Ich bin in 6 Wochen eine 8 gefahren, oder eher ein &-Zeichen rückwärts. Also: In Oslo im Osten gestartet, dann in den Südwesten an den Lysefjord. Von dort hoch gen Nordosten entlang des Hardangerfjords und zweimal über den Sognjefjord, weiter zwischen Jostedalsbreen und Jøtunheimen hindurch nach Lom. Dann nach Westen an den Nordfjord und möglichst nah am Jostedalsbreen nach Süden, zurück über den Sognefjord. Die Hardangervidda nördlich gestreift und dann im Osten und Süden eng umrundet, bis das Setesdal mich nach Süden führt, und zum Abschluss nach Osten an den See Bandak. Puh.
Routenplanung — Tag 1 — Tag 10 — Tag 20 — Tag 30
Gewählt habe ich all die kleinen, ruhigen Straßen zwischen Fjord und Fjell. Es sollte bergig sein und viele Landschaftswechsel haben, an den höchsten Bergen und tiefsten Fjorden vorbeiführen, ohne von zu viel lästigem Verkehr abgelenkt zu werden. Wo große Tunnels darauf warten, Autos zu verschlingen, fuhr ich über alte, einsame Pässe. Küste, Inland und Städte interessierten mich diesmal gar nicht. Norweger, denen ich die Strecke beschrieb, meinten, ich hätte viele der schönsten Teile Norwegens gesehen, die man per Straße erreichen kann. Und ich würde alles gern nochmal fahren und sehen.
Zahlen, Daten, Fakten
An 33 von 41 Tagen gefahren
1.955 Kilometer, davon etwa 35 in Tunnels
27.717 Höhenmeter: 3 mal der Mount Everest, oder 154 mal der Branich
115 Stunden 36 Minuten am Fahren
240 Höhenmeter pro Stunde Fahrzeit geklettert
1 gebrochener Seitenständer, 1 Zinken aus der Gabel gebrochen, sonst keinerlei Defekt oder Panne
30 mal im Zelt geschlafen, 10 mal in einer Hytta
7 mal Fähre gefahren, 1 mal Zug, 2 mal per Anhalter durch für Radls verbotene Tunnels
Ein Dutzend Reiseradler getroffen, mit 2 Rennradlern zusammen 3 Pässe erklommen
5 Stabkirchen besucht
Mampf & Schlürf
7 Laibe Brot
6 Packungen Müsli
5 Gläser Marmeladen und 5 Gläser Erdnussbutter
6 Blöcke Käse á 500g
3 Packungen Marzipan á 400g
5 Flaschen Öl á 500ml ins Abendessen gekippt
6 Flaschen Sirup, Blaubär und schwarzer Johannisbär
82 Beutel Schwarztee aufgebrüht
4 Bier genossen (3 davon spendiert bekommen)
Eineinhalb Dutzend Liter Orangensaft, dito Packungen Kekse
Abertausende Kichererbsen und Erbsen
Ungezählte, weil unzählige, Süßteilchen und Kaffee zwischendurch
Begegnungen
Dies sind diejenigen, mit denen ich Zeit verbracht habe, Gespräche geführt habe, Etappen gefahren bin, oder die mir geholfen haben. Überdies bin ich vielen weiteren tollen Menschen begegnet, mit denen ich mich ausgetauscht habe.
Thomas & Tina
Hannes
Matthias & Filiz
Eva & Partner
Michael & Dagmar
Tor Ove
Norbert & Elke & Casjen & Seya
Eirik
Bernice & Rick
Frank & Yvonne
Heidi & Petro
Aina
Corentin, Chloe & Guillaume
Roar
Justin
Marita
Per Morten & Beata, Ove & Mette
Borghild
Aron
Romain & Clarisse
Aber warum Fahrrad, ausgerechnet in Norwegen, wo es doch nie flach ist? Zu Fuß kommt an an die tollsten Stellen, aber kann immer nur ein kleines Fleckchen auf der Landkarte erkunden. Mit dem Auto ist man wuuusch viel zu schnell und hält doch zu selten an. „Hast Du das gesehen rechts, der Bach? Der war schön!“ – „Häh? Oh, nein, verpasst, schade.“ Mit dem Velo hat man das richtige Tempo, um die Landschaft sich entfalten zu sehen. Man ist so langsam, dass man alles aufnimmt, stets anhalten kann, jederzeit pausieren kann. Und trotzdem legt man so große Strecken zurück, dass die Landschaft sich verändert. Zudem ist es leise. Und man ist draußen, atmet die Luft, erduftet den Wald, fühlt den Wind. Und jedes Fjell ist hart erarbeitet, der Körper belohnt den willigen Geist mit reichlich Glücksgefühlen. Mein Ziel waren nie Orte, sondern das Erleben während der Fahrt. Wenn ich ankam, hatte ich selten das Bedürfnis, noch etwas sehen zu müssen oder erkunden zu gehen, denn das habe ich ja bereits den ganzen Tag gemacht. Ich würde diese Reise jederzeit wieder so tun.
Als Reiseradler genießt man besonderen Status. Fremde Menschen schauen und grüßen, Autos überholen mit reichlich Abstand, Leute helfen gern, ich komme schnell ins Gespräch und werde oft angesprochen. Anfangs hatte ich Sorge um meine Packtaschen und Sachen, aber das verflog – je größer die Stadt, desto vorsichtiger sollte man dennoch sein. Gerade hier, wo es nicht so viele Verrückte gibt, die sich das antun wollen, ist man eine Ausnahme, aber auch daheim bei der kleinen Testtour habe ich bereits erfahren dürfen, dass Reiseradler die Welt anders erleben dürfen und andere Begegnungen haben, viel Freundlichkeit und Offenheit erfahren. Gerade alleine zu reisen hat viele Begegnungen ermöglicht, auch die mit mir selbst. Das alles war eine wirklich tolle Erfahrung.
Ich habe viel über Norge gelernt. Verstehen tue ich hier noch lange nicht alles, vieles ist mir gar ein Rätsel. Die Sprache rudimentär snakken zu können hat vieles erleichtert und verständlicher gemacht, nicht nur die Zutatenliste von Mampf im Supermarkt bei der Wahl des Dinners. Ich habe nicht nur die Landschaft erfahren, sondern auch ein Stück weit das Land kennen gelernt – mehr als ich erwartet hatte.
Mein Ziel, den Kopf frei zu kriegen, hab ich definitiv erreicht. Jetzt bin ich erst einmal erlebnismüde. Der Körper schaltet in Regenerationsmodus und verlangt nach Wärme, Tee, Sofa und Keksen. Und Marzipan, natürlich. Der Kopf verlangt nach Ruhe, bitte nichts Neues jetzt. Da gibt es wohl noch ne Menge zu verarbeiten. Wenn ich die Augen schließe und an die vergangenen Wochen denke, blitzen tausend schöne Bilder und Erinnerungen auf, alle mit Gefühlen und Namen und Erlebnissen verknüpft.
Dieser Blog diente mir als Tagebuch, und ich werde die Einträge und Bilder sicher einige Male durchgehen. Was daraus entsteht, und wie weit mich das verändert haben mag, wenn überhaupt, das wage ich heute gar nicht abzuschätzen. Danke für alle Unterstützung, Nachrichten, Fragen und Anregungen. Ich mag zwar alleine unterwegs gewesen sein, einsam war ich aber selten. Jetzt freue ich mich darauf, altbekannte Freunde wieder zu treffen und zu erfahren, was inzwischen so alles passiert ist.
Der Gråskjegg verabschiedet sich. Dies war mein erster Reiseblog, jedoch sicher nicht mein letzter.