehrszeug, bleibe beim Strampeln, auch wenn ich mit nem Boot schön alle Fjorde abfahren könnte. Aber mit einem Seekayak will ich das jetzt auf jeden Fall mal machen. Die Stille wird vom Motor so gnadenlos zerrissen, es tut mir richtig leid. Sorry liebe Schweinswale, Fische, Möwen.

Und jetzt hab ich es doch getan, zum Zeitvertreib Benzin verbrannt – das verurteile ich ja als nicht mehr zeitgemäß. Deshalb würde ich auch nicht mehr zum Spaß Motorrad fahren, wie ich es früher tat. Doch wollte ich das Bootfahren hier einmal probieren, und weiß jetzt, warum ich das geräuscharme Fortbewegen aus eigener Kraft auch auf dem Wasser gern will.

Und in Odda kauf ich noch ne Bluetooth Tastatur. Mir brechen gleich die Daumen ab. Gute Nacht!